Streichquartett Es-Dur, op. 127 | Kammermusikführer - Villa Musica Rheinland-Pfalz

Ludwig van Beethoven

Streichquartett Es-Dur, op. 127

Quartett Es-Dur für zwei Violinen, Viola und Violoncello, op. 127

Besetzung:

Werkverzeichnisnummer: 175

Satzbezeichnungen

1. Adagio – Allegro vivace

2. Adagio non lento

3. Intermezzo. Allegretto con moto – Allegro di molto

4. Finale. Presto – Adagio non lento

Erläuterungen

Zu den glücklichsten Momenten der Wiener Musikgeschichte gehörte jener Tag des Jahres 1823, an dem der Geiger Ignaz Schuppanzigh in seine Heimatstadt zurückkehrte. Der ebenso korpulente wie feurige Violinvirtuose, den Beethoven liebevoll „Mylord Falstaff“ nannte, nahm umgehend seinen Posten als Primarius im 1804 gegründeten eigenen Streichquartett wieder auf. Diesem Umstand haben wir die späten Streichquartette Beethovens zu verdanken.

Die Opera 127, 130 bis 133 und 135 waren allesamt Schuppanzighs kurzen Fingern auf den geigerischen Leib geschneidert. Dies bedeutete keineswegs, dass der gestrenge Meister mit seinem Primarius gefällig umgegangen wäre: Die berüchtigten klanglichen Schwierigkeiten dieser Quartette bekamen Schuppanzigh und seine Kollegen Holz (2. Violine), Weiss (Bratsche) und Linke (Cello) mit gnadenloser Härte zu spüren. Zwei Wochen Proben reichten nicht aus, um die Uraufführung des Quartetts Opus 127 sauber zu absolvieren, was Beethoven zu einem fürchterlichen Wutanfall veranlasste. Dennoch vertraute der Meister Schuppanzigh und seinem Quartett auch die Premieren der folgenden späten Quartette an.
Die Presse hatte schon zwei Monate vor der Uraufführung von dem neuen Quartett in Es-Dur und seinem Schwesterwerk in a-Moll erfahren. Im Januar 1825 ließ der Wiener Korrespondent der Allgemeinen musikalischen Zeitung seine Leser wissen: „Beethoven, der fortwährend fleißig arbeitet, hat zwei neue Quatuors vollendet.“ Es war einer der ersten Fälle von öffentlicher Anteilnahme am Entstehen neuer Kammermusikwerke. Vom „fortwährenden Fleiß“ eines Bach oder Mozart hatte man kaum Notiz genommen, der alternde Beethoven jedoch wurde für die Öffentlichkeit zu einem Heros des einsamen, der Krankheit abgetrotzten Schaffenswillens, wohl auch zum schrulligen Eigenbrödler, um den man sich rührend sorgte.

Entsprechend viel beachtet war die Uraufführung des Es-Dur-Quartetts am 6. März 1825 in Wien. Beethoven hatte immerhin über drei Jahre daran gearbeitet und das Stück immer wieder zugunsten der Neunten zur Seite gelegt. Nun war die Welt trotz der von Schuppanzigh verpatzten Premiere voller Enthusiasmus, denn schon die zweite Aufführung am 23. März fiel dank des Ersatz-Primarius‘ Joseph Böhm besser aus. Vollmundig konnte der Mainzer Schottverlag in den Zeitungen die Erstausgabe ankündigen:
„Es ist das als höchster Gipfel der Instrumentalmusik angepriesene, viel bewunderte neueste Quartett des Meisters unserer Zeit … Es ist jenes Werk, das die vortrefflichste Quartettbesetzung Wiens, von seinen Schwierigkeiten zurückgeschreckt, eine Zeitlang bei Seite gesetzt, aber späterhin nach mehreren Proben als bestes Beethoven’sches Werk anerkannt hat.“

Besser bewältigten das Werk die Musiker im Hausquartett des russischen Fürsten Nikolaj Golizyn (oder Galitzin, wie er in Wien hieß), dem Beethoven die ersten drei späten Quartette (Opera 127, 130 und 132) widmete. Der damals erst 30-jährige Fürst aus einem der vornehmsten Adelshäuser Russlands war ein fähiger Cellist, der sich so für Beethovens begeisterte, dass er sämtliche Klaviersonaten des Meisters für Streichquartett arrangierte.

