Sonate B-Dur für Violine und Klavier, KV 454
Werkverzeichnisnummer: 1398
1. Largo – Allegro
2. Andante
3. Allegretto
Mozarts Terminkalender im Frühjahr 1784 war prall gefüllt. Den ganzen März über bis in den April hinein spielte er jeden Montag und Freitag abend beim Grafen Esterházy, jeden Donnerstag abend beim Fürsten Golicyn, je einmal bei den Grafen Zichy und Pálffy. Unter den verbleibenden freien Abenden reservierte er den Mittwoch für seine Subskriptionskonzerte im Trattnerhoff, den 1. April für eine eigene Akademie im Burgtheater. Bei 22 Konzertauftritten in fünf Wochen, täglichem Unterrichten am Vormittag und Komponieren in der Nacht kam selbst ein Mozart ins Gedränge. Als ihn die erst zwanzigjährige Geigerin Regina Strinasacchi bat, auch noch in ihrer Akademie zu spielen, lehnte er zwar nicht ab, sondern komponierte dafür sogar eine neue Violinsonate. Zum Ausschreiben der Stimmen aber war keine Zeit mehr. Am Vorabend des Konzerts konnte die junge Geigerin Mozart gerade noch ihre Stimme abnötigen, um sie bis zum nächsten Tag zu üben. Den Klavierpart aber spielte der Komponist aus der Skizze, und die Uraufführung erfolgte prima vista – ohne eine einzige Probe. Kaiser Joseph II., der an jenem 29. April 1784 der Akademie der berühmten Virtuosin aus Italien bewohnte, dürfte über das Husarenstück seines Schützlings Mozart nicht wenig gestaunt haben.
Regina Strinasacchi stammte aus Mantua, war in Venedig und Paris ausgebildet worden und hatte schon mit 16 Jahren ihre erste Konzertreise durch Europa unternommen. Ihr Ruhm eilte ihr nach Wien voraus, wo Mozart am 24. April 1784 an seinen Vater schrieb: „Hier haben wir nun die berühmte Mantuanerin Strinasacchi, eine sehr gute Violinspielerin; sie hat sehr viel Geschmack und Empfindung in ihrem Spiele. – Ich schreibe eben an einer Sonate, welche wir Donnerstag im Theater bey ihrer Akademie zusammen spielen werden.“ Leopold Mozart konnte das Urteil seines Sohnes nur bestätigen, als die Italienerin im Dezember 1785 am Salzburger Hof gespielt hatte. Er schrieb an seine Tochter: „Mir thut es leid, dass du dieses nicht große, artige, etwa 23 Jahre alte, nicht schändliche, sehr geschickte Frauenzimmer nicht gehört hast. Sie spielt keine Note ohne Empfindung, so gar bey der Synfonie spielte sie alles mit expression, und ihr Adagio kann kein Mensch mit mehr Empfindung und rührender spielen als sie; ihr ganzes Herz und Seele ist bey der Melodie, die sie vorträgt; und eben so schön ist ihr Ton und auch Kraft des Tons. Überhaupts finde ich, dass ein Frauenzimmer, das Talent hat, mehr mit Ausdruck spielt, als ein Mannsperson. NB Sie ist die nämliche Strinasacchi, bey deren Accademie dein Bruder in Wienn nicht nur ein Concert spielte, sondern ihr ein Duetto zu eben dieser Accad: componierte mit Cembalo e Violino.“
Dieses „Duetto“, die Sonate KV 454, ist das vollendete Porträt des ausdrucksvollen Spiels der Strinasacchi. Alles an diesem Stück ist auf glänzende Wirkung im Konzertsaal berechnet, ohne dass Mozart die intimen Seiten ihrer Kunst verleugnet hätte. Als erste seiner Sonaten beginnt sie mit einer langsamen Einleitung, klangvoll und raumgreifend wie die Introduktionen zur „Linzer Sinfonie“ oder zur „Gran Partita“, die in der selben Zeit entstanden, doch weitaus seelenvoller und rührender. Doppelgriffe der Geige und kraftvolle Klavierakkorde eröffnen den Satz, tastende Klavierakkorde in tiefer Lage bereiten den Boden für eine empfindsame Geigenmelodie, die das Klavier in brillant-verzierter Form aufgreift. Im folgenden Allegro liefern sich die Partner einen Schlagabtausch in Staccato-Achteln und Sechzehntel-Läufen. Während im munteren zweiten Thema das Klavier führt, zieht es sich im dritten Thema hinter eine schöne Geigenkantilene zurück. In der Schlussgruppe kehren kesse, kleine Dialoge den Humoristen Mozart hervor. In der Durchführung brillierte Mozart am Flügel in chromatischen Triolen, während seine Geigenpartnerin eine weitere rührende Weise in g-Moll anstimmte – ein dunkler Kontrast zu den durchweg taghellen Themen in Durchführung und Reprise. Am Ende des Satzes hat Mozart nicht dem Humor das letzte Wort überlassen, sondern eine kurze empfindsame Phrase vor den auftrumpfenden Schluss gestellt.
