Sonate für Violine und Klavier, op. 134
Werkverzeichnisnummer: 1697
1. Andante
2. Allegretto
3. Largo
Dimitri Schostakowitsch wurde 1906 im zaristischen St. Petersburg geboren, begann sein Studium zwei Jahre nach der Oktoberrevolution 1919 in der selben Stadt unter ihrem neuen Namen “Petrograd” und setzte ihr schließlich 1941 mit der Leningrader Symphonie das eindrucksvollste Denkmal. Die Namensänderungen seiner Stadt mögen andeuten, wie eng Schostakowitschs Leben und Musik mit den großen Veränderungen der russischen Gesellschaft in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts verknüpft sind. In jedem seiner reifen Werke ist dieser Hintergrund zu spüren, auch in seinem ersten Violinkonzert. op. 77, das ursprünglich die Opuszahl 99 trug.
Es wurde 1947-48 komponiert, zwei Jahre nach dem Ende des “Großen Vaterländischen Krieges”, aus dem Stalin als der strahlende Held hervorgegangen war, obwohl jedem in Russland das Elend der zerstörungen und Kriegsverbrechen wie die radikalen Säuberungen des Diktators bewusst waren. Schostakowitsch stand seit 1936 unter schärfster Beobachtung seitens der Parteifunktionäre – seit man ihm zum ersten Mal westlichen Formalismus vorgeworfen hatte. Im Zweiten Weltkrieg waren Person und Musik des Komponisten zum Gegenstand der Identifikation geworden. Das Foto Schostakowitschs mit Helm bei der Belagerung Leningrads ging um die Welt, und seine schon erwähnte “Leningrader Symphonie” setzte dem Ringen seines Volkes ein bewegendes und monumentales Denkmal. Dennoch musste sich der Komponist nach dem Ende des heißen Krieges auf die Gesetze des Kalten Krieges einstellen, und das bedeutete in Russland: Kulturfaschismus, kontrolliert von Shdanow. Unter diesen Bedingungen war es ratsam, ein Werk wie das erste Violinkonzert erst einmal in der Schublade liegen zu lassen, bis sich die Verhältnisse unter Kruschtschow gelockert hatten.
Erst 1955 spielte David Oistrach die Uraufführung des ihm gewidmeten Werkes. Es ist das längste und bedeutendste Solokonzert von Schostakowitsch, der hier im Gegensatz zu allen seinen anderen Solokonzerten von der klassischen dreisätzigen Form abwich. Die vier Sätze ergeben eine Art Suite, die teils auf barocke, teils auf romantische Traditionen zurückgreift. Im ersten Satz hat Schostakowitsch die romantische Form des Nocturne wieder aufleben lassen, und zwar als weitgespannte Violinkantilene, die alle Register des Instruments und seine Doppelgriffe ausschöpft. Als zweiten Satz wünschte sich Oistrach etwas “Unheilvolles, Dämonisches, Fieses”, was ihm Schostakowitsch nicht vorenthielt. Viele Scherzi des Komponisten sind doppelbödige, dämonische Sätze, so auch dieses. Ein weiterer, von Schostakowitsch in den 40er Jahren gerne benutzter Satztypus ist die Passacaglia, die barocke Variation über einen ostinaten Bass. Wie im e-Moll-Klaviertrio von 1944 ist es ein reich strukturierter Dialog zwischen der Violine und verschiedenen Gruppen des Orchesters. Eine lange Solokadenz leitet von der Passacaglia zum burlesken Finale über, hinter dem man eine ausgelassene Volksszenerie vermutet hat. Eine Reminiszenz an die Passacaglia mitten im Finale bindet das Werk zur Einheit.