Quartett cis-Moll für zwei Violinen, Viola und Violoncello, op. 131
Werkverzeichnisnummer: 168
1. Adagio, ma non troppo e molto espressivo
2. Allegro molto vivace
3. Allegro moderato
4. Andante, ma non troppo e molto cantabile
5. Presto
6. Adagio quasi un poco andante
7. Allegro
Kaum war das cis-Moll-Quartett von Beethoven im Druck erschienen, löste es schon die heftigsten ästhetischen Kontroversen aus. Ein Pariser Kritiker nannte es „le dernier effort d´une imagination en delire“, die neueste Leistung einer Einbildungskraft im Delirium!
2004:
LUDWIG VAN BEETHOVEN
Quartett cis-Moll, op. 131
Zu den glücklichen Momenten nicht nur der Wiener Musikgeschichte gehört jener Tag des Jahres 1823, an dem der Geiger Ignaz Schuppanzigh in seine Heimatstadt zurückkehrte. Der ebenso korpulente wie feurige Violinvirtuose, den Beethoven liebevoll „Milord Falstaff“ nannte, nahm umgehend seinen Posten als Primarius im 1804 gegründeten eigenen Streichquartett wieder auf. Diesem Umstand, der Aura des Wiener Primarius Schuppanzigh, haben wir die späten Streichquartette Beethovens zu verdanken.
Diese fünf Opera 127, 130, 131, 132 und 135, sowie die Große Fuge, op. 133, waren allesamt Schuppanzighs kurzen Fingern auf den geigerischen Leib geschneidert. Dies bedeutete keineswegs, dass der gestrenge Meister mit seinem Primarius gefällig umgegangen wäre: Die berüchtigten klanglichen Schwierigkeiten dieser Quartette bekamen Schuppanzigh und seine Kollegen Holz (2. Violine), Weiss (Bratsche) und Linke (Cello) mit gnadenloser Härte zu spüren. Zwei Wochen Proben reichten nicht aus, um die Uraufführung des Quartetts Opus 127 sauber zu absolvieren, was Beethoven zu einem fürchterlichen Wutanfall veranlasste. Dennoch leitete Schuppanzigh auch die Premieren der folgenden späten Quartette, so auch des cis-Moll-Quartetts, op. 131.
Der englische Dichter und Musikkritiker George Bernard Shaw dürfte einer der wenigen Hörer gewesen sein, die nicht vor dem Riesenbau dieses Werkes in Ehrfurcht erstarrten: Nach einer Aufführung des cis-Moll-Quartetts 1894 in London stellte er fest, dass Beethovens späte Quartette im Konzert normalerweise weit besser klängen als seine mittleren, und er fügte in typischer Überspitzung hinzu: „Warum sollte man mich dazu zwingen, die absichtsvollen Intellektualismen, theatralischen Finten und seltsamen Capricen des selbstbewussten Genies anzuhören, wie sie für den mittleren Beethoven so typisch sind und von denen wir mit größtem Ernst zu reden haben, während ich doch diese schönen, simplen, geradlinigen, unprätentiösen, vollkommen verständlichen späten Quartette bevorzuge? Schreckt man vor ihnen nur deshalb zurück, weil sie die Professoren einst für dunkel und unmöglich erklärt haben?“ Erst in den letzten 50 Jahren haben Beethovens späte Quartette ihren Siegeszug durch die Konzertsäle angetreten und damit das Verdikt jener Professoren ebenso widerlegt, wie sie Shaws Urteil bestätigten. Die Quartette sind in ihrer unkonventionellen Satzfolge, der Hingabe an Klangspiel und Sanglichkeit ein Hörgenuss ohnegleichen – trotz aller von der Analyse aufgedeckten Tiefenschichten.
Im cis-Moll-Quartett, das Beethoven als vorletztes im Oktober 1826 fertig stellte, scheinen zunächst Ernst und intellektueller Anspruch zu überwiegen. Die einleitende Adagio-Fuge zieht im Duktus eines Bach und Palestrina reflektierenden Kontrapunkts dahin, und sie spart nicht mit satztechnischer Kunst wie Engführung und Vergrößerung. Freilich offenbart sich im Schmerzensgestus des Themas mit seinen zwei kleinen Sekundschritten (h-cis-a-gis) und in den wundersamen harmonischen Verwandlungen eine Humanität der Polyphonie, wie wir sie aus der Missa solemnis und den Fugen der späten Klaviersonaten kennen. Unvermutet lichtet sich die düstere Szene im folgenden Allegro molto vivace, einer selig singenden Pastorale in der Tonart des Neapolitaners D-Dur.
Auf ein instrumentales Rezitativ (3. Satz, Allegro moderato) folgt anstelle der Arie ein wunderbar gelöstes A-Dur-Andante, an das sich sieben Variationen anschließen. Mit Recht hat man diesen Satz ein Quartett im Quartett genannt, enthalten die Variationen doch alle Satzcharaktere eines vollständigen Streichquartetts: Andante mit 1. Variation als Einleitung, ein più mosso als Quasi-Allegro über gleichmäßigen Staccatoakkorden, ein seufzendes Andante mit Dialogen der Unter-und Oberstimmen, zwei wundersame Adagiosätze, die ein Quasi-Scherzo in Doppelgriffen einrahmen, und ein kapriziöses Allegretto-Finale.
Auf dessen Pizzicato-Schluss folgt das eigentliche Scherzo des Quartetts, ein fast 500 Takte langes Pulsieren aller Stimmen in Staccato-Achteln und quicklebendigen Dreiklangsthemen.
Das cis-Moll-Finale mit seinem ruppigen Hauptthema wird von einem gis-Moll-Adagio eingeleitet, in dem die Bratsche die melodische Führung hat. Auf diese Weise reihen sich im gesamten Quartett, das Scherzo ausgenommen, die Sätze zu Paaren: Fuge und Allegro, Rezitativ und Arie (Variationen), Scherzo, langsame Einleitung und Finale.