Variationen über ein Thema von Rossini | Kammermusikführer - Villa Musica Rheinland-Pfalz

Niccolò Paganini

Variationen über ein Thema von Rossini

Variationen über ein Thema von Rossini (Mosè) für Kontrabass

Besetzung:

Werkverzeichnisnummer: 1456

Satzbezeichnungen

Erläuterungen

Es ist traurig, aber wahr: der Radsport ist nicht mehr das, was er einmal war. Die Tour de France eine Katastrophe, das Thema Doping omnipräsent. Wo so viele über die Schattenseiten des Sports reden, dachten wir einmal an eine sonnige Alternative. Unser Giro d’Italia kommt ganz ohne Skandale und Dopingsünder aus. Es ist ein Rennen nicht nach Umdrehungen, sondern nach Noten. Zwar gibt es auch hier die Bergetappen und das Zeitfahren, aber alles nur mit den Bögen der Streichinstrumente, die mal sanft, mal rau über die Saiten streichen. Das Feld der Fahrer ist überschaubar: fünf Teilnehmer haben sich gemeldet mit unterschiedlich großem Gerät von der Geige bis zum Kontrabass, aber in jedem Fall ohne Verdacht auf Doping. Begleiten sie also unsere fünf Starter auf ihrer Rundfahrt durchs musikalische Italien.

Beginnen wir dort, wo Radprofis gar nicht fahren könnten: in Venedig. Am Canal Grande direkt neben der Rialtobrücke hatte Antonio Vivaldi sein Haus, seine Dienststelle im Ospedale della Pietà kann man noch heute unweit des Dogenpalastes bewundern. Den „rothaarigen Priester“ nannte man den Komponisten, denn er hatte alle Weihen eines katholischen Priesters, wollte aber lieber Geige spielen als die Messe lesen. Also legte er sich praktischerweise chronisches Asthma zu und wurde vom Messelesen befreit. Statt Predigten schrieb er fortan Streicherkonzerte wie das besonders flotte „Concerto alla rustica“. Nach Bauernart soll diese Musik klingen – ganz schön flott, die Landleute in Venezien. Zu den Klängen dieser Musik führt unsere Etappe durch Venezien, vorbei am Brenta-Kanal und an zauberhaften rustikalen Villen.

Antonio Vivaldi: Konzert in G-Dur, RV 151 (Concerto alla rustica)

Bergetappen sind die schwersten Prüfungen für Radfahrer. Keine Musik passt dazu besser als die von Niccolò Paganini, dem Teufelsgeiger aus Genua. Seine Heimatstadt liegt bekanntlich am Rand der Seealpen. Die hohen Gipfel der nahen Berge inspirierten den kleinen Niccolò dazu, auch selbst den Gipfel des Geigenspiels zu erklimmen. Für heutige Musiker sind seine steilen musikalischen Anstiege immer noch Herausforderungen. Unsere Radfahrer müssen also ganz schön in die Pedale treten. Aus der Spitzengruppe haben sich zwei Fahrer gelöst: ein Geiger und ein Cellist. Mal sehen, wer in Paganinis Duetto concertante als erster ins Ziel geht.

Niccolò Paganini: Duetto concertante für Violine und Cello Nr. 1 in Es-Dur

Über Paganini erzählte man sich so manche Anekdote, etwa, dass seine E-Saite der Darm einer schönen Frau sei, die er eigenhändig erwürgt habe. Viele dieser durchaus unwahren Geschichten hingen mit seinem Aussehen zusammen, das überaus diabolisch wirkte. In Wirklichkeit aber hatten sein eingefallener Mund und seine hagere Gestalt ganz prosaische Ursachen: Ein Zahnarzt in Prag hatte seine Zähne ruiniert und eine Magenkrankheit führte zu seiner ausgemergelten Erscheinung. Paganinis zweite Heimat war die Stadt Lucca in der schönen Toskana. Hier kam auch Luigi Boccherini zur Welt. Im Gegensatz zu Vivaldi und Paganini war er kein Geiger, sondern Cellist, weshalb er besonders viele und schöne Streichquintette mit virtuosem Cello geschrieben hat. Begleiten wir also unsere Interpreten durch die schönste Etappe der Reise: durch das Hügelland der Toskana.

Luigi Boccherini: Streichquintett Nr. 75 in D-Dur, G 339

Von der Toskana führt nur ein Weg an die Adria: die anstrengende Bergtour über den Appenin. Einmal am Meer angekommen, sieht die Welt aber ganz anders aus. Schöne Sandstrände, eine flache, blühende Landschaft, besonders im Podelta. Ein Komponist kannte die Adria besonders gut: Gioacchino Rossini, der „Schwan von Pesaro“. In seinen Jugendjahren verbrachte er die Sommer stets in Ravenna. Dort schrieb er auch seine sechs Streichersonaten, angeblich mit 12 Jahren. Rossini nannte diese Stücke später nur seine „sechs schrecklichen Sonaten“ und erzählte, wie sie entstanden: „Ich komponierte sie auf dem Landgut meines Freundes Triossi nahe Ravenna, als ich noch im kindlichsten Alter war und so gut wie keinen Unterricht genossen hatte; das Ganze komponiert in drei Tagen und aufgeführt von meinem Mäzen Triossi, seinem Vetter Morini und dem Bruder des letzteren, die wie Hunde spielten, sowie mir selbst als zweitem Geiger, der ich mich bei Gott am wenigsten wie ein Hund aufführte.“ Zu den Klängen der 6. Sonate fahren unsere Musiker durch die schöne Gegend um Ravenna. Dabei zieht ein Gewitter auf: Den Endspurt müssen sie unter heftigen Regenfällen, unter Blitz und Donner absolvieren. All dies hat der junge Rossini im Finale dieser Sonate dargestellt.

