Quintett D-Dur für zwei Violinen, zwei Violen und Violoncello, KV 593
Werkverzeichnisnummer: 1384
1. Larghetto – Allegro
2. Adagio
3. Menuetto. Allegretto – Trio
4. Allegro
Mozarts Streichquintette
Wolfgang Amadeus Mozarts Streichquintette galten Johannes Brahms als Muster formaler Vollkommenheit, Franz Schubert als „wohlthäthige Abdrücke eines lichtern bessern Lebens“, der modernen Musikwissenschaft als „seine größte Leistung in der Kammermusik“ (Charles Rosen). Der Mozart-Biograph Otto Jahn rühmte an ihnen die klassische Einheit von Inhalt und Form: wie hier „beide, die Wahrheit und Kraft der psychologischen Entwicklung und die Reinheit und Schönheit der künstlerischen Form, in ihren wesentlichen Manifestationen zusammenfallen und eins sind.“ Dieser klassizistischen Deutung der Quintette steht bis heute eine biographische Interpretationstradition gegenüber, die die Todesbetrachtungen und die Resignation Mozarts in den Jahren 1787-1790 zur psychologischen Ursache der Werke erklärte, wie es Alec Hyatt King oