Trio e-Moll für Violine, Violoncello und Klavier, op. 67
Werkverzeichnisnummer: 1699
1. Andante – Moderato
2. Allegro con brio
3. Largo
4. Allegretto
Dmitri Schostakowitsch hat sein 2. Klaviertrio aus dem Jahre 1944 dem Andenken seines Freundes Iwan Sollertinski gewidmet. Dieser universal gebildete Musikwissenschaftler und langjährige Programmgestalter der Leningrader Philharmoniker hatte sich als Erster in der Sowjetunion für Gustav Mahlers Musik eingesetzt und als Kritiker bolschewistischer Kulturpolitik Schostakowitschs Wandlung vom linientreuen Absolventen des Petersburger Konservatoriums zum Stil-Individualisten der Oper Lady Macbeth von Mzensk gefördert.
Nach seinem überraschenden Tode im Februar 1944 im Alter von nur 41 Jahren schrieb Schostakowitsch an einen gemeinsamen Freund: “Wir werden ihn nie wiedersehen. Es fehlen die Worte, um den großen Schmerz auszudrücken, der mein ganzes Wesen quält.”
Das Klaviertrio verleiht der Betroffenheit dieser Zeilen Ausdruck. Es greift dabei auf eine Gruppe gegensätzlicher Satzcharaktere zurück, die für Schostakowitschs Sonatenzyklen insgesamt typisch sind und nicht unwesentlich von der Mahlerdeutung Sollertinskis beeinflusst waren. Die beiden Satzpaare des Trios gelangen, wie es Sollertinski in Mahlers Musik erkannte, “aus der Sphäre des subjektiv Lyrischen in die grausame Welt der sie umgebenden Wirklichkeit”. Dem subjektiven Lyrismus von Trauer und Klage sind der erste und dritte Satz zugeordnet.
Das Werk beginnt mit einem Trauermarschthema, vorgetragen in der eisigen Starre eines Cellosolos mit Dämpfer und Flageolett. Das Thema wird von Geige und Klavier in Fugenform aufgegriffen, allerdings im Terz-, nicht im Quintabstand. Dieses Fugato im Andante dient als langsame Einleitung für ein Moderato in Sonatenform, das mit trottenden Streicherachteln anhebt. Darüber spielt das Klavier das melodisch und sequenzierend geweitete Thema der Einleitung. Ihm treten zwei bewusst banale Themen rivalisierend gegenüber: eine absteigende Floskel und ein Gassenhauer der Violine mit Doppelgriffen, der den Ernst des Satzes zu verhöhnen scheint. Die hochdramatische Durchführung spielt mit dem Gegensatz dieser Themen, den die großartige Reprise im dreifachen Forte im Untersextkanon zwischen Streichern und Klavier zugunsten des Trauerthemas zu entscheiden scheint. Doch in der Coda klingt in dessen Ernst immer wieder provozierend der Gassenhauer hinein, so dass der Satz letztlich offen ausklingt.
Das Allegro con brio, ein beißend ironischer Tanz in Fis-Dur, knüpft unverkennbar an Mahlers Scherzi an. Es ist ein Sinnbild für das unaufhörlich rotierende Weltgetriebe und seine aufgesetzte, fratzenhafte Fröhlichkeit.
In scharfem Kontrast dazu errichtet das Largo ein Trauermonument in b-Moll. Es fußt, der barocken Form der Passacaglia folgend, auf einem achttaktigen Bassthema, dessen wie in Blei gegossene Akkorde das Klavier zu Beginn vorstellt. Über diesem Ostinato spinnen die Streicher in fünf, zum Teil kanonischen Durchläufen ihre klagenden Phrasen. Eine freie Coda auf H bereitet den attacca-Einsatz des Finales in E-Dur vor.
Dessen Spiel mit Zingharese-Melodien und Überraschungspausen à la Kodály symbolisiert die banale Wirklichkeit, deren Gleichschritt sich allmählich bis zu hemmungsloser Raserei steigert. Nach einem plötzlichen Umschlag der motorischen Staccati in Legatopassagen des Klaviers kehrt überraschend die Fuge der Einleitung wieder. Der danach wieder einsetzende Trott des Finales wirkt unwirklich, wie ein surrealistischer Marsch in den Tod, was die Wiederkehr früherer Themen am Ende zu bestätigen scheint. Schostakowitsch hat hier offenbar den Gegensatz zwischen dem von Sollertinski propagierten Individualismus und dem Kollektivzwang bolschewistischer Kultur auskomponiert und damit auf hintergründige Weise das Gedächtnis des Freundes “vor dem Vergessen bewahrt”.