Die späten Quartette gab er direkt bei Beethoven in Auftrag. Neben der Rückkehr Schuppanzighs nach Wien war es dieser Auftrag eines jungen Mäzens, der dem Meister den entscheidenden Anstoß für die neuen Werke gab. Für das zuerst vollendete Es-Dur-Quartett Opus 127 bedankte sich der Fürst mehrmals brieflich bei Beethoven. Er schrieb u.a.: „Ihren letzten Brief vom 4. Juni habe ich just in dem Moment erhalten, als wir Ihr neues Quartett spielten, und ich kann sagen: in Vollendung, denn es war Lipinski, der die erste Geige übernahm“. Nicht nur der Cello spielende Fürst Golyzin selbst, sondern auch der „polnische Paganini“ Karol Josef Lipinski konnte sich für Beethovens späte Quartettkunst sofort begeistern. Die Liebe zu diesen Werken haben gerade russische und polnische Streicher immer wieder bekundet.

Auch in Frankreich fanden Beethovens späte Quartette glühende Bewunderer, besonders in der Epoche des Impressionismus. Vincent d’Indy nannte das Es-Dur-Quartett hundert Jahre nach seiner Entstehung „die letzte Pastoralsinfonie, die Beethoven geschrieben hat – die Krönung jener Liebe zur Natur, welcher er im Laufe seines Lebens so wundervollen Ausdruck verliehen hatte.“

Aus dieser Perspektive betrachtet, werden die lyrische Grundhaltung und viele Details des Es-Dur-Quartetts verständlich. Schon der erste Satz lässt den typischen Elan Beethovens vermissen. Aus den majestätischen Akkorden der Einleitung mit ihren betonten Synkopen geht nahtlos und „teneramente„ („zärtlich“) das Hauptthema des Allegro hervor. Es ist eine Kreisbewegung der ersten Geige aus lauter Vierteln, die im folgenden durch kontrapunktische Kunstgriffe gesteigert und weiterentwickelt wird. Ein kurzer Ansatz zu einer heroischen Überleitung ebbt rasch ab und mündet in das Moll-Seitenthema, eine hochromantisch sehnsuchtsvolle Weise. Die Wiederholung der Einleitung in G-Dur schafft einen Einschnitt vor der Durchführung, die dem Thema neue Kontrapunkte, Molleintrübungen und einen fast wilden Ausbruch ablauscht. Mitten auf diesem dramatischen Höhepunkt erklingt die Einleitung ein drittes Mal in C-Dur. Die Reprise folgt den Bahnen des Anfangs, aber mit neuen Steigerungen und dem nach Dur gewendeten Seitenthema. In der Coda kreist das Hauptthema quasi permanent um sich selbst, in diverse Kanons und Kontrapunkte eingebettet, bis der Satz mit einer knappen Pointe schließt.

Der zweite Satz, ein Adagio in As mit Variationen, erwächst aus einem langsam sich aufbauenden Septakkord. Er reiht sich in die vergeistigten Variationen des späten Beethoven ein (Klaviersonaten op. 109 und 111, Neunte Sinfonie). D’Indy rühmte die Schönheiten dieses Satzes überschwenglich: „Ich sehe keine Möglichkeit, ein Wort der Bewunderung zu finden, dass stark genug wäre, um jene Emotion auszudrücken, die eine mit künstlerischem Gefühl begabte Seele beim Anhören dieses Satzes empfinden muss. Seine Größe ist derart gewaltig, dass der menschliche Intellekt kaum in der Lage ist, seine Umrisse zu ermessen, geschweige denn, die Höhe seiner Inspiration zu begreifen. Wir müssen uns also auf eine bloße Analyse beschränken: Eine breite Phrase in zwei Teilen von unvergleichlicher Schönheit eröffnet eine Folge von Variationen, die das Thema verstärken und erhöhen bis in bislang unerreichte Zonen des Ausdrucks hinein. Doch noch Größeres steht bevor: Nicht zufrieden damit, in diesen Variationen die musikalischen Ressourcen auszuschöpfen, strebt Beethoven nach oben zu einem völlig neuen Dasein des Themas. In dieser Evolution scheint sich der Geist des großen Musikers der Denkungsart der mittelalterlichen Mystiker zu nähern, deren Werke, zugleich groß und einfach, Jenen unverständlich bleiben, die nicht einfach sind wie sie selbst – so vollständig ist diese Einfachheit hinter einer überbordenden Fülle von Details versteckt!“ (D’Indy). Die Tiefe dieses Satzes blieb auch den Zeitgenossen nicht verborgen, denn sie wählten gerade ihn aus, um ihn als Sopransolo, mit einem Text unterlegt, zum Begräbnis des Meisters aufzuführen: Beethoven’s Heimgang. Für eine Sopranstimme mit Pianoforte; nach einer neuesten Composition des Verewigten bearbeitet hieß dieses Arrangement, das im Juni 1827 bei Schott in Mainz erschien.

Konventioneller gibt sich das Scherzando, ein von Pizzicato-Akkorden eröffneter Tanz, der sich aus punktierten Rhythmen und Trillern aufbaut. Vorherrschend bleibt auch hier der Kontrapunkt: Dem aufsteigenden Motiv des Cellos antworten die Oberstimmen absteigend, die Triller streben in alle Richtungen auseinander. Im zweiten Teil aber verkehrt sich der nervöse Duktus dieser Motive in eine geradezu groteske, Hoffmanesk gespenstische Szenerie. Auf einem strahlenden Durakkord scheint der Höhepunkt des punktierten Rhythmus‘ erreicht, doch gleich darauf steigen aus der Tiefe unheimliche Unisoni auf, die von Fragmenten des Themas beantwortet werden. Der Rhythmus gerät ins Stocken, die Harmonie auf Abwege, der Zusammenhang des Satzes zerfleddert, bis das bizarre Trio in es-Moll einsetzt. Seine geisterhaft vorüberhuschende Triolenmelodie mündet in eine kräftig-derbe Tanzweise, eine Gigue. An die Reprise des Scherzos scheint sich noch einmal das Trio anschließen zu wollen, doch sein Thema wird sofort von den Motiven des Scherzos verscheucht. Der Satz endet mutwillig humorvoll.

So burschikos wie das Scherzo beginnt auch das Finale, das an den mittleren Beethoven gemahnt. „Mit Scherzo und Finale steigen wir wieder zur Erde herab und finden den spielerischen Beethoven der mittleren Periode wieder, der durch eine liebliche Landschaft wandert und sich an den rauen Gesängen der Landleute erfreut. Das Finale erinnert an die pastoralen Impressionen der Jahre zwischen 1808 und 1812 – wäre da nicht die Coda, die in ihrer träumerischen Stimmung das fast triviale Hauptthema auf Höhen jenseits sterblicher Gefilde hebt und uns daran erinnert, dass sich all dies nicht mehr zwischen Döbling und dem Kahlenberg abspielt, sondern allein in der Vorstellungswelt des Poeten.“ So hat es noch einmal der Franzose d’Indy beschrieben, der zu den sensibelsten Deutern des späten Beethoven gehörte.

IM JANUAR 1825 ließ der Wiener Korrespondent der „Allgemeinen musikalischen Zeitung“ seine Leser wissen: „Beethoven, der fortwährend fleißig arbeitet, hat zwei neue Quatuors vollendet.“ Es war einer der ersten Fälle von öffentlicher Anteilnahme der Presse am Entstehen neuer Kammermusikwerke. Vom „fortwährenden Fleiß“ eines Bach oder Mozart hatte man kaum Notiz genommen, der alternde Beethoven jedoch wurde für die Öffentlichkeit zu einer Art Heros des einsamen, der Krankheit abgetrotzten Schaffenswillens, wohl auch zum schrulligen Eigenbrödler, um den man sich rührend sorgte. Entsprechend viel beachtet war die Uraufführung des ersten seiner späten Streichquartette, des Es-Dur-Quartetts, op. 127, im März 1825 in Wien. Beethoven hatte immerhin über drei Jahre daran gearbeitet und das Stück immer wieder zugunsten der Neunten Symphonie zur Seite gelegt. Trotz der vom Primarius Schuppanzigh verpatzten Premiere erregte es sofort allgemeine Bewunderung.
Vincent d´Indy nannte es 100 Jahre später „die letzte Pastoralsymphonie, die Beethoven geschrieben hat – die Krönung jener Liebe zur Natur, der er im Laufe seines Lebens so wundervollen Ausdruck verliehen hatte.“ Vor diesem Hintergrund wird die lyrische Grundhaltung verständlich. Schon der erste Satz lässt den typischen Elan Beethovens vermissen. Er reiht einen lyrischen Intermezzogedanken an den nächsten, wie beiläufig hingesagt und in neuartigem Kontrapunkt auf die vier Streicherstimmen verteilt. Der zweite Satz, ein As-Dur-Adagio mit Variationen, reiht sich in die vergeistigten Variationenzyklen des späten Beethoven ein (Klaviersonaten op. 109 und 111, Neunte). „Eine breite Phrase in zwei Teilen von unvergleichlicher Schönheit eröffnet eine Folge von Variationen, die das Thema verstärken und erhöhen bis in bislang unerreichte Zonen des Ausdrucks. Beethoven strebt über die rein musikalische Entwicklung des Themas hinaus einen neuen Zustand von Musik an“ (D´Indy). Konventioneller geben sich das dreiteilige Scherzo mit es-Moll-Trio und das tänzerisch-volkstümliche, mitunter derbe Rondofinale, das an den mittleren Beethoven gemahnt.