Das Andante in Es-Dur ist wahrhaft ein Satz voller „Herz und Seele“ in der Melodie, dabei ganz dem Dialog der Geige mit der rechten Hand des Klaviers gewidmet. Die Fülle an Verzierungen, die über beide Stimmen ausgestreut sind, mag erst im Moment der Uraufführung entstanden sein, als Mozart ohne Noten spielte und Strinasacchi ihm in so mancher Improvisation gefolgt sein mag. Gleich das wunderbar stille, in sich ruhende erste Thema der Geige wird vom Klavier stark verziert beantwortet. Die Geige ihrerseits ziert das gesanglich weit ausladende Seitenthema mit Doppelschlägen und Läufen aus. Ein drittes, vom Klavier mit kleinen Arpeggi und Terztrillern ausgeschmücktes Thema mündet in raumgreifende Läufe. Soweit die Exposition, die in der Reprise in noch stärker verzierter Form wiederkehrt. Der schwärmerische b-Moll-Mittelteil gehört zu Mozarts großen „Fantasie-Durchführungen“, wie es Girdlestone nannte. Mozart hat sich hier ungehemmt romantischen Stimmungen überlassen und in zwei enharmonischen Verwechslungen (von b-Moll nach h-Moll und von h-Moll nach c-Moll) bereits Schubert vorweggenommen.
Im Finale, einem von Mozarts freundlichen Rondos im Tanzrhythmus einer Gavotte, ist es zunächst die Geige, die führt. Dann aber reißt ihr das Klavier mit virtuosen Triolenpassagen das Heft aus der Hand. Zu den Episoden innerhalb der Rondoform gehören ein kesses Achtel-Staccato-Thema und eine schöne Es-Dur-Melodie der Geige. Ganz zum Schluss hat Mozart den virtuosen Schlagabtausch besonders sinnfällig inszeniert. Erst in diesem Moment greift die Geige die Triolenpassagen des Klaviers auf und scheint im Wettstreit den Sieg davonzutragen – wenn nicht das Klavier auf der Ziellinie in Sechzehnteln an der Geige vorbeiziehen würde. Man kann sich gut vorstellen, wie dieser Schluss im Konzert am 29. April 1784 ex improviso entstand: Mozart, seelenruhig die Triolen seiner Partnerin abwartend, um mit seinen Sechzehnteln am Ende noch „eins draufzusetzen“.
Version 2006:
„Dieses nicht große, artige, etwa 23 Jahre alte, nicht schändliche, sehr geschickte Frauenzimmer“ so nannte Leopold Mozart, hörbar beeindruckt, die Mantuaner Geigerin Regina Strinasacchi und fügte emphatisch hinzu: „Sie spielt keine Note ohne Empfindung.“ Dieser Ausnahmemusikerin hat Mozart seine Violinsonate KV 454 auf den Leib geschrieben.
Sein Terminkalender im Frühjahr 1784 war prall gefüllt. Den ganzen März über bis in den April hinein spielte er jeden Montag und Freitag Abend beim Grafen Esterházy, jeden Donnerstag Abend beim Fürsten Golicyn, je einmal bei den Grafen Zichy und Pálffy. Unter den verbleibenden freien Abenden reservierte er den Mittwoch für seine Subskriptionskonzerte im Trattnerhoff, den 1. April für eine eigene Akademie im Burgtheater. Bei 22 Konzertauftritten in fünf Wochen, täglichem Unterrichten am Vormittag und Komponieren in der Nacht kam selbst ein Mozart ins Gedränge.
Als ihn die erst zwanzigjährige Geigerin Regina Strinasacchi bat, auch noch in ihrer Akademie zu spielen, lehnte er zwar nicht ab, ja komponierte dafür sogar eine neue Violinsonate. Zum Ausschreiben der Stimmen aber blieb keine Zeit mehr. Am Vorabend des Konzerts konnte die junge Geigerin Mozart gerade noch ihre Stimme abnötigen, um sie bis zum nächsten Tag zu üben. Den Klavierpart aber spielte der Komponist aus der Skizze, und die Uraufführung erfolgte prima vista – ohne eine einzige Probe. Kaiser Joseph II., der an jenem 29. April 1784 der Akademie der berühmten Virtuosin aus Italien bewohnte, staunte nicht wenig über das Husarenstück seines Schützlings Mozart.
