Sonate für Violoncello und Klavier
Werkverzeichnisnummer: 1489
1. Allegro – Tempo di Marcia
2. Cavatine. Très calme
3. Ballabile. Très animé et gai
4. Finale. Largo – Presto
Die Form entspricht vage der viersätzigen Anlage einer „Grande Sonate“ der Romantik: Zwei schnelle Ecksätze umrahmen ein romantisches Adagio (Cavatine in Fis-Dur!) und ein Scherzo (Ballabile). Freilich hat schon das erste Allegro wenig mit den gewichtigen Kopfsätzen bei Beethoven oder Brahms zu tun. Ein kurzes, signalhaftes Motiv, eine Art Kuckucksruf, dient als Hauptthema, ein stilisierter Operettengesang des Cellos als Seitenthema. Das „Tempo di Marcia“ des Titels ist pure Ironie. Dass sich das Instrument hier wie ein Buffo-Bariton gebärdet, lag ganz auf Poulencs Linie einer ironischen Brechung der romantischen Tradition des Instruments.
In der Cavatina bleibt, wie der Titel schon andeutet, die Oper das Vorbild: Schöner Gesang beherrscht diesen Satz, der in seinen weit gespannten Melodiebögen dem berühmten langsamen Satz aus Poulencs Flötensonate kaum nachsteht.
Der Titel des dritten Satzes Ballabile („tanzbar“) stammt aus einigen Ballettmusik von Giuseppe Verdi und verweist auf die federleichten Schritte der Ballett-Tänzer, die Poulenc hier ein wenig ironisch vortanzen lässt. Im Finale zitierte er die Atmosphäre und den Rhythmus eines Walzers mehr ein Tanz einfacher Leute zu Akkordeon-Begleitung in einem Bistro als eine rauschende Ballnacht der feinen Gesellschaft.
Von den Sonaten seines Freundes Poulenc meinte der Komponist Darius Milhaud bewundernd: „Wird nach all den impressionistischen Nebeln nicht diese simple und klare Kunst, die so sehr an Scarlatti und Mozart erinnert, die nächste Phase unserer Musik sein?“ Beide Komponisten gehörten seit dem Jahr 1919 zu einer berühmten Komponisten-Clique, der Groupe des Six. Sie wagte den Ausbruch aus den spätromantischen und impressionistischen Klischees der Musik vor dem Ersten Weltkrieg und propagierte den Aufbruch zu einer Musik des Alltags, der kleinen Formen und prosaischen Gesten. Dem Theater waren die vier Franzosen Darius Milhaud, Francis Poulenc, Georges Auric und Louis Durey, die Französin Germaine Tailleferre und der Schweizer Arthur Honegger auf vielfältige Weise verbunden – bis hin zur Komposition einer Gemeinschaftsoper, die dem Eiffelturm huldigte. Als die Gruppe sich Mitte der Zwanziger Jahre auflöste, ging jeder seine eigenen Wege und verabschiedete sich vom experimentellen Stil der Six, der stark durch Jean Cocteau und Erik Satie inspiriert war.
Poulenc, 1899 in Paris geboren, galt als der Poet und zugleich der Clown der Six. Einerseits hegte er eine Vorliebe für Rummelplätze und Zirkus, andererseits für die große Dichtung seines Landes, die er in seinen wundervollen Liedern vertonte. Als tief gläubiger Katholik schenkte er der Nachwelt auch bedeutende geistliche Werke (Gloria, Stabat Mater, viele Motetten) und eine heutzutage viel gespielte Oper über ein zutiefst katholisches Thema: Dialogues des Carmelites. In seinen Sonaten erfüllte er die Prophezeiung seines Freundes Milhaud. Seine Werke für Flöte, Klarinette oder Cello und Klavier bezeichnen die Wende der französischen Kammermusik hin zu größerer Einfachheit, Klarheit und charaktervoller Bravour. In ihnen reichen sich Romantik, Neoklassizismus und Moderne die Hand.
