"La Campanella" | Kammermusikführer - Villa Musica Rheinland-Pfalz

Niccolò Paganini

"La Campanella"

„La Campanella“

Besetzung:

Werkverzeichnisnummer: 1453

Satzbezeichnungen

Erläuterungen

„PRESTO – GESCHWIND, SCHNELL“. SO KONNTE BEETHOVEN IN DEN GÄNGIGEN MUSIKLEXIKA SEINER ZEIT LESEN. LAUT KOCHS LEXIKON VON 1802 IST ES DAS SCHNELLSTE TEMPO ÜBERHAUPT UND ERFORDERT „BEY BLOßEN INSTRUMENTALSTÜCKEN EINE FLÜCHTIGE UND LEICHTE, ABER DABEY ÄUßERST RUNDE ABFERTIGUNG DER TÖNE“. UNSERE INTERPRETEN WAGEN SICH DARANBEI PAGANINI, BRAHMS UND BEETHOVEN.

HEXENMEISTER

NICCOLÒ PAGANINIS Geigenspiel war virtuos bis zur Hexerei. Nach dem Zeugnis von Franz Liszt suchte das Publikum nach übernatürlichen Erklärungen für seine Virtuosität und glaubte, „daß jene vierte Saite, der er so zauberische Weisen entlockte, der Darm eines Weibes sei, das er eigenhändig erwürgt habe“. Robert Schumann beschrieb, wie planvoll Paganini Massenhysterie erzeugte: „Als ich diesen zuerst hören sollte, meinte ich, er würde mit einem nie dagewesenen Ton anfangen. Dann begann er und so dünn, so klein! Wie er nun locker, kaum sichtbar seine Magnetketten in die Massen wirft, so schwankten diese herüber und hienüber. Nun werden die Ringe wunderbarer, verschlungener; die Menschen drängten sich enger; nun schnürte er immer fester an, bis sie nach und nach wie zu einem einzigen zusammengeschmolzen, dem Meister sich gleichwiegend gegenüberstellen…“

ÜBER PAGANINIS KOMPOSITIONSTALENT gingen die Meinungen auseinander. Schumanns Urteil war salomonisch:„Paganini selbst soll sein Compositionstalent höher anschlagen als sein eminentes Virtuosengenie. Kann man auch, wenigstens bis jetzt, hierin nicht vollkommen einstimmen, so zeigt sich doch in seinen Compositionen und namentlich in den Violincapricen… viel demanthaltiges“. Mit letzteren sind Paganinis Opus I gemeint, jene 24 Capricci per violino solo, die 1820 in Mailand erschienen und heute als „Capricen“ bekannt sind. Schumann nannte sie „das Schwierigste, was für Violine je geschrieben“, und er fügte hinzu: „Paganini wollt dies wohl auch mit seiner Dedication „agli artisti“ ausdrücken, d.h. nur für Künstler bin ich zugänglich.“

PRESTO

„QUASI PRESTO“ steht über dem berühmtesten Capriccio Paganinis: der Caprice Nr. 24. Sie besteht aus Variationen über ein überaus einfaches und umso eingängigeres Thema in a-Moll. Alle Seiten seiner Kunst hat Paganini hier auf kleinstem Raum zusammengedrängt: das schwindelerregende Staccato (Var. 1), die diabolische Chromatik (Var. 4), das Spiel mit Quinten (Var. 6) und den rasend schnellen Wechsel zwischen Doppelgriffen und Pizzicato.