Gioacchino Rossini: Streichersonate Nr. 6 (La Tempesta) für 2 Violinen,
Cello und Kontrabass

Seconda

Willkommen zum zweiten Teil unserer musikalischen Rundfahrt durch Italien. Den Norden des Landes haben unsere fünf musikalischen Radprofis schon durchquert, von Venedig nach Genua, dann in die Toskana, schließlich über den Appenin bis zur Adria. Nun wird es Zeit, endlich den Süden anzusteuern. Dazu geht es am Meer entlang bis Pescara und von dort über die Abruzzen, vorbei am Gran Sasso bis in die Gegend südlich von Rom. Von dort ist es nur noch ein Katzensprung bis nach Neapel. Die Metropole im Schatten des Vesuvs war immer eine der musikalischsten Städte Italiens, besonders im 18. Jahrhundert. Hier studierten alle großen Komponisten des Barock und der Klassik, von Pergolesi bis Cimarosa. Auch Antonio Sacchini kam nach Neapel, obwohl er eigentlich aus Florenz stammte. Da sein Vater aber Koch war und eine Stelle in Neapel bekam, wurde der Sohn mit vier Jahren Neapolitaner. An einem der berühmten Konservatorien der Stadt studierte Sacchini Geige, Komposition und vor allem die Geheimnisse des Gesangs. Man sagte von ihm, er verstünde mehr von der Singstimme als alle anderen Komponisten der Mozartzeit. Deshalb waren seine Opern so beliebt, besonders in Rom, London und Paris. In diesen drei Städten feierte er seine größten Erfolge. Als Lieblingskomponist der Königin Marie-Antoinette ist er noch vor Ausbruch der Französischen Revolution in Paris gestorben. Wir hören sein schönes Streichquartett in G-Dur, eine durch und durch neapolitanische Musik, in der alle Instrumente singen dürfen.

Antonio Sacchini: Streichquartett in G-Dur, op. 2/5 (mit Kontrabass)

Jetzt wird es Zeit, endlich nach Rom zu fahren. Die Hauptstadt Italiens ist natürlich das Ziel unserer letzten Etappe und der Ort des großen Finales. Bevor es dazu kommt, haben unsere Musiker aber noch zwei Intermezzi eingeschoben. Giacomo Puccini hat der Ewigen Stadt seine berühmteste Oper gewidmet: Tosca. Die blutrünstige Geschichte um den Maler und Widerstandskämpfer Cavaradossi und seine Geliebte, die Opernsängerin Tosca, wurde im Jahre 1900 in Rom uraufgeführt. Bei seinen Spaziergängen durch die Stadt konnte Puccini im Pantheon auch die Gräber der ersten italienischen Könige bewundern, die aus dem Hause Savoyen stammten. Einem Mitglied dieses Hauses widmete er eine kleine Trauermusik für Streicher. Ihr Name „Crisantemi“ erinnert daran, dass die Chrysanthemen in Italien die Trauerblumen schlechthin sind.

Giacomo Puccini: Crisantemi (für Streichquartett, mit Kontrabass)

Auch Gioacchino Rossini verdankte Rom den Durchbruch zum Weltruhm: Hier wurde sein „Barbier von Sevilla“ uraufgeführt. Diese Oper war das Lieblingsstück des Londoner Bankiers David Salomons. Er bestellte bei Rossini für stolze 50 Pfund ein Duett für Cello und Kontrabass. Denn Salomon war ein dilettierender Cellist und hatte sich in den Kopf gesetzt, mit dem berühmten Kontrabass-Virtuosen Dragonetti zu spielen. Dieser, „il Drago“, der Drache genannt, war unbestritten der König der Kontrabassisten und ein Freund Rossinis. Also kam es zur Komposition dieses virtuosen Duetto. Mr. Salomons, der später zum Sir avancierte, die London and Westminster Bank gründete, Bürgermeister von London und schließlich Member of Parliament wurde, hütete das Manuskript des Duetto übrigens wie einen Familienschatz. Erst 1968 wurde es von seinen Erben zum Druck freigegeben.

Gioacchino Rossini: Duetto für Cello und Kontrabass (2. & 3. Satz)

Wenn von Rom die Rede ist, darf ein Komponist nicht fehlen: Ottorino Respighi. Der Musiker aus Bologna hat die Ewige Stadt in seinen großen Orchesterwerken verherrlicht. „Fontane di Roma“, „Feste di Roma“, „Pini di Roma“ heißen diese Stücke, in denen es um die Brunnen, Pinien und Feste Roms geht. Festlich sind auch Respighis Streichersuiten mit dem Titel „Antiche Danze ed Arie“. In Rom kam er auf die Idee, die Lautenmusik der italienischen Renaissance in Bearbeitungen wieder in den Konzertsaal zu bringen. Also arrangierte er Lautenstücke italienischer Meister für Streicher. Die dritte Suite aus dieser Serie ist ein würdiges Finale für unseren Giro d’Italia, denn sie beginnt mit einer „Italiana“, gefolgt von einer „Siciliana“, einem sizilianischen Tanz. Als Finale dient eine Passacaglia, ein Satz, der besonders gut zum Endspurt unseres Radrennens passt. Denn das Wort Passacaglia kommt vom spanischen „pasar la calle“ – durch die Straße gehen oder fahren. Begrüßen wir unsere Musiker also auf den Straßen Roms beim großen Finale des Giro!

Ottorino Respighi : Antiche danze ed arie Suite Nr. 3, op.172 (Bearbeitung für Streichquintett)