„Klärchens Lied (Die Liebe)“, D 210, aus Egmont
Werkverzeichnisnummer: 1715
Freudvoll und leidvoll. Sehr langsam
Drei Frauengestalten Goethes – Klärchen, Mignon und Gretchen – nahm sich der junge Franz Schubert zum Vorbild für drei seiner schönsten Lieder. Die Gestalten und ihre Situationen brauchen kaum vorgestellt zu werden – sie haben Volkstümlichkeit erlangt. Die Lieder jedoch werfen Licht in eine der entscheidenden Entwicklungsphasen des Komponisten und des Kunstliedes überhaupt. Mit dem 19. Oktober 1814 nämlich, dem Tag, an dem „Gretchen am Spinnrade“ entstand, beginnt für Musikhistoriker gemeinhin die Romantik. Erstmals gelang es hier dem 17jährigen Schubert, den Schwebezustand zwischen Sehnsucht und Verzweiflung, die Unruhe des romantischen Herzens in eine archetypische Form zu bringen. Auch die anderen beiden Gesänge entstanden in dieser Zeit, im Juni und Oktober 1815, und auch sie sind Zeugnisse des „Himmelhoch jauchzend, zum Tode betrübt“, wie sich Klärchen im „Egmont“ ausdrückt.
Bis Ende 1815 schrieb Schubert in einem Sturm der Begeisterung 34 solcher Goethe-Gesänge. Sein Versuch jedoch, sich die Vertonungen vom Dichter sanktionieren zu lassen, schlug fehl: eine Sammlung von 16 Liedern, die Schubert im April 1816 an Goethe übersandte, blieb unbeantwortet. Die Mißachtung des Dichterfürsten konnte den Gesängen freilich ihren „authentischen“, erlebten Ton nicht nehmen.