Sonate (Sonatine) g-Moll für Violine und Klavier, D 408, op. posth 137,3
Werkverzeichnisnummer: 1744
1. Allegro giusto
2. Andante
3. Menuetto: Allegro vivace
4. Allegro moderato
FRANZ SCHUBERT war schon als Schüler des k. k. Stadtkonvikts in Wien, wie seine Zeugnisse beweisen, ein hervorragender Geiger. Für seine Behandlung der Streicher in der Kammermusik blieb dies nicht ohne Folgen, denn wohl kaum ein Komponist des 19. Jahrhunderts verstand, die Klangfarben der Streicher so eigentümlich und beseelt einzusetzen, wie Schubert. Sein Streichersatz ist unverwechselbar, sei es in den Werken für Streicher alleine, sei es in der Kammermusik mit Klavier.
Angesichts der großen Bedeutung des Streichquartetts für den jungen Schubert fällt seine Zurückhaltung gegenüber den Genres Violinsonate und Klaviertrio auf. Die Gründe dafür sind eher in seinem Klavier- als Violinspiel zu suchen, denn im Gegensatz zu Mozart oder Beethoven trat er in Wien nicht als Klaviervirtuose in Erscheinung, so daß sich Gelegenheiten, eigene Duos oder Trios mit durchreisenden Violinisten oder Cellisten zu produzieren, nicht ergaben. Erst in seinen letzten drei Lebensjahren, zu einer Zeit, als er sich als “Tonkünstler” bereits einen Namen gemacht hatte, wurde er durch die Bekanntschaft mit dem Pianisten Karl Maria von Bocklet und dem Violinvirtuosen Josef Slawik zur Komposition zweier virtuoser Duos und zweier Klaviertrios angeregt. Daß die letzteren erst Ende 1827 begonnen wurden, hängt andererseits mit dem Tode Beethovens wenige Monate zuvor zusammen. Schubert hatte eine fast heilige Scheu vor dem verehrten Meister, die auch bestimmte Gattungen mit einem Nimbus umgab. Zu diesen gehörte das Klaviertrio, das erst Beethoven zur vollen klassischen Größe entwickelt hatte. An eine Auseinandersetzung mit dieser Besetzung mochte sich Schubert zu Lebzeiten des Meisters offenbar nicht wagen. Daß ihm dann mit seinen beiden eigenen Klaviertrios die nahtlose Fortsetzung der großen Beethoven-Trios gelang, hat kein Geringerer als Robert Schumann erkannt und gewürdigt.
SCHUBERTS FRÜHE VIOLIN-SONATEN sind Zeugnisse einer Stilphase in seiner Entwicklung, die man mit Recht klassizistisch genannt hat. Nach aufregenden frühromantischen Experimenten in seinen ersten Streichquartetten ging er in seiner Kammermusik um 1815 zu einem gemäßigten Stil über, der sich durch die Anlehnung an klassische Vorbilder auszeichnet. Dies hängt mit seinem Streben nach öffentlicher Anerkennung zusammen, wovon auch die Übersendung des ersten Liederheftes an Goethe im April 1816 zeugt. In eben jenem Monat vollendete er drei Violinsonaten, die man heute allgemein nach dem Titel des Erstdrucks als “Sonatinen” bezeichnet, obwohl sie mit Musik für den Unterricht nichts zu tun haben. Schubert nannte jedes dieser Werke Sonate pour le Pianoforte et Violon und numerierte sie von I bis III durch, was den formalen Anspruch und die zyklische Einheit bestätigt. Erst der Verlag Diabelli gab sie als “Sonatinen” heraus, um den Käufern anzuzeigen, daß es sich nicht um “Grandes Sonates” im damaligen Sinne handele.
Die knappen Formen der drei im März und April 1816 komponierten Werke sind das Ergebnis einer Stilisierung: Schubert hat sie als Huldigungen an den Violinsonatentypus Mozarts angelegt. Nicht nur die Melodik mutet oft mozartisch an – bis hin zu regelrechten Zitaten. Auch das ausgewogene Verhältnis zwischen beiden Instrumenten, die kantable Führung der Violine und der durchsichtige Klaviersatz distanzieren sich von jeder virtuosen Attitüde und orientieren sich an jenem vollendeten Dialog zwischen “Pianoforte et Violon”, wie ihn Mozart in seinen Sonaten KV 376-380 verwirklicht hatte. Die dritte Sonate in g, D 408, ist die einzige mit einem Kopfsatz im Dreiertakt, wobei die Unisoni zwischen Violine und Klavier an Mozarts e-Moll-Sonate, KV 304, erinnern. Bedingt durch die rhythmische Prägnanz des Themas kommt es hier zu echter thematischer Arbeit. Eine Ahnung von spätem Schubert vermittelt das in die Durchführung eingeschobene Pianissimo-Thema in Des-Dur (man vergleiche die Durchführung im ersten Satz der späten A-Dur-Klaviersonate). Das Andante hat die Form und den Charakter einer Romanze, während Menuett und Finale Schubert von seiner populären Seite zeigen. Ersteres erinnert an seine Deutschen Tänze, letzteres an den Liederkomponisten, der hier zwei Themen auf die denkbar anspruchsloseste Art miteinander verbunden hat.