"Chiffre VI" | Kammermusikführer - Villa Musica Rheinland-Pfalz

Wolfgang Rihm

"Chiffre VI"

“Chiffre VI” für Bassklarinette oder Es-Klarinette, Kontrafagott, Horn, zwei Violinen, Viola, Violoncello und Kontrabass

Besetzung:

Werkverzeichnisnummer: 1572

Satzbezeichnungen

Erläuterungen

Im Jahre 1824 begann mit Franz Schuberts Oktett eine bis heute ungebrochene Tradition: das Komponieren von Stücken in einer vorgegebenen, nämlich eben der Schubertschen Oktettbesetzung (Klarinette, Horn, Fagott und Streichquintett). Schon Schuberts Werk war von dem Klarinette blasenden Grafen Troyer ausdrücklich als Ergänzung zu Beethovens Septett, op. 20, in Auftrag gegeben worden – wobei Schubert der Beethovenbesetzung eine 2. Violine hinzufügte. In dieser Weise haben immer wieder Ensembles, die ihrerseits Schuberts Oktett aufführen wollten, Komponisten ihrer Zeit gebeten, dazu Ergänzungen in der gleichen Besetzung zu schreiben. Auf diese Weise ist auch das Werk Wolfgang Rihms zustandegekommen: er schrieb sein 6minütiges Werk Chiffre VI bewußt in Anlehnung an Schubert, wenn er auch dessen Besetzung durch den Gebrauch von Baß- und Es-Klarinette sowie Kontrafagott leicht variierte.

Wolfgang Rihm zählt heute zu den Leitfiguren der zeitgenössischen Musik – nicht nur in Deutschland. Er trat in den 70er Jahren als Herausfoderer jener dogmatischen Avantgarde auf, die gerade sein Lehrer Stockhausen zeitweilig repräsentierte.

“Als Mitte der 70er Jahre der damals erst 22jährige Wolfgang Rihm mit einigen Orchesterstücken einer breiteren Öffentlichkeit bekannt wurde, begannen sich schon bald nach seinem ersten Auftreten die Reaktionen auf seine Musik zu polarisieren – und das in einer Heftigkeit, die zehn Jahre später schon fast wieder überraschen mag. Rihms theoretisch und praktisch vertretene Forderung nach einem unverstellten und durch keine Systeme gezügelten Ausdruck, sein mit größter Vehemenz vertretenes Postulat, die Musik müsse voller Emotion, die Emotion aber voller Komplexität sein, provozierte bald heftigen Widerspruch.

Rihms Ausdrucksbedürfnis war nicht zuletzt ein Reflex jener Tatsache, daß die Frage des musikalischen Ausdrucks lange Zeit mit einem Tabu belegt war, ein blinder Fleck in den musikästhetischen Reflexionen der 50er und 60er Jahre. Daraus erklärt sich zunächst das hartnäckige Mißverständnis, welches Rihms kompositorisches Credo als Rückzug in die Innerlichkeit, als ästhetische Formulierung eines Abgehens von den heroischen Prinzipien der Avantgarde hin zu erfolgversprechenden Konzertsälen interpretierte….
Als 1977 eine Veranstaltung des Westdeutschen Rundfunks unter dem Titel “Neue Einfachheit” posierte, war ein Schlagwort aus der Taufe gehoben, das heterogenste musikalische Tendenzen der 70er Jahre zusammenfassen sollte und auch Rihm angeheftet wurde. Auch wenn das Schlagwort auf viele Partituren dieser Zeit zutreffen mag, bei Rihm zielt es in entscheidenden Bereichen daneben.” (Peter Osswald: Als Chiffre von Freiheit) Heute, zu Beginn der 90er Jahre, ist die Diskussion über “Neue Einfachheit” abgeschlossen: Rihm ist als einer der führenden zeitgenössischen Komponisten akzeptiert, die extreme Expressivität seiner Partituren als eine Facette Neuer Musik weithin anerkannt.
Einer der Schwerpunkte von Rihms Werk in den 80er Jahren war der Zyklus Chiffren, den er 1988 mit Chiffren VIII abschloß. Es handelt sich dabei um einsätzige, 6- bis 15minütige Instrumentalwerke in verschiedenen Kammerbesetzungen bis hin zum Orchester. Zu der Bedeutung des Titels und des Zyklus insgesamt schreibt Rihm:
“In den Kompositionen des Chiffre-Zyklus versuche ich, freie musikalische Zeichen und Gestalten zu setzen.
Die Musik entsteht völlig frei aus der Fantasie-Spannung.
Die Klangschrift schreibt sich selbst im Augenblick ihrer Aufzeichnung.
Nicht: Automatik, sondern: Setzung.
Bewußte Unbewußtheit.
Inschrift.
Körper.”