.
.
.
.
2008
Die dreisätzige „vorklassische“ Form seiner frühen Sonaten hat Poulenc in seinen Nachkriegswerkengelegentlich zugunsten romantischer Zyklen aufgegeben, so auch in der 1948 komponierten Cellosonate mit ihren vier Sätzen. Zwei schnelle Ecksätze umrahmen ein romantisches Adagio (Cavatine in Fis-Dur!) und ein Scherzo (Ballabile).
.
.
.
.
2004
FRANCIS POULENC
Cellosonate
Paris 1919: In der Salle Huyghens findet ein Konzert mit Werken von fünf jungen Komponisten und einer Komponistin aus der Seine-Metropole statt. Alter: zwischen 20 und 30. Stil: humoristisch, frech, respektlos. Schon bald wird der Name „Les Six“, „Die Sechs“ zum Synonym für die neue Musik Frankreichs, eine Musik des Alltags, der Straßen und Nachtlokale von Paris. Jean Cocteau, literarischer Mentor und Eminence grise der Gruppe, gibt ihr den ästhetischen Rückhalt, Erik Satie, das musikalische Idol der Sechs, preist sie in Vorträgen als Inbegriff des „Esprit Nouveau“, des neuen Geistes.
Francis Poulenc, 1899 in Paris geboren, ist zugleich der Poet und der Clown der Six. Was sein Freund und Mitstreiter Darius Milhaud empfand, als er ihm zum ersten Mal begegnete, hat dieser in seinen Erinnerungen festgehalten: „Wird nach all den impressionistischen Nebeln nicht diese simple und klare Kunst, die so sehr an Scarlatti und Mozart erinnert, die nächste Phase unserer Musik sein?“
In den Sonaten von Francis Poulenc hat sich diese Prophezeiung erfüllt. Seine Werke für Flöte, Klarinette oder Cello und Klavier bezeichnen die Wende der französischen Kammermusik hin zu größerer Einfachheit, Klarheit und charaktervoller Bravour. In ihnen reichen sich Romantik, Neoklassizismus und Moderne die Hand.
Die dreisätzige, an die Vorklassik gemahnende Form seiner frühen Kammermusiken hat Poulenc in seinen Nachkriegswerken gelegentlich zugunsten „romantischer“ viersätziger Zyklen aufgegeben, so auch in der 1948 komponierten Cellosonate. Zwei schnelle Ecksätze umrahmen ein romantisches Adagio (Cavatine in Fis-Dur!) und ein Scherzo (Ballabile). Freilich hat schon der Einleitungssatz wenig mit den gewichtigen Kopfsätzen bei Beethoven und Brahms gemein. Ein kurzes, signalartiges Motiv, eine Art Kuckucksruf, dient als Hauptthema, ein stilisierter Operettengesang des Cellos als Seitenthema. Dass sich das Instrument hier wie ein Buffo-Bariton gebärdet, lag ganz auf Poulencs Linie einer ironischen Brechung der romantischen Tradition des Instruments.
In der Cavatina bleibt, wie der Titel schon sagt, die Oper das Vorbild, breiter Gesang der Motor eines Satzes, der in seinen weit gespannten Melodiebögen dem langsamen Satz von Poulencs Flötensonate in nichts nachsteht. Den Titel des dritten Satzes scheint Poulenc aus einer Kombination der italienischen Ausdrücke cantabile (gesanglich) und ballare (tanzen), gewonnen zu haben: tanzbar wäre die Übersetzung für dieses vom Tanzrhythmus gleichsam durchzuckte Scherzo. Im Finale hat Poulenc Atmosphäre und Rhythmus des Walzer zitiert – auch hier mehr auf der Ebene eines alltäglichen Freizeitvergnügens denn einer Ballnacht der feinen Gesellschaft. Der Cellist Pierre Fournier war der Adressat dieses geistreichen Sonate.