Kammersinfonie, op. 110 a | Kammermusikführer - Villa Musica Rheinland-Pfalz

Dimitri Schostakowitsch

Kammersinfonie, op. 110 a

Kammersinfonie, op. 110 a

Besetzung:

Werkverzeichnisnummer: 1684

Satzbezeichnungen

1. Largo

2. Allegro molto

3. Allegretto

4. Largo

5. Largo

Erläuterungen

Bei der Kammersymphonie, op. 110a, von Dimitri Schostakowitsch handelt es sich um die Bearbeitung seines achten Streichquartetts, op. 110, für Streichorchester. Der Leiter des Moskauer Kammerorchesters, Rudolf Barshai, nahm sie mit Genehmigung des Komponisten vor. Schostakowitsch schrieb sein achtes Quartett 1960 in der Nähe von Dresden. Er hielt sich dort zu Dreharbeiten für den sowjetischen Film Fünf Tage und fünf Nächte auf, der die Zerstörung der Stadt im zweiten Weltkrieg dokumentieren sollte. Die Interviews, die dazu mit Augenzeugen geführt wurden, beeindruckten ihn so sehr, dass er in nur drei Tagen das Quartett schrieb und es den Opfern des Krieges und des Faschismus widmete.

Das Stück ist ein Schlüsselwerk des Antifaschisten Schostakowitsch, der sein gesamtes Schaffen als Trauerarbeit für die Opfer verstand. Zugleich sollte es sein eigenes Requiem sein. Daraus erklärt sich die Fülle von Zitaten aus früheren Werken, die das Quartett enthält und die wie Signaturen des Komponisten erscheinen (1. und 5. Symphonie, 2. Klaviertrio, 1. Cellokonzert, Lady Macbeth von Mzensk). Zudem liegt Schostakowitschs eigentliche musikalische Signatur- das aus seinen Inititalen gebildete Viertonmotiv D(E)S C H – allen Sätzen als Motto zugrunde. Der tief persönliche Zug, das Bekenntnis spricht in diesem Werk aus jedem Takt.

Am Beginn steht ein langsames Fugato über das Mottothema. Es kehrt am Ende des Quartetts fast unverändert wieder, so dass insgesamt eine fünfteilige Bogenform entsteht. Nach der Fugenexposition tritt das Thema überraschend in feierlichem Moll auf. Dieser Kontrast zwischen freitonalen, dissonanten Bildungen und reiner Tonalität prägt das gesamte Werk. Weitere Themen des ersten Satzes sind chromatische Läufe, ein Quartmotiv und ein Zitat aus der 5. Symphonie.

Äußerste Klanghärten prägen den zweiten Satz. Sie sind unschwer als Metaphern für faschistische Gewalt zu verstehen: im Lauf des Satzes werden alle Themen des ersten, einschließlich des Mottos, brutal entstellt. Nur ein jüdischer Klagegesang aus dem Finale des e-Moll-Klaviertrios scheint zu protestieren.

Im Stile eines Mahlerschen Scherzos wird das Motto im dritten Satz verwandelt – in einen ironischen Walzer voller Banalitäten. Wieder setzt der Mittelteil einen atmosphärischen Kontrast. Chromatische Läufe in Quintparallelen wehen über eine Cellomelodie hinweg.

Im vierten Satz schrieb Schostakowitsch sein Fanal für die Opfer. Perkussive Akkordschläge rufen das Bild einer Hinrichtung wach. Nur allzu vertraut war dem Komponisten die Szenerie der Massenhinrichtungen unter Hitler und Stalin. Die langen Töne der ersten Violine, aus dem Scherzo heraus entwickelt, legen sich beklemmend über den Satz. Im Mittelteil gehen sie in einen Klagegesang in cis-Moll über, worüber sich eine Melodie des Cellos dolce in höchster Lage erhebt.

Aus Fragmenten tritt allmählich das Motto wieder hervor. Es wird im Finale einer ausführlichen Fuge mit Gegenthema unterzogen, bevor das Fugato des ersten Satzes wiederkehrt. An seinem Schluss steht, unverkennbar programmatisch, eine Dissonanz, die sich „ersterbend“ (morendo) auflöst.