Quartett Nr. 8 B-Dur für zwei Violinen, Viola und Violoncello, op. 168
Werkverzeichnisnummer: 1721
1. Allegro ma non troppo
2. Andante sostenuto
3. Menuetto. Allegretto
4. Presto
Am 5. September 1814 begann der siebzehnjährige Franz Schubert in Wien ein Streichquartett in B-Dur, das er bereits eine Woche später vollendet hatte. Im „Deutsch-Verzeichnis“, dem Schubert-Werkeverzeichnis des Musikforschers Otto Erich Deutsch, trägt es die Nummer 112 und steht damit nur sechs Nummern vor dem berühmten Lied Gretchen am Spinnrade, das Schubert fünf Wochen später vollendete. Obwohl er damals erst 17 Jahre alt war, stieß er mit seinem stürmischen Goethelied bereits das Tor zur Romantik weit auf, während er sich im B-Dur-Quartett als ein meisterlicher Sachwalter der Wiener klassischen Tradition erwies.
Das B-Dur-Quartett war bereits sein zehntes Streichquartett. Schon mit zehn Jahren hatte der kleine Franz erste Versuche im Quartettgenre vorgelegt. Sein erstes ausgereiftes Quartett schrieb er mit 13 als Schüler am K. K. Stadtkonvikt in Wien. „Ganz ruhig und wenig beirrt durch das im Konvikte unvermeidlich Geplauder und Gepolter seiner Kameraden um ihn her, saß er am Schreibtischchen vor dem Notenblatte … niedergebeugt (er war kurzsichtig), biss in die Feder, trommelte mitunter prüfend mit den Fingern und schrieb leicht und flüssig ohne viele Korrekturen fort.“ So hat ihn sein Mitschüler Albert Stadler beschrieben.
In dieser scheinbar ungezwungenen Weise entstanden noch im Konvikt sechs Quartette, nach dem Schulabgang im Sommer 1813 dann vier weitere bis Sommer 1814. Anlass für die ersten Quartette waren die täglichen „Quartett-Comiterien“, zu denen sich die musikalischen unter den Konviktschülern zusammenfanden. Schubert hatte nicht nur sehr gute Noten in allen anderen Fächern, sondern war natürlich der Primus in der Musik und einer der besten Geiger an der Schule, was im erzmusikalischen Wien einiges zu bedeuten hatte. Bald führte der klein gewachsene, untersetzte Lehrersohn aus der Vorstadt Lichtenthal das Konviktorchester als Konzertmeister an und leitete sein eigenes Schülerquartett. Für Letzteres entstanden seine frühesten Streichquartette.
Nachdem Franz das Konvikt verlassen und die Lehrerausbildung an der Annenschule absolviert hatte, trat er im Frühjahr 1814 eine Stelle als Hilfslehrer an der Seite seines Vaters an. Das B-Dur-Quartett schrieb er in seinen ersten großen Ferien, und zwar für das Familienquartett der Herren Schubert: „Für seinen Vater und die älteren Brüder war es ein vorzüglicher Genuss, mit ihm Quartetten zu spielen … Bei diesen spielte Franz immer Viola, sein Bruder Ignaz die zweite, Ferdinand die erste Violine, und der Papa Violoncello.“ In dieser Besetzung ist das B-Dur-Quartett aus der Taufe gehoben worden, was man noch heute am Cellopart ablesen kann: Schubert hat ihn mit Rücksicht auf seinen Vater deutlich einfacher gehalten als die drei Oberstimmen. Gerade dieser Umstand erleichtert die Bearbeitung für Streichorchester: Die Cellostimme ist wie ein Orchesterbass geschrieben, kann also leicht auf Celli und Kontrabass übertragen werden.
Der reife Schubert hat seinen frühen Quartetten später keine große Bedeutung mehr beigemessen. An seinen Bruder Ferdinand schrieb er 1824: „… besser wird es seyn, wenn Ihr Euch an andere Quartetten als die meinigen haltet, denn es ist nichts daran.“ Mittlerweile war Schubert 27 Jahre alt. Eine Welt von musikalischen Visionen trennte ihn vom zehn Jahre zurückliegenden B-Dur-Quartett. Dennoch sollte man dieses Jugendwerk nicht unterschätzen, so wenig wie seine Schwesterwerke aus der gleichen Zeit. Schubert hatte damals Kompositionsunterricht bei Antonio Salieri, dem greisen Wiener Hofkapellmeister und einstigen Gegenspieler Mozarts. Der alte, erfahrene und – Amadeus zum Trotz – gütige Italiener wurde von seinem Schüler Schubert innig verehrt. Deshalb plante dieser 1815, drei Streichquartette mit einer Widmung an Salieri zu veröffentlichen, und wandte sich deshalb an den renommiertesten Wiener Verleger Artaria. Dieser antwortete dem jungen Komponisten barsch: „Schülerarbeit nehme ich nicht!“ Bei den drei Quartetten handelte es sich vermutlich um das B-Dur-Quartett und seine Schwesterwerke in D-Dur (D 74) und g-Moll (D 173).
