“Armonia per un Tempio della Notte” (Harmoniemusik für einen Tempel der Nacht)
für zwei Oboen, zwei Klarinette, zwei Hörner und zwei Fagotte
Werkverzeichnisnummer: 1638
Andante un poco sostenuto –
Un poco lento – L’istesso tempo – Tempo I
1996
Antonio Salieri: Armonia per un tempio della notte
Der Grund für die eingangs beschriebene, “geschwind” zu schreibende Nacht Musique Mozarts war die Nachricht, Kaiser Joseph II. wolle sich nach dem Vorbild des Adels eine Harmoniemusik einrichten. Dies versetzte nicht nur Mozart in fieberhafte Eile, sondern auch seinen Konkurrenten Antonio Salieri, der damals noch nicht kaiserlicher Hofkapellmeister, sondern nur ein vom Kaiser protegierter Hofkomponist war und deshalb auf Gunstbeweise angewiesen. Man geht wohl nicht fehl in der Annahme, daß seine fünf erhaltenen Harmoniemusiken für die kaiserlichen Bläser bestimmt waren, wachte Joseph II. doch eifersüchtig über die musikalischen Wege seines Schützlings.
Die merkwürdige Bezeichnung der einsätzigen Es-Dur-Serenade Armonia per un tempio della notte deutet auf eine Aufführung in einem “nächtlichen Tempel” hin, wohl einer Gelegenheitsarchitektur, die für eine der damals rasend beliebten Illuminationen im Garten von Schönbrunn oder einem anderen kaiserlichen Schloßpark errichtet worden war. Noch der vierte Akt von Mozarts Le nozze di Figaro gibt etwas von der Atmosphäre dieser nächtlichen Pavillons wieder, und zwar in ganz ähnlichen Es-Dur-Triolen-Klängen, wie sie hier Salieri gebraucht.
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Variationen über das altehrwürdige Thema der “Follia” wurden meist für kleine Besetzungen geschrieben, für Gambe und Laute, eine oder zwei Violinen und Cembalo, vom ausgehenden 16. bis ins frühe 18. Jahrhundert hinein. Geographisch spannt sich der Bogen vom Spanien der Renaissance, wo das Thema an der Seite von “Chacona” und “Passacalle” das Licht der Welt erblickte und zuerst verarbeitet wurde, bis ins Italien und Frankreich des Barock, bis hin zu den berühmten Fassungen von Corelli, Vivaldi und Marais. Selbst Johann Sebastian Bach hat das berühmt-berüchtigte Variationenthema in seiner “Bauernkantate” noch einmal kurz anklingen lassen, sein Sohn Carl Philipp widmete ihm Cembalovariationen.
Innerhalb dieses gesamten unüberschaubaren Repertoires bilden die Orchestervariationen von Antonio Salieri eine Ausnahme und ein Kuriosum. Kaum ein anderer Komponist wäre im frühen 19. Jahrhundert auf die Idee gekommen, das Thema mit seiner festen Akkordfolge im strengen d-Moll und dem starren Rhythmus einer Sarabande noch einmal zu bearbeiten, schon gar nicht für großes Orchester. Dem alten Salieri kam dieser Einfall im Jahre 1815 in Wien und er hat sich der Aufgabe nach eigener Angabe “durante un quarta d’ora”, innerhalb einer Viertelstunde, entledigt.
Diese Zeitspanne kann sich allenfalls auf die Skizze der 26 Variationen in Particellform beziehen, ist doch das Interessanteste an diesen immerhin 446 Takten die Instrumentierung. Für ihre Ausarbeitung dürfte Salieri weit mehr als nur eine Viertelstunde benötigt haben, schon allein der vielen Noten wegen, die er der Soloharfe und der Solovioline neben den Bläsern zugedachte. Wer Salieri nur als Zeitgenossen Mozarts kennt, dürfte vom hochromantischen Klangkolorit dieses Werkes überrascht sein. Von der großen Trommel über die Posaunen bis hin zum Harfensolo wird hier so manches benutzt, was unzweideutig auf Schubert und Rossini verweist. Es war Schuberts Lehrer Salieri, der diese Variationen schrieb, nicht der einstige Konkurrent Mozarts.
Die Klarinetten und Fagotte spielen das Thema zuerst, reichen es dann an die sordinierten Violinen weiter, die es in bizzaren Staccato-Sextolen verarbeiten. Das Thema wandert in die Holzbläsergruppe, von aufbrausenden Streichertriolen begleitet, bevor sich überraschend die Harfe einmischt und es in rauschenden “Arpeggi” vorführt, vom “Gran Tamburro” begleitet. Auch die späteren Variationen bergen so manche Überraschung wie etwa einen Fandango, den die Streicher “col legno” spielen, oder ein “Adagio maestoso” mit pompösen Trillern und einem zarten Violinsolo. In der 10. Variation tritt das Posaunentrio mit Pauke und Fagotten auf den Plan, dem die Flöte in einem arabesken Solo antwortet. Von da an beschleunigt sich die Gangart, folgt eine atemlose Variation auf die nächste, wobei besonders der Konzertmeister in seinen Soli viele brillante Passagen zu spielen hat. Bis zum rauschenden Schluss sorgen noch drei langsame Abschnitte für idyllische Intermezzi: erst ein Larghetto mit Violin-Echos, dann ein Andante pastorale der Bläser, schließlich ein weiteres Harfensolo. Natürlich endet das Ganze mit dem Brio und der Grandezza des Italieners.
Ob im übrigen der Titel des Werkes (“Die Verrücktheit”) und der Zeitpunkt seiner Entstehung (mitten im Wiener Kongress) in einem inneren Zusammenhang stehen, ist nicht bekannt.