Violinsonate | Kammermusikführer - Villa Musica Rheinland-Pfalz

Alfred Schnittke

Violinsonate

Sonate Nr. 1 für Violine und Klavier

Besetzung:

Werkverzeichnisnummer: 1667

Satzbezeichnungen

1. Andante

2. Allegretto – Largo

3. Allegretto scherzando

Erläuterungen

Die Jahre der Perestroika waren auch für die russische Musik Jahre der Öffnung: Solisten wie Gidon Kremer, Dmitry Sitkovetsky oder Boris Pergamenschikow drückten dem westlichen Musikleben ihren Stempel auf. Vehement wiesen sie auf die großen Komponistinnen und Komponisten ihres Landes hin – auf Sofia Gubaidulina, Edison Denissow, Alfred Schnittke und viele andere.

Schnittke wollte die Frage, ob er eigentlich ein russischer Komponist sei, nicht eindeutig beantworten: „Ich bin halb Deutscher, halb Jude und lebe in Russland – da gibt es keine Lösung.“ Er wurde 1934 in der damals noch autonomen Sowjetrepublik der Wolgadeutschen geboren. Später war sein Vater Herausgeber einer deutschsprachigen Zeitung der russischen Besatzungstruppen in Wien, so dass Schnittke dort seine erste musikalische Ausbildung erfuhr. Die Wiener Schule, vermittelt durch einen Schüler Weberns, wurde zum prägenden Eindruck. „Ich gehöre schon zur russischen Schule, aber nicht zu jenen Komponisten, die nur ‚national’ komponieren … Ich meine, ich bin wohl ein Produkt der russischen Musikentwicklung, aber gleichzeitig auch der deutschen Musik, und nicht nur der modernen, sondern auch der frühen.“

Bereits in seiner Ausbildung gewann Schnittke ein ungezwungenes Verhältnis zur älteren Musik, das ihn von der strengen Avantgarde des Westens unterschied: „Für mich bedeutete die Musikgeschichte nicht schon etwas Ödes aus der Vergangenheit, sondern sie war etwas Lebendiges.“ Aus seiner Begeisterung für die Barockmusik formte er das Modell einer polystilistischen Moderne: Für ihn sollten alle Musikstile im Sinne einer „Zeitspirale“ verfügbar sein. In den Siebziger Jahren nahm diese Vision Gestalt an, etwa in den Concerti grossi, die Schnittke für Gidon Kremer komponierte.

Seine Violinsonaten hat er freilich für einen anderen Geiger komponiert: für Mark Lubotsky, der später in Hamburg sein Nachbar wurde, als der Komponist 1991 in die Hansestadt übersiedelte. Schon ein Vierteljahrhundert früher – im April 1964 – hatte Schnittke dem jungen Lubotsky die Uraufführung seiner 1. Violinsonate anvertraut, die er fünf Jahre später zur Sonate für Violine und Kammerorchester umformte. Richard Whitehouse beschrieb das Werk folgendermaßen:

„Der erste Satz (Andante) ist im wesentlichen ein Präludium, ein Vorspiel zum Folgenden: Die Violine spielt ein expressives Thema, das immer kraftvoller wird, je mehr das Klavier insistiert. Die ständige Steigerung des Ausdrucks mündet freilich in einen zwielichtigen Schluss aus gezupften Geigentönen und brütenden Klavierakkorden.

Der zweite Satz (Allegretto) beginnt mit einem kapriziösen Schlagabtausch zwischen den beiden Instrumenten, der bald einem lyrischen Geigenthema über trippelnder Klavierbegleitung Platz macht. Der erste Gedanke kehrt wieder, wobei die Rhythmen im Klavier immer heftiger werden und zu einer leidenschaftlichen Reprise des lyrischen Themas führen. Eine unerwartete Klavierkadenz leitet direkt in den dritten Satz (Largo) über. Die Violine entfaltet ihren Gesang in den weiten Bögen eines melodiösen Themas, das freilich von einer ironischen Klavierbegleitung konterkariert wird. Nach einem kurzen, dramatischen Höhepunkt verhallt die Musik in den höchsten Lagen der Violine.

Das Finale (Allegretto scherzando) wird vom Klavier mit einem munter voranschreitenden Thema eröffnet, worauf die Violine bereitwillig antwortet. Eine Überleitung führt zu einem neuen Gedanken, der, gespickt mit ätzender Ironie, gleichsam im Raum herumstolziert. Allmählich wird die Musik ruhiger, bis die Violine plötzlich auf einem ausgehaltenen Dreiklang landet, während das Klavier mit steifen Einwürfen antwortet. In spöttischem Ton wird das erste Thema wieder aufgenommen und bringt das Stück zu einem unsicheren Ende.“ (Richard Whitehouse)