Streichquartett Es-Dur, op. 74 | Kammermusikführer - Villa Musica Rheinland-Pfalz

Ludwig van Beethoven

Streichquartett Es-Dur, op. 74

Quartett Es-Dur für zwei Violinen, Viola und Violoncello, op. 74, „Harfenquartett“

Besetzung:

Werkverzeichnisnummer: 166

Satzbezeichnungen

1. Poco Adagio – Allegro

2. Adagio ma non troppo

3. Presto – Più presto quasi prestissimo

4. Allegretto con Variazioni

Erläuterungen

Sein Es-Dur-Quartett Opus 74 schrieb Ludwig van Beethoven im Sommer und Herbst 1809 in Baden bei Wien. Noch im Frühjahr wäre es lebensgefährlich gewesen, sich aus der Stadt hinaus zu wagen: Im Mai tobte vor den Toren Wiens die Schlacht bei Aspern, eines der blutigsten Gemetzel der Napoleonischen Kriege. In nur 30 Stunden ließen mehr als 40.000 Soldaten ihr Leben im Kampf um die Vorherrschaft in Europa. Dass es Napoleon nicht gelang, einen eindeutigen Sieg zu erringen, wirkte in Österreich wie eine Siegensnachricht. Hoffnung keimte auf am Horizont der unterdrückten Nationen Europas.

Etwas davon legte Beethoven in sein neues Quartett, das in einer Atmosphäre brütender Schwermut beginnt, im ersten Allegro sich idyllischen Visionen des Friedens hingibt, um in Adagio und Scherzo – für die Zeitgenossen unmissverständlich – tiefste Depression und wilden Kampfesmut auszudrücken. Als Finale schrieb Beethoven einen seiner schönsten Variationensätze, der in der utopischen Beschwörung von Frieden in Freiheit gipfelt.

Das Quartett erschien 1810 bei Breitkopf & Härtel mit einer Widmung an den Fürsten Franz Joseph von Lobkowitz und wurde von der Musikkritik sofort mit größter Aufmerksamkeit bedacht. Die Rezension in der Allgemeinen Musikalischen Zeitung von 1811 beweist, wie deutlich dem damaligen Publikum die Affekte und Bilder in der Beethovenschen Musik vor Augen standen, wie harsch aber auch die Kritik an den zunehmend eigenwilligen Gedankengängen des Meisters ausfiel. Seinen nicht von Beethoven stammenden Beinamen „Harfenquartett“ verdankt das Werk übrigens der in der Rezension erwähnten „launigen Pizzicato-Stelle“ im ersten Satz:

„Das vorliegende neue Quartett des Verfassers (Es u. As dur) ist nun mehr den letztern, als den frühern Arbeiten desselben ähnlich. Mehr ernst als heiter, mehr tief und kunstreich als gefällig und ansprechend, übt es, wie jedes geniale Werk, an dem Hörer eine gewisse Gewalt aus; doch nicht gerade, um ihn viel zu liebkosen.

Der erste Satz fängt mit einem sehr ernsthaften, fast finstern poco adagio an, das, tief eingreifend, zu dem folgenden Allegro eine treffliche Einleitung sein würde, wenn es sich nicht gegen das Ende hin in einen unnötigen Wirrwarr harter Dissonanzen verlöre.

Das folgende Allegro – ernsthaft im Ganzen – ist ein so originelles, aus verschiedenartigen Gedanken und Einfällen zusammengesetztes Stück – eben so schwierig auszuführen, als in seinen wunderbaren Verschlingungen überall zu verfolgen –, dass es kaum möglich ist, es bestimmt zu charakterisieren. Der Ernst, womit es beginnt, wird bald durch die launige Pizzicato-Stelle unterbrochen. Der geringe melodische Zusammenhang, und das humoristische Hin- und Herschweifen von einem Einfall zum andern, geben ihm mehr das Ansehen einer freien Phantasie, als eines geregelten Ganzen.

Das darauf folgende, in 3/8 Takt geschriebene, sehr lange Adagio – ein dunkles Nachtstück – atmet mehr noch, als finstre Schwermut, und scheint uns in der düstern Verworrenheit, worin es sich, besonders in der letzten Hälfte, verliert, hart an der Grenze der schönen Kunst hin zu streifen, die bewegen, aber nicht foltern soll. Wir glauben, dass es jungen Künstlern sehr nützlich sein würde, dieses Adagio in seinen harmonischen Wendungen und Fortschreitungen zu studieren; doch nicht gerade, um es überall nachzuahmen.

Einen schneidenden Kontrast damit macht das darauf folgende Presto im 3/4 Takt, das in einem etwas wilden Unisono anhebt, und diesen Geist eines rauen, wilden Mutes durchgehends behauptet. Man kennt die kühne, bestimmte, scharfe Individualität, in der Beethoven die letzten raschen Sätze seiner Quartetten zu schreiben pflegt. Das vorliegende scheint den Hörer plötzlich unter die kriegerischen Tänze einer wilden Nation zu versetzen.

Das Andante con Variazioni, das den Beschluss dieses originellen Werks macht, weicht von dem, was man sonst in dieser Art zu hören gewohnt ist, ziemlich ab. Auch hier hat der Verfasser, statt des Gefälligen und Bekannten, etwas Tieferes und Originelles gegeben, wodurch auch dieses sich dem Ganzen völlig anschließt.

Beethovens Genius bedarf unserer Lobreden nicht, und wird schwerlich auf unsere Wünsche achten. Doch wenn der Künstler – er sei Dichter oder Tonsetzer – sich, unbekümmert um Einheit und Reinheit des Effekts, nur seinem subjektiven Phantasiespiel glaubt hingeben zu dürfen, um das Schöne zu schaffen: so darf der kunstliebende Empfänger sich an die objektive Einheit und Schönheit des Produkts allein halten, und anzeigen, was ihm darin den reinen, vollen Genuss gestört habe. Schreiber dieses gesteht mit der ihm zur Natur gewordenen Aufrichtigkeit, die Pflicht ist, in der Kunst, wie im Leben, und mit der Überzeugung, dass die Freunde der freundlichen Kunst mit ihm gleich denken: er könne nicht wünschen, dass die Instrumental-Musik sich in diese Art und Weise verliere. Aber am wenigsten wünsche er dieses bei dem Quartett – einer Gattung, die zwar des sanften Ernstes und der klagenden Schwermut fähig, doch nicht den Zweck haben kann, die Toten zu feiern, oder die Gefühle des Verzweifelnden zu schildern.“
(Allgemeine musikalische Zeitung, 1811)