Suite für Violine und Klavier, aus Romeo und Julia
Werkverzeichnisnummer: 1503
1. Die Montagues und Capulets
2. Tanz der Mädchen
3. Masken
Durch den Oscar-Regen, der vor wenigen Monaten über dem englischen Film Shakespeare in Love niederging, hat das Liebesdrama aller Liebesdramen, Romeo and Juliette, überraschende Aktualität gewonnen. Im Kino erwies sich der Stoff als unangefochtener als er es jemals auf der Theaterbühne war, denn etwa in England konnte man das Stück bis zur Mitte des vorigen Jahrhunderts überhaupt nicht in seiner Originalgestalt sehen. Kürzungen, ja drastische Veränderungen waren an der Tagesordnung. Als zu anrüchig galt den Briten die Geschichte von zwei Jugendlichen, die für ihre Liebe hemmungslos soziale Schranken und moralische Gebote brechen. Neben dramaturgischen Schwächen dieses Jugendwerks war es immer wieder die Moral, die den englischen Shakespeare-Exegeten bei diesem Stück Kopfzerbrechen bereitete – bis heute!
Umso verständlicher ist der Erfolg des Stücks im Kino seit den 70er Jahren, also seit dem Aufbruch zu einem ungehemmenten Jugendkult. Franco Zeffirellis Version spiegelt diesen kulturellen Hintergrund ebenso wider wie die Verfilmung mit dem Titanic-Star Leonardo di Caprio, schließlich auch, wenngleich in einer Erwachsenen-Welt spielend, Shakespeare in love.
Sergej Prokofieffs Romeo und Julia hat mit alldem noch wenig zu tun. Das Ballett aus dem Jahre 1935 gehört schlicht in die große russische Ballett-Tradition, in deren Zentrum stets Handlungsballette über tragische Stoffe der Weltliteratur standen. Die russische Rezeption Shakespeares war, ähnlich wie die deutsche, weniger gebrochen und vorbelastet durch eine jahrhundertelange Tradition wie die im englischen Mutterland. So konnte Prokofieff noch vor seiner Rückkehr in die Sowjetunion 1936 bedenkenlos den Auftrag für ein Ballett über Romeo und Julia annehmen.
Es war seine erste Ballettmusik für russische Tänzer in der Heimat, was zu erheblichen Schwierigkeiten führte, denn offenbar komponierte Prokofieff an den Erwartungen der traditionsbewußten russischen Ballettschule vorbei. Zwischen 1934 und 1937 traten nacheinander das Kirow-Theater in Leningrad, das Bolschoi-Theater in Moskau und die Leningrader Choreographie-Schule von den Verträgen zurück, die sie mit dem Komponisten abgeschlossen hatten. Deshalb fand die Uraufführung von Prokofieffs bis heute beliebtester Partitur 1938 im mährischen Brünn statt. Erst 1940 gelangte das Stück am Kirow-Theater zur russischen Erstaufführung – nach einer aufreibenden Einstudierung, in deren Verlauf der Choreograph Lawrowski den Komponisten zu erheblichen Änderungen überreden konnte.
Was man Prokofieff vorwarf, faßte die Prima Ballerina Galina Ulanowa zusammen: „Uns störte die Spezifik der Orchestrierung und die „Kammermusik“… Es störten ebenso die Ungewöhnlichkeit und der häufige Rhythmuswechsel, der unzählige Unannehmlichkeiten für die Tänzer schuf.“ Bei der Premierenfeier brachte sie deshalb – in Anspielung auf das Trauerspiel Shakespeares – den berühmten Toast aus: „Es gibt keine traurigere Geschichte auf der Welt als ein Trauerspiel Shakespeares mit Ballettmusik von Prokofieff.“
Aufschlußreich ist ihr Hinweis auf Prokofieffs Orchestrierung, die von allen Beteiligten als „kammermusikalisch“ und damit als zu leise empfunden wurde! In der Bläserbearbeitung unseres Programms kommt diese kammermusikalische Seite der Urfassung wieder zum Vorschein. Andreas N. Tarkmann hat 1985/86 acht Tänze aus Prokofieffs Ballett „auf die Harmonie gesetzt“, also für Bläseroktett arrangiert. Seine Bearbeitung kombiniert Auszüge aus allen drei Romeo und Julia-Suiten für Orchester, die Prokofieff geschrieben hat und von denen die ersten beiden noch dem Ballett zur Uraufführung gelangten. Die Bläsersuite schildert also nicht die Handlung in chronologischer Abfolge, sondern verschiedene Figuren und Aspekte des Dramas in loser Reihung.
Aus der ersten Orchestersuite, op. 64a, benutzte Tarkmann verschiedene Tanzszenen: die morgendliche Straßenszene („Die Straße erwacht“), das Madrigal aus der Ballszene, das die erste Begegnung der beiden Liebenden begleitet, und das Morgenständchen; aus der zweiten Suite, op. 64b, die Prokofieff ausschließlich aus Charakterporträts zusammengesetzt hat, übernahm Tarkmann zwei Sätze: das berühmteste Thema der Suite, den triumphierenden Marsch der Montague und Capulet, der die Überheblichkeit der beiden rivalisierenden Familien zum Ausdruck bringt, und das gütige Porträt von Romeos Vertrautem, Bruder Lorenz. Aus der dritten Suite, op. 101, die Profofieff erst 1944 zusammenstellte, stammt der Morgentanz.
Außerdem zog Tarkmann als weitere Vorlagen Prokofieffs Klaviersuite, op. 75, und Rudolf Barshais zwölfteilige Orchestersuite heran.