HEXENVARIATIONEN

DAS VARIATIONENTHEMA AUS PAGANINIS 24. Caprice hat unzähligen späteren Komponisten wiederum als Thema für Paganinivariationen gedient, meistens für Klavier, aber auch für Orchester (Boris Blacher) oder für Klavier und Orchester (Sergej Rachmaninoff). Die pianistische Auseinandersetzung mit Paganini begann mit jenen beiden Augen- und Ohrenzeugen der Kunst Paganinis, die noch unter seinem unmittelbaren Einfluss standen: Franz Liszt und Robert Schumann. In dem Bestreben, der diabolischen Suggestionskraft und der schieren Virtuosität des Geigers auf den Tasten nachzustreben, schrieben sie Klavierfassungen seiner 24 Capricen, die sie „Studien“ nannten. Es waren Fingerübungen wie Paganinis Capricci, aber zugleich Studien über die Beziehung zwischen Violin- und Klavierklang, denn „das Clavier wirkt durch andere Mittel, als die Violine“ (Robert Schumann).

SCHUMANN UND LISZT ERÖFFNETEN DEN REIGEN der „Paganini-Studien“ für Klavier, der erstere, indem er „mehr die poetische Seite der Composition zur Anschauung bringen wollte“, so Schumann selbst, letzterer durch „Bravour-Studien über Paganini’s Capricen“, die zum schwersten in der gesamten Klavierliteratur gehören. Schumann nannte sie „wunderlich wie umgestürzte Notengebälke“. An diese doppelte Tradition von Paganini-Studien knüpfte Brahms an, als er 1863 seine eigenen „Studien für Pianoforte“ über Paganinis 24. Caprice schrieb. Im Gegensatz zu Schumann und Liszt beschränkte er sich auf eine Caprice, auf die letzte, und orientierte sich an deren Variationenform. Damit wiederum wurde er zum Urheber der oben genannten Tradition von „Paganini-Variationen“.

ES WARFAST SYMBOLISCH – ein Schüler Franz Liszts, der dem 30jährigen Brahms dieses virtuoseste aller seiner Klavierwerke entlockte: Karl Tausig. Der polnische Pianist, acht Jahre jünger als Brahms, war zwei Jahre vor diesem nach Wien gekommen. Zwischen beiden entwickelte sich eine herzliche Freundschaft, von der Brahms‘ Biograph Max Kalbeck ein idyllisches Bild zeichnet: „Brahms lud sich gerne in der fashionablen Wohnung zu Gast, die Tausig in der Währingerstraße innehatte, spielte mit ihm vierhändig oder lag auf dem Diwan, konsumierte den ältesten Kognak und die neuesten schlechten Witze, rauchte türkischen Tabak dazu und ließ sich von Tausig in die Geheimnisse der Schopenhauerschen Philosophie einführen, die damals der Jugend den Kopf verdrehte wie später die aphoristische Aberweisheit Nietzsches. Und Tausig wieder besuchte nicht minder häufig seinen neuen Freund in der Czerningasse, in welche Brahms bei Anbruch des Winters (1862) gezogen war, und ließ es sich in dem freundlichen Stübchen bei selbstgebrautem schwarzen Kaffee wohl sein, oder begleitete den Naturschwärmer in den verschneiten Prater.“ (Max Kalbeck) Der Dritte im Bunde war der Mainzer Komponist Peter Cornelius, der in Weimar Liszts Assistent gewesen war. Weder an dessen noch ans Tausigs Vergangenheit im ungebliebten Lisztschen Lager mochte sich Brahms stoßen. In einem Brief berichtete er seinem Freund Joseph Joachim – dem schärfsten Liszt-Gegner in seinem Umkreis -, dass beide, Tausig und Cornelius, in seinen vier Wänden „durchaus keine Lisztianer sein und gewesen sein wollen und übrigens freilich mit dem kleinen Finger mehr leisten als die übrigen Musiker mit dem ganzen Kopf und allen zehn Fingern.“

