Sonate für Violoncello und Klavier, op. 119
Werkverzeichnisnummer: 1499
1. Andante grave
2. Moderato
3. Allegro, ma non troppo
Auch Sergej Prokofjew hat – wie Samuel Barber in seinem Opus 6 – seine Cellosonate in reinstem Dur und Moll begonnen, auch er blieb den klassisch-romantischen Formen und der Tonalität treu. Freilich sind C-Dur und Sonatenformen bei dem russischen Komponisten eine ungleich komplexere Angelegenheit als bei seinem jüngeren amerikanischen Zeitgenossen, zumal es sich bei seiner Cellosonate um ein Spätwerk handelt, komponiert 1949 für den legendären Mstislaw Rostropowitsch, den Meister des russischen Pathos auf dem Violoncello.
Zu Beginn muss man unwillkürlich an den kernigen Ton von Rostropowitsch denken, wenn das Cello mit seiner ausdrucksstarken Melodie in tiefer Lage einsetzt (Andante grave als langsame Einleitung). Das Klavier antwortet in idyllischen Durakkorden, die sich erst allmählich nach Moll eintrüben. Nach und nach aber gewinnen die dissonanten Spannungen die Oberhand, hämmernde Akkorde des Klaviers verbinden sich mit wildem Pizzicato des Cellos, die Atmosphäre wirkt bedrohlich. Umso lieblicher tritt das zweite Thema in Dur hervor, nun in der schönsten Tenorlage des Cellos, worauf das Klavier selig singend antwortet. Wieder nistet sich Trauer in diesen beseelten Dialog ein. Allenthalben spürt man die Bedrohung, die hinter den Idyllen in Prokofjews Sonate lauert – wie die permanente Bedrohung der Künstler im faschistischen Regime Stalins. Prokofjew hatte die eiserne Hand des Diktators und seiner Kulturschergen im Februar 1948 zu spüren bekommen, als man ihm „Formalismus“ vorwarf – das übliche, messerscharfe Synonym für „westliche Dekadenz“ anstelle „russischer Volkstümlichkeit“. Wie sein Kollege Dmitri Schostakowitsch beugte er sich äußerlich dem Votum der Partei und wurde „volkstümlicher“, so etwa im Mittelsatz der Cellosonate. In Wahrheit aber ist der Komponist nach 1948 in eine tiefe Depression verfallen, von der er sich bis zu seinem Tod fünf Jahre später nicht mehr erholen sollte. Auch davon kündet die Cellosonate.
Im ersten Satz folgt auf die lyrischen Schönheiten der langsamen Einleitung ein kraftvolles Moderato animato, das die Themen des Anfangs verwandelt und mit neuen leidenschaftlichen Gedanken kontrastiert. Die Reprise des Hauptthemas in der Grundtonart tritt ebenso klar hervor wie die des Seitenthemas.
Geradezu demonstrativ volkstümlich eröffnet das Klavier den Mittelsatz: mit einem russischen Volkstanz in eigenwillig verschobenen Rhythmen. Der Cellist zupft die Saiten, als spiele er auf einer Domra. Später steuert er Springbogen-Effekte zum clownesken Genrebild bei, das an den Prokofjew der großen Ballettmusiken erinnert. Erst im lyrischen Mittelteil, einem Andante dolce, übernimmt das Cello wieder die Führung – mit einer der schönsten Kantilenen, die jemals für das Instrument geschrieben wurden.
Das Finale treibt die Doppelbödigkeit auf die Spitze: Zu Beginn herrscht schönes Cantabile in C-Dur, dann bestimmen plötzlich stählerne Marschrhythmen das Bild. Der Gesang des Cellos wirkt weich und traurig, die Tanzrhythmen des Klaviers erscheinen wie Volksmusik-Zitate aus der Ferne. Dass ausgerechnet dieser disparate Satz am Ende in ein gleißend helles Fortissimo in C-Dur mündet, wirkt über-emphatisch. Prokofjew hat sich den Optimismus, den das Nachkriegs-Russland von ihm forderte, nur mühsam abgerungen. Die Cellostimme der Sonate konnte er überhaupt nur vollenden, weil ihm Rostropowitsch mit Rat und Tat zur Seite stand.
Karl Böhmer