Streichtrio a-Moll, op. 77b | Kammermusikführer - Villa Musica Rheinland-Pfalz

Max Reger

Streichtrio a-Moll, op. 77b

Trio a-Moll für Violine, Viola und Violoncello, op. 77b

Besetzung:

Werkverzeichnisnummer: 1548

Satzbezeichnungen

1. Sostenuto – Allegro agitato

2. Larghetto

3. Scherzo. Vivace

4. Allegro con moto

Erläuterungen

Igor Strawinsky hat seine Erinnerungen an Max Reger einmal in den lapidaren Satz zusammengefaßt: “Ich fand ihn ebenso abstoßend wie seine Musik” – eine Stellungnahme aus der Pariser Perspektive des frühen 20. Jahrhunderts. Franzosen mußten Regers Musik schon deshalb als unzugänglich empfinden, weil sie aus der “wagnergeschwängerten, Chromatik, Enharmonik in sauerstoffhaltiger Menge enthaltenden Musikluft” Deutschlands kam, wie Reger sich ausdrückte. “Dickflüssigkeit” war, wie der Komponist selbst zugab, ein Wesensmerkmal seiner Kammermusik, die sein Oeuvre vom Opus primum (Violinsonate d-Moll) bis zum Opus ultimum (Klarinettenquintett) kontinuierlich begleitete. Allerdings hat sich der Komponist in zwei Werkgruppen – den beiden Flötenserenaden und den beiden Streichtrios (Op. 77 und 141) – Erholung vom eigenen Anspruch gegönnt. Es handelt sich um Werke einer neuen Einfachheit nach 1900, die mit der Mozart-Renaissance jener Jahre und dem wachsenden Interesse am Volkslied zusammenhing. Regers Trios stellen im kammermusikalischen Bereich einen ähnlichen Akt der Stilisierung dar wie Strauss’ Ariadne auf Naxos in der Oper. Im a-Moll-Streichtrio, op. 77b, 1905 komponiert, “findet die Tendenz zur Vereinfachung ihr Ventil im Volkslied-Ton, wie man ihn z. B. im zweiten Thema des ersten Satzes antrifft. Der wirkungsvollste Satz des Trios ist das Scherzo (das ebenfalls als Klavierstück Nr. 7 im Zyklus Mein Tagebuch existiert). Sein lebhaftes Thema durchläuft zahllose Verwandlungen durch die Veränderung der Grundharmonie, alles im Rahmen der denkbar knappsten Form. Ein flüssiges und unprätentiöses Allegro con moto bildet das Finale.” (Egon Wellesz)

Die Geschichte des Streichtrios verlief anders als die vergleichbarer Kammermusik-Gattungen nach Beethoven, weil die großen Romantiker – Mendelssohn, Schumann und Brahms – keine Werke in dieser Besetzung schrieben. So blieb es Max Reger vorbehalten, die bedeutendsten romantischen Streichtrios zu komponieren. Dies geschah erst nach der Jahrhundertwende, an der äußersten Grenze der Spätromantik, in einer, wie Reger selbst schrieb, “wagnergeschwängerten, Chromatik, Enharmonik in sauerstoffhaltiger Menge enthaltenden Musikluft”. (Die Zeichnung links zeigt Reger am Dirigentenpult.)

Im a-Moll-Trio, op. 77b, das Reger in seiner Münchner Zeit 1905 komponierte, ist diese Fin-de-siècle-Aura allgegenwärtig. Sie zeigt sich an der avancierten Harmonik und dem spätromantisch übersteigerten Ausdrucksbedürfnis, dem freilich auch Züge eines spielerischen “Neorokoko” gegenübertreten.
Der Agitato-Kopfsatz (mit kurzer langsamer Einleitung) setzt bei der Kammermusik des mittleren Brahms an, deren komplexe motivische Verläufe hier ebenso präsent sind wie die Hemiolen-Rhythmik oder Züge des Neobarock. Mehr als einmal wird man an die Bacherfahrung des Organisten Reger erinnert. Besonders “brahmsisch” mutet das singende zweite Thema an, einer der schönsten melodischen Einfälle in Regers Kammermusik. An diesem an sich unschuldigen Thema kann man sehr schön das Changieren der Harmonik beobachten, das für diesen Komponisten typisch ist, wobei es sich stets nur um Farben, nicht um großräumige Modulationen handelt.
Daß man hier stilistisch schon auf der Schwelle zu Richard Strauss steht, macht der langsame Satz deutlich. Er beginnt mit einer wunderbaren Notturno-Stimmung in E-Dur und enthält als Mittelteil eine dramatisch gesteigerte Agitato-Episode. Die schwelgerische, mit Doppelschlägen angereicherte Melodik und der üppige Klang spiegeln gleichsam ein Strauss’sches Orchester im kammermusikalischen Rahmen wider.
Die restlichen beiden Sätze sind gewissermaßen Musik über Musik. Das Scherzo (identisch mit dem Klavierstück Nr. 7 im Zyklus Mein Tagebuch) ist die Parodie eines deutschen Tanzes, sein Trio fast ein “Schuhplattler”, wie Vilmos Tátrai während der Proben meinte. Das Finale imitiert die Rondo-Finalsätze Mozarts und Haydns. Während das Scherzo von vollendeter thematischer Ökonomie zeugt – sein Thema “durchläuft zahllose Verwandlungen durch die Veränderung der Grundharmonie, alles im Rahmen der denkbar knappsten Form” (Egon Wellesz) -, ist das Finale auf Themenkontraste hin angelegt. Dem haydnesken Hauptthema stehen ein volkstümlicher Gesang als Seitenthema und ein geheimnisvolles Pianissimo-Motiv gegenüber. Der Verlauf ist launisch, unkompliziert und pointenreich.