DEN ZEHN FINGERN des bewunderten Tausig gab Brahms denn auch einiges zu tun, als er ihm die beiden Hefte seiner „Studien“ nach Paganini, op. 35, widmete. Sie waren die Brahmssche Antwort auf Liszts „Bravour-Studien“ , denn zwischen die Systematik der Etüde – das Einüben jeweils einer bestimmten Technik pro Variation – schiebt sich hier unverkennbar Brahms‘ Persönlichkeit, sein Hang zur „Charaktervariation“. So hat er gleich das Originaltempo von Paganinis Thema, eben jenes „Presto“ ,i n ein „Non troppo Presto“ verwandelt und mit den kessen kurzen Vorschlägen von oben eine Geigenmanier aufs Klavier übertragen. Brahms wäre auch nicht er selbst, wenn er zwischen die aberwitzigen Metamorphosen dieses Presto nicht besinnliche Momente eingeschoben hätte. Im zweiten Heft ist dies die Nr. 13 (Poco più andante). Schon Clara Schumann erkundigte sich nach diesen Charaktermomenten in dem Werk: „Willst Du mir nicht mal schicken, was Du noch hast zu den Hexenvariationen? Fuge, auch einige langsame Variationen? Auch schriebst Du mir von einem Schluß darin, für Konzert-Spiel eingerichtet?“ Beide Hefte schließen in der Tat mit einer finalartig ausgebauten Schlussvariation.

MIT DEM AUSDRUCK „HEXENVARIATIONEN“ spielte Clara nicht nur auf den höllischen Grad an Schwierigkeit in so manchem Abschnitt des Brahmswerkes an, sondern auch auf den diabolischen Nimbus des Teufelsgeigers Paganini. Seine 24. Caprice galt schon im Violinoriginal schlechthin als die „Hexenvariationen“.

BEETHOVENS WUT

LUDWIG VAN BEETHOVEN wurde schnell wütend. Seine Konversationshefte zeugen davon, seine Freunde und seine Haushälterinnen wussten davon ein Lied zu singen. Zudem war der Komponist geizig, wobei letzteres oft genug den Anlass ersteres bildete: Wutanfälle über Geldfragen sind zahllose überliefert. Einer davon hat seinen musikalischen Niederschlag gefunden – in jenem „Rondo à Capriccio“, das der Verleger Diabelli wenige Monate nach Beethovens Tod 1828 posthum herausgab. Eine Anmerkung auf dem Titel der Ausgabe wies darauf hin, dass man das Werk „unter Beethoven’s Nachlasse vollendet vorgefunden“ habe und zitiert den Originaltitel: „Die Wuth über den verlorenen Groschen, ausgetobt in einer Caprice“. Unter diesem Titel (ohne den letzten Halbsatz) wurde das Stück weltberühmt. Es ist ein selten direktes Zeugnis von Beethovens alltäglichen Gemütszuständen, die der Komponist hier selbstironisch ausgelebt hat. Er tat es in ihmmerhin fast 450 Takten hemmungslosen Tastenschlagens in G-Dur, das zwar nicht im „Presto“. zumindest aber im „Allegro vivace“ zu spielen ist. Übrigens war es nicht etwa Altersgeiz, der zu diesem Werklein führte, denn Beethoven hat das Rondo schon zwischen 1796 und 1798 geschreiben, etwa zugleich mit den Skizzen zum 1. Klavierkonzert.

SONATE

KAUM EIN WIENER MÄZEN dürfte sich am Ende seines Lebens so vergnügt zurückgelehnt und seine Schätze betrachtet haben wie Moritz Graf von Fries, Mitinhaber des Bankhauses Fries & Co. In seinem Schrank fanden sich die Notenausgaben von so bedeutenden Werken wie Beethovens 7. Sinfonie, Haydns letztem Streichquartett und Schuberts Lied „Gretchen am Spinnrade“, alle ihm zugeeignet. Beethoven machte ihn überdies zum Widmungsträger bedeutender Kammermusikwerke: des Streichquintetts Opus 29 und der beiden Violinsonaten Opus 23 und 24. Dass ausgerechnet letztere des Grafen Namen tragen, hängt mehr mit seiner mäzenatischen Rolle in Wien denn mit seinen geigerischen Fähigkeiten zusammen. Ein Virtuose wie Erzherzog Rudolph am Klavier war er nicht. Bei der Komposition seines Opus 23 dachte Beethoven zweifellos eher an führende Geiger der Epoche wie Rodolphe Kreutzer, den er kurz zuvor in Wien kennen gelernt hatte. Zur zeitlichen Einordnung sei nur gesagt, dass die a-Moll-Sonate wie ihr Schwesterwerk, die „Frühlingssonate“, in den Jahren 1800/1801 komponiert wurden, zur gleichen Zeit wie die 1. Sinfonie und 3. Klavierkonzert.