Regina Strinasacchi stammte aus Mantua, war in Venedig und Paris ausgebildet worden und hatte schon mit 16 Jahren ihre erste Konzertreise durch Europa unternommen. Ihr Ruhm eilte ihr nach Wien voraus, und auch Mozart – sonst hyperkritisch, was Geiger anbelangte – geriet in einem Brief an seinen Vater vom 24. April 1784 ins Schwärmen:
„Hier haben wir nun die berühmte Mantuanerin Strinasacchi, eine sehr gute Violinspielerin; sie hat sehr viel Geschmack und Empfindung in ihrem Spiele. – Ich schreibe eben an einer Sonate, welche wir Donnerstag im Theater bey ihrer Akademie zusammen spielen werden.“
Leopold Mozart konnte das Urteil seines Sohnes nur bestätigen, als die Italienerin im Dezember 1785 am Salzburger Hof Station machte. An seine Tochter Nannerl schrieb er damals:
„Mir thut es leid, dass du dieses nicht große, artige, etwa 23 Jahre alte, nicht schändliche, sehr geschickte Frauenzimmer nicht gehört hast. Sie spielt keine Note ohne Empfindung, so gar bey der Synfonie spielte sie alles mit expression, und ihr Adagio kann kein Mensch mit mehr Empfindung und rührender spielen als sie; ihr ganzes Herz und Seele ist bey der Melodie, die sie vorträgt; und eben so schön ist ihr Ton und auch Kraft des Tons. Überhaupts finde ich, dass ein Frauenzimmer, das Talent hat, mehr mit Ausdruck spielt, als ein Mannsperson. NB Sie ist die nämliche Strinasacchi, bey deren Accademie dein Bruder in Wienn nicht nur ein Concert spielte, sondern ihr ein Duetto zu eben dieser Accad: componierte mit Cembalo e Violino.“
Dieses „Duetto“, die Sonate KV 454, ist das vollendete Porträt des ausdrucksvollen Spiels der Strinasacchi. Alles an diesem Stück ist auf glänzende Wirkung im Konzertsaal berechnet, ohne dass Mozart die intimen Seiten ihrer Kunst verleugnet hätte. Als erste seiner Sonaten beginnt sie mit einer langsamen Einleitung, klangvoll und raumgreifend wie die Introduktionen zur „Linzer Sinfonie“ oder zur „Gran Partita“, die in der selben Zeit entstanden, doch weitaus seelenvoller und rührender. Doppelgriffe der Geige und kraftvolle Klavierakkorde eröffnen den Satz, tastende Klavierakkorde in tiefer Lage bereiten den Boden für eine empfindsame Geigenmelodie, die das Klavier in brillant-verzierter Form aufgreift. Im folgenden Allegro liefern sich die Partner einen Schlagabtausch in Staccato-Achteln und Sechzehntel-Läufen. Während im munteren zweiten Thema das Klavier führt, zieht es sich im dritten Thema vornehm hinter eine schöne Geigenkantilene zurück. In der Schlussgruppe kehren kesse, kleine Dialoge den Humoristen Mozart hervor. In der Durchführung brillierte Mozart am Flügel in chromatischen Triolen, während seine Geigenpartnerin eine weitere rührende Weise in g-Moll anstimmte – ein dunkler Kontrast zu den durchweg taghellen Außenteilen. Am Ende des Satzes hat Mozart nicht dem Humor das letzte Wort überlassen, sondern eine kurze empfindsame Phrase vor den auftrumpfenden Schluss gestellt.
Das Andante in Es-Dur ist ein wahrhaft „rührender“ Satz „voller expression“. Im zarten Dialog zwischen der Geige und der rechten Hand des Pianisten findet sich „keine Note ohne Empfindung“. Die Fülle an Verzierungen, die über beide Stimmen ausgestreut sind, mag erst im Moment der Uraufführung entstanden sein, als Mozart ohne Noten spielte und Strinasacchi ihm in so mancher Improvisation gefolgt sein mag. Gleich das wunderbar stille, in sich ruhende erste Thema der Geige wird vom Klavier stark verziert beantwortet. Die Geige ihrerseits ziert das gesanglich weit ausladende Seitenthema mit Doppelschlägen und Läufen aus. Ein drittes, vom Klavier mit kleinen Arpeggi und Terztrillern ausgeschmücktes Thema mündet in raumgreifende Läufe. Soweit die Exposition, die in der Reprise in noch stärker verzierter Form wiederkehrt. Der schwärmerische b-Moll-Mittelteil gehört zu Mozarts großen „Fantasie-Durchführungen“, wie es Girdlestone nannte. Mozart hat sich hier ungehemmt romantischen Stimmungen überlassen und in zwei harmonischen Rückungen (von b-Moll nach h-Moll und von h-Moll nach c-Moll) bereits Schubert vorweggenommen.
Im Finale, einem von Mozarts freundlichen Rondos im Tanzrhythmus einer Gavotte, ist es zunächst die Geige, die führt. Dann aber reißt ihr das Klavier mit virtuosen Triolenpassagen das Heft aus der Hand. Zu den Episoden innerhalb der Rondoform gehören ein kesses Achtel-Staccato-Thema und eine schöne Es-Dur-Melodie der Geige. Ganz zum Schluss hat Mozart den virtuosen Schlagabtausch besonders sinnfällig inszeniert. Erst in diesem Moment greift die Geige die Triolenpassagen des Klaviers auf und scheint im Wettstreit den Sieg davonzutragen – wenn nicht das Klavier auf der Ziellinie in Sechzehnteln an ihr vorbeiziehen würde. Man kann sich gut vorstellen, wie dieser Schluss im Konzert am 29. April 1784 ex improviso entstand: Mozart, seelenruhig die Triolen seiner Partnerin abwartend, setzte mit seinen Sechzehnteln am Ende doch noch „eins drauf“ – und der Wiener Hochadel jubelte beiden zu.