2003
D. SCHOSTAKOWITSCH
Klaviertrio e-Moll, op. 67
Im Lauf des Zweiten Weltkriegs verlor Dmitri Schostakowitsch viele Freunde. Kein Verlust traf ihn so hart wie der Tod des Musikkritikers Iwan Sollertinski 1944. Sein 2. Klaviertrio aus diesem Jahr widmete er dem Andenken des Freundes. Der universal gebildete Musikwissenschaftler Sollertinski, langjähriger Programmgestalter der Leningrader Philharmoniker, hatte sich als erster in der Sowjetunion für Gustav Mahlers Musik eingesetzt. Als erklärter Kritiker bolschewistischer Kulturpolitik hatte er Schostakowitschs Wandlung vom linientreuen Absolventen des Petersburger Konservatoriums zum Stil-Individualisten der Oper Lady Macbeth von Mzensk gefördert und war notwendig mit Stalin in Konflikt geraten. Nach seinem überraschenden Tode im Februar 1944 im Alter von nur 41 Jahren schrieb Schostakowitsch an einen gemeinsamen Freund: “Wir werden ihn nie wiedersehen. Es fehlen die Worte, um den großen Schmerz aus-zudrücken, der mein ganzes Wesen quält.”
Das Klaviertrio verleiht der Betroffenheit dieser Zeilen Ausdruck. Es greift dabei auf eine Gruppe gegensätzlicher Satzcharaktere zurück, die für Schostakowitschs Sonatenzyklen insgesamt typisch sind und nicht unwesentlich von der Mahlerdeutung Sollertinskis beeinflusst waren. Die beiden Satzpaare des Trios gelangen, wie es Sollertinski in Mahlers Musik erkannte, “aus der Sphäre des subjektiv Lyrischen in die grausame Welt der sie umgebenden Wirklichkeit”. Dem subjektiven Lyrismus von Trauer und Klage sind der erste und dritte Satz zugeordnet.
Das Werk beginnt mit einem Trauerthema, das wie aus weiter Ferne erklingt: als Cellosolo mit Dämpfer und Flageolett. Es wird von Geige und Klavier in Fugenform aufgegriffen, allerdings im Terz-, nicht im Quintabstand. Dieses Fugato im Andante dient als langsame Einleitung für ein Moderato in Sonatenform, das mit trottenden Streicherachteln anhebt. Darüber spielt das Klavier das melodisch und sequenzierend geweitete Thema der Einleitung. Ihm treten zwei bewusst banale Themen rivalisierend gegenüber: eine absteigende Floskel und ein Gassenhauer der Violine mit Doppelgriffen, der den Ernst des Satzes zu verhöhnen scheint. Die hochdramatische Durchführung spielt mit dem Gegensatz dieser Themen, den die großartige Reprise im dreifachen Forte im Untersextkanon zwischen Streichern und Klavier zugunsten des Trauerthemas zu entscheiden scheint. Doch in der Coda klingt in dessen Ernst immer wieder provozierend der Gassenhauer hinein, so dass der Satz letztlich offen ausklingt.
Das Allegro con brio, ein beißend ironischer Tanz in Fis-Dur, knüpft unverkennbar an Mahlers Scherzi an. Es ist ein Sinnbild für das unaufhörlich rotierende Weltgetriebe und seine aufgesetzte, fratzenhafte Fröhlichkeit.
In scharfem Kontrast dazu errichtet das Largo ein Trauermonument in b-Moll. Es fußt, der barocken Form der Passacaglia folgend, auf einem achttaktigen Bassthema, dessen wie in Blei gegossene Akkorde das Klavier zu Beginn vorstellt. Über diesem Ostinato spinnen die Streicher in fünf, zum Teil kanonischen Durchläufen ihre klagenden Phrasen. Es ist einer der großen Trauersätze Schostakowitschs aus den Jahren des Zweiten Weltkriegs, eines seiner Fanale für die Opfer von Krieg und Verfolgung.
Eine freie Coda auf H bereitet den attacca-Einsatz des Finales in E-Dur vor. Dessen Spiel mit Zingharese-Melodien und Überraschungspausen à la Kodály symbolisiert die banale Wirklichkeit, deren Gleichschritt sich allmählich bis zu hemmungsloser Raserei steigert. Nach einem plötzlichen Umschlag der motorischen Staccati in Legatopassagen des Klaviers kehrt überraschend die Fuge der Einleitung wieder. Der danach wieder einsetzende Trott wirkt unwirklich, wie ein surrealistischer Marsch in den Tod, was die Wiederkehr früherer Themen am Ende zu bestätigen scheint. Schostakowitsch hat hier offenbar den Gegensatz zwischen dem von Sollertinski propagierten Individualismus und dem Kollektivzwang bolschewistischer Kultur auskomponiert und damit auf hintergründige Weise das Gedächtnis des Freundes “vor dem Vergessen bewahrt”. Mit eingearbeitet hat er jüdische Themen, ähnlich denen, die Copland 1929 zitiert hatte.
Karl Böhmer