IM PRESTOTEMPO stürzen sich Geige und Klavier in den aufgewühlten Beginn der Sonate. „Geschwind“ lautet die barocke Übersetzung für „Presto“, hier wird daraus eher ein „gehetzt“, ein „dunkles Dahinjagen, das für melodische Entfaltung keinen Raum läßt“ (Arnold Walter-Jensen). Über einer fast unausgesetzten Triolenbegleitung der linken Hand – fast denkt man an gewisse Schubertlieder wie „Erlkönig“ oder „An Schwager Kronos“ – wird ein kurzatmiges Motiv mit Schleifer zwischen rechter Hand und Violine ausgetauscht. Es kommt zu keinem weiträumigen Hauptthema, und auch das Seitenthema bleibt seltsam dunkel, mürrisch und zergliedert. Die Durchführung ist für Beethovensche Verhältnisse extrem knapp. Zwei schöne melodische Einfälle, eine F-Dur-Kantilene der Geige und ein a-Moll-Tanzthema, werden quasi nur gestreift, bevor im Fortissimo die Reprise einsetzt. Der Satz schließt im pianissimo, die Musik verschwindet gleichsam, sie löst sich im vorüberhuschenden Presto auf.

LEICHTER HATTEN ES DIE ZEITGENOSSEN mit dem Mittelsatz. Der Kritiker der Allgemeinen Musikalischen Zeitung fand an diesem „heitern, aber keineswegs flachen Scherzo“ besonderen Gefallen, nachdem er an den Ecksätzen pflichtgemäß „strenge Ordnung und Klarheit“ gerühmt hatte. Auch hier konnte es Beethoven offenbar nicht schnell genug gehen: „Andante scherzoso, più allegretto“ lautet die Tempoanweisung, also etwa: „Scherzendes Andante, oder doch eher Allegretto“. Es ist eines jener zügigen, heiteren A-Dur-Intermezzi, wie sie Beethoven auch später immer wieder geschrieben hat, etwa in der 2. Sinfonie oder im Streichquartett Opus 131. Ein unscheinbares Zweitonmotiv eröffnet den Satz, so, als wollte der Komponist hier gar nicht erst in einen „langsamen Satz“ einsteigen. Es bleibt das motivische Band des Satz, ständig seine Gestalt verändernd, ein kapriziöser Einfall. Nicht weniger scherzhaft ist das zweite Thema zu verstehen, eine alpenländische Weise mit Triller und quasi stampfenden Achteln. Sie wird gleich in einem Fugato vorgestellt, um das triviale Motiv in ein nobles Sonatengewand zu kleiden. In der Schlussgruppe mit ihrem punktierten Rhythmus ist man vollends im Wiener Singspiel angekommen. Nach einer kurzen Durchführung folgen die variierte Wiederholung des ersten Teils und eine knappe Coda, die wiederum im Pianissimo ausklingt.

DER PIANISSIMOSCHLUSS verbindet alle drei Sätze. Auch das Finale zieht sich in dieser Weise vor dem Hörer zurück, doch hier ist es ein irritiertes Pianissimo, das Ende einer wilden Fahrt durch die Zerklüftungen eines Sonatenrondos in rasend schnellem Tempo. Das barock anmutende Hauptthema wird in seiner „Atemlosigkeit“ (Walter-Jensen) nu durch wenige Fermaten gebremst, zwei größere Durepisoden bringen vorübergehend kantable Ruhe in der Satz. Doch auch hier dominiert ein Ausdruckscharakter: das „Presto“.