Mit dem B-Dur-Quartett wollte der junge Schubert freilich nicht nur seinem alten Lehrer Salieri imponieren, sondern auch einem Mädel aus der Nachbarschaft, in das er sich verliebt hatte: Therese Grob. Die Tochter des Seidenhändlers in Lichtenthal war „durchaus keine Schönheit, aber gut gewachsen, ziemlich voll, ein frisches kindliches Rundgesichtchen, sang fertig, mit schöner Sopranstimme auf dem Chore im Lichtenthal“. Schon das Sopransolo in seiner F-Dur-Messe (D 105) hatte Schubert für sie geschrieben. Man nimmt an, dass er auch das Goethelied Gretchen am Spinnrade und das Salve Regina in F für Therese komponiert hat. Noch im November 1816 stellte er für sie ein Liederheft zusammen, kurz danach aber muss die Beziehung in die Brüche gegangen sein. Als Schulgehilfe war Schubert kein geeigneter Bräutigam. Eine Heirat war den Beiden auch per Gesetz verwehrt (nach dem Ehe-Consens-Gesetz von 1815). Nachdem Schuberts Bewerbung um eine Musiklehrerstelle in Laibach (Lubljana) gescheitert war, gab es für die Beiden keine Zukunft mehr. 1820 heiratete Therese einen Bäckermeister.
Das B-Dur-Quartett weiß vom tragischen Ende der Beziehung noch nichts zu erzählen. Es ist das Werk eines frisch verliebten jungen Mannes. Die lyrischen Themen offenbaren eine jugendliche Begeisterung, die man leicht als Zeichen der Liebe verstehen könnte. Der Einstieg in den ersten Satz, ein weiches chromatisches Thema der ersten Geigen und Bratschen, legt den Grundton fest: Er ist durchweg lyrisch singend, wie in Pastelltönen gemalt, auch wenn nervöse Triolen und kräftige Forte-Akkorde eine grellere Farbe ins Spiel bringen. Schon die leisen Bebungen der Überleitung wirken wie schüchterne Liebeserklärungen eines jungen Mannes, vollends das zweite Thema. Am Ende des 364 Takte langen Satzes vermerkte Schubert nicht ohne Stolz: „In 4 ½ Stunden verfertigt, den 6. September“.
Tragischere Töne schlägt der langsame Satz an, für den sich Schubert immerhin fünf Tage Zeit nahm, bis zum 11. September. Es handelt sich um ein Andante sostenuto in g-Moll im feierlich schwingenden Dreiertakt. Schon der Anfang im Pianissimo ist von an- und abschwellenden Tönen durchzogen. Im weiteren Verlauf werden die Klangfarben und der ständige Wechsel von laut und leise zum entscheidenden Ausdrucksmittel: Auf einen kräftigen Forte-Piano-Akkord folgen schüchterne Pianissimo-Gesten über pochenden Bässen. Nach und nach treten lange Sechzehntellinien hinzu, die später von Synkopen und geheimnisvollem Tremoli grundiert werden. Die Bewegung beschleunigt sich bis zu erregten Sechzehntel-Sextolen, die bis zum Ende des Satzes als düsterer Schatten über der Musik liegen. Schon der frühe Schubert riss in seiner Musik Abgründe auf wie in diesem bewegenden Satz.
Umso zutraulicher wirkt das folgende Menuett in Es-Dur, ein sehr schneller österreichischer Volkstanz mit einem sehr leisen Geigengesang als Trio, der von einer gezupften Bass-Stimme untermalt wird.
Das Finale greift die Halbtöne des ersten Satzes wieder auf, verwandelt sie aber in einen wirbelnden Tanzsatz im Presto-Tempo. Rastlose Staccato-Achtel durchziehen den ganzen Satz und verdichten sich gelegentlich zum drängenden Fortissimo im Unisono. Mit diesem Effekt schließt auch der Satz. Zwei Tage brauchte der junge Schubert für die Vollendung dieses Finales, nur einen für Menuett und Trio.