Sonate für zwei Klarinetten (1918)
Werkverzeichnisnummer: 1490
1. Presto, très rhythmé – Beaucoup moins vite (Comme une cadence) – A Tempo
2. Andante. Très lent
3. Vif, avec joie
“Poulenc kann die Kürze seiner Sonaten durch das Vorbild von Scarlatti und Haydn rechtfertigen… Diese Sonate entsteht aus der Stille und kehrt zu ihr zurück wie eine Kuckucksuhr. Das Andante gleicht einem Vogel, der seine Klage in einem Kasten ausschatzt, in einer Art modernem Gebüsch.” Mit diesen keineswegs völlig verständlichen Metaphern umschrieb der Schriftsteller Jean Cocteau die Sonate für zwei Klarinetten des damals noch ganz jungen Francis Poulenc.
Cocteau war der Mentor und literarische Ideengeber der “Groupe des Six”, einer Gruppe junger Komponist(inn)en, die sich nach dem I. Weltkrieg eine Erneuerung der französischen Musik aus dem Geist der Leichtigkeit vornahmen. 1918, als Poulenc sein Klarinettenduo schrieb, hatte sich diese Gruppe noch nicht formiert, doch ihr ästhetisches Ideal, eine antiromantische “Musik des Alltags” zu erfinden, war bereits zu spüren.
Poulencs Sonate für zwei Klarinetten verwirklicht dieses Ideal durch gleichsam absichtslose Geläufigkeit in beiden Instrumenten. Im ersten Satz wird, nach der “sehr rhythmischen” Einleitung in Fünfer- und Siebenertakten, die Freiheit einer Kadenz nachgeahmt. Im bereits erwähnten Andante beschrieb Poulenc seine Ausdrucksvorstellungen sehr präzise als “sans nuances, triste et doux, loin et monotonne”, also “ohne Nuancen, traurig und süß, wie von Ferne und monoton”. Im weiteren Verlauf sollen die Musiker “sehr singend” spielen, die “Klänge träumen”, am Ende “immer trauriger” werden. Pure Freude am Rhythmus und am Klang bestimmt das schnelle Finale.
Keine Geringeren als Igor Strawinsky und Béla Bartók sprachen dieser Sonate höchstes Lob aus. Der junge Poulenc hatte beiden das Stück zur Begutachtung zugesand, nachdem er es im Frühjahr 1918 in dem Örtchen Boulogne sur Seine vollendet hatte.