Klavierquartett Es-Dur, WoO 36,1 | Kammermusikführer - Villa Musica Rheinland-Pfalz

Ludwig van Beethoven

Klavierquartett Es-Dur, WoO 36,1

Quartett Es-Dur für Klavier, Violine, Viola und Violoncello, WoO 36,1

Besetzung:

Werkverzeichnisnummer: 173

Satzbezeichnungen

1. Adagio assai – Allegro con spirito

2. Allegro con spirito
Thema con variazioni. Cantabile
Variation I
Variation II
Variation III. Adagio
Variation IV. Tempo I
Variation V
Variation VI
Thema: Allegretto

Erläuterungen

“Falls die Meinung zutrifft, daß in den drei Bonner Klaviersonaten (WoO 47) im Keim schon der ganze, zukünftige, echte Beethoven enthalten ist, so kann man dasselbe mit größter Berechtigung über die Klavierquartette WoO 36 sagen. Die leidenschaftliche, empfindliche Natur des Komponisten voller emotionaler Widersprüche liegt hier klar auf der Hand.”
Mit diesen Sätzen beginnt Larissa Kirillina eine Analyse der drei Klavierquartette von 1785, die den Anfang unseres Programms – Mozarts Violinsonate, KV 379, und Beethovens frühes Es-Dur-Quartett – hinreichend erklären: “Für die Historiker ist es schon längst kein Geheimnis mehr, daß die Quartette WoO 36 trotz ihrer Frische und Auffälligkeit nicht völlig als Originalwerke gelten können. Ohne jegliche Entlehnungen wurden sie nach den Schemata von drei Violinsonaten Mozarts geschrieben (das C-Dur-Quartett nach der Sonate KV 296, das Es-Dur-Quartett nach KV 379 und das D-Dur-Quartett nach KV 380). Möglicherweise hat sich Beethoven genau aus diesem Grunde der Veröffentlichung dieser Quartette zu Lebzeiten enthalten und sie als Schülerarbeiten betrachtet…
Die drei Klavierquartette erlauben ein eindeutiges ‘Ja’ auf die Frage, ob Beethoven bei Mozart lernte. Die eindeutigsten Spuren solcher Ausbildung sind im Es-Dur-Quartett enthalten, das in allen Details der Form von Mozarts Violinsonate G-Dur KV 379 buchstäblich abgeschrieben ist. Möglicherweise verrechnete sich der Anfänger ein wenig, wenn er ausgerechnet dieses Modell wählte, weil die Form dieser Sonate keinesfalls gewöhnlich ist. Seine Adagio- und Allegrosätze (G-Dur, g-Moll) bilden darin ein Ganzes …
Bei dem Adagio [von KV 379] handelt es sich weder um eine gewöhnliche Einleitung … noch um einen selbständigen Teil… Der Charme der melodischen Anfangswendung von Mozarts Adagio bezauberte ihn [Beethoven] so, daß er ihn im Es-Dur-Quartett praktisch genau zitierte. Ja, er erinnerte sich einige Jahre später daran, als er den langsamen Satz der Violinsonate op. 30, Nr. 2 schrieb. Aber die Form der Hauptthemen ist bei Mozart und Beethoven verschieden…, die weitere Entwicklung zeigt, daß Beethoven sogar in ganz jungem Alter in anderen Maßstäben dachte als Mozart …
Das Allegro in es-Moll ist der Ausdruckskraft nach eine echt Beethovensche Tat und unterscheidet sich wesentlich vom Modell. Schiedermair hat dies genau beschrieben: ‘Dieser Unterschied ist nicht allein durch Beethovens Jugend und Mozarts reife Meisterschaft bedingt, er liegt tiefer begründet im Wesen der beiden. Die seelischen Erregungen werden durch Mozart in knappster, konzentrierter Form künstlerisch gestaltet […] Beim jungen Beethoven dagegen droht der wilde Strom alle Schranken niederzureißen.’ …
In den Finalvariationen des Es-Dur-Quartetts fühlt man zugleich den Rückblick auf das Vorbild und die Auseinandersetzung mit ihm. Das Schema des Variationszyklus ist sehr genau nachgezeichnet, und zwar bis zum Zusammenfallen von Tempo- und Ausdruckbezeichnungen. Aber nachdem Beethoven die Moll- und Dur-Variationen umgestellt hatte, war er gezwungen, eine “überflüssige” Variation zu schreiben (Nr. 4). Mit ihrem finsteren Ausbruch erinnert die fünfte Variation (es-Moll) an den Sturm, der im Allegro wütete und den galanten Variationen ein rein Beethovensches Gefühl einer Idylle am Rande der Kluft verlieh.”