Quartett Nr. 10 Es-Dur für zwei Violinen, Viola und Violoncello, D 87
Werkverzeichnisnummer: 1726
1. Allegro moderato
2. Scherzo prestissimo
3. Adagio
4. Allegro
Im Alter von zehn Jahren schrieb der kleine Franz Schubert in der Wiener Vorstadt Lichtenthal seine ersten Sätze für Streichquartett: „Im 11ten Lebensjahr war er erster Sopranist der Lichtenthaler Kirche. Schon zu dieser Zeit trug er alles mit dem angemessenen Ausdruck vor; auch spielte er damals ein Violin-Solo auf dem Kirchenchor und komponierte schon kleine Lieder, Streich-Quartette und Klavierstücke.“ So berichtete sein Bruder Ferdinand Jahrzehnte später dem neugierigen Robert Schumann. Mit sieben Jahren wurde Franz zum Geigenschüler seines Vaters. Als Gymnasiast im K. K. Stadtkonvikt zählte er später zu den besten Geigern und Bratschisten der Schule. Häufig leitete er als Konzertmeister die täglichen (!) Schulorchesterproben, als erster Geiger die „Quartett-Comiterien“ im Internat.
Auf diesem fruchtbaren Boden reiften auch seine ersten voll gültigen Streichquartette, die er im Alter von gerade mal 13 Jahren komponierte: „Ganz ruhig und wenig beirrt durch das im Konvikte unvermeidliche Geplauder und Gepolter seiner Kameraden um ihn her, saß er am Schreibtischchen vor dem Notenblatte…niedergebeugt (er war kurzsichtig), biss in die Feder, trommelte mitunter prüfend mit den Fingern und schrieb leicht und flüssig ohne viele Korrekturen fort.“ So hat ihn sein Mitschüler Albert Stadler beschrieben. In dieser scheinbar ungezwungenen Weise entstanden noch im Konvikt sechs Quartette, nach dem Schulabgang im Sommer 1813 dann vier weitere bis Sommer 1814.
Das Es-Dur-Quartett schrieb der sechzehnjährige Schubert im November 1813, während er die Ausbildung zum Hilfslehrer absolvierte. Da die autographe Partitur nur fragmentarisch überliefert ist, kennen wir nicht das genaue Datum der Vollendung. Neben dem vollständigen Scherzo blieben nur die Anfänge des ersten und dritten Satzes sowie ein Bruchstück aus der Mitte des Finales erhalten. Glücklicherweise veröffentlichte der Wiener Verleger Czerny 12 Jahre nach Schuberts Tod das frühe Quartett zusammen mit dem E-Dur-Quartett von 1816 als Opus posthumum 125.
Genauer als diese irreführend hohe Opuszahl ist „D 87“, jene Nummer, die der Musikforscher Otto Erich Deutsch dem frühen Es-Dur-Quartett in seinem Schubert-Werkeverzeichnis gab. Das Quartett rangiert damit nur fünf Nummern nach der ersten Sinfonie und drei Nummern nach der ersten Oper, Des Teufels Lustschloss. Zwischen Herbst 1813 und Frühjahr 1814 machte sich der junge Schubert auf zu neuen Ufern, wovon auch einige bedeutende Lieder aus jener Zeit zeugen (Der Taucher nach Schillers Ballade, Adelaide und Geisternähe nach Matthison u.a.).
Ob das Es-Dur-Quartett tatsächlich von der aufkeimenden Liebe der beiden jugendlichen Wiener erzählt, sei der Fantasie der Zuhörer überlassen. Ganz zweifellos ist es aber ein Beweis für die unter Salieris Anleitung gereifte Musikerpersönlichkeit Schuberts. Alle vier Sätze beginnen mit der gleichen Tonfolge in der ersten Geige: es-f-(f)-g. Sie erfüllen mühelos die Anforderungen an den klassischen Quartettsatz und die gängigen Formen, verraten aber auch viel von Schuberts lyrischer Begabung.
Der erste Satz, Allegro moderato, beginnt mit einem ganz leisen, schlichten Choralthema. Es wird sofort variiert wiederholt, bevor sich ein liedhafter Gesang in den Geigen erhebt, getragen von einem weichen „Klanggrund“ der Unterstimmen. Erst im 48. Takt wird das erste Forte erreicht, dann aber brechen überraschend dramatische Töne in den Satz ein. Ganz kurz werden wir daran erinnert, dass der junge Schubert diesen Satz nur wenige Wochen nach der Völkerschlacht bei Leipzig komponiert hat, an der er als österreichischer Patriot regen Anteil nahm. Schon im Seitenthema weicht die drängend-dramatische Episode wieder zartem Gesang, der hier von Mozarts Zauberflöte inspiriert scheint. Ein leises Pochen in punktierten Rhythmen trägt die zwischen Dur und Moll changierende Schlussgruppe, in der sich auch die dramatische Episode noch einmal zu Wort meldet. Letztere bestimmt die kurze Durchführung, die aber kaum von motivischer Arbeit geprägt ist. Auch in der Reprise bestimmt das weiche Strömen schöner Melodien den Duktus des Satzes.
Auf dieses wahrhaft „moderate“ Allegro hat Schubert zuerst das mitreißende Scherzo folgen lassen, dann den langsamen Satz. Der Hauptteil des Scherzos gewinnt seine aufpeitschende Wirkung aus den Auftakten – Oktavsprünge mit neckischen kurzen Vorschlägen. Das Trio ist dagegen ein trauriger kleiner Ländler in c-Moll, im Klang an eine Drehleier erinnernd.
Im Adagio hat Schubert unverkennbar an das Hauptthema des ersten Satzes angeknüpft und an dessen lyrisch strömendes Melos, nur ist es hier der weich schwingende Sechsachteltakt, der alle Themen trägt. Obwohl der Satz in feierlichem Forte anhebt, lotet er im weiteren Verlauf fast nur noch die Schattierungen des Piano und Pianissimo aus, stets begleitet vom Puls der weichen Legato-Triolen oder von zarten Sechzehntel-Bebungen.
Umso elektrisierender wirkt der Beginn des Finales, ein munter nach oben stürmendes Geigenthema über Tremolo-Begleitung, das in rauschende Triolen mündet. Kleine Dialoge zwischen Cello und erster Geige beleben das Bild, bevor die Geige das entwaffnend schöne zweite Thema anstimmt. Selbst einem Rossini hätte diese italienische Kantilene alle Ehre gemacht. Die ständigen Triolen, die den Satz durchziehen, nehmen in der Durchführung dramatischere Züge an, machen gegen Ende aber wieder ungetrübter Kehraus-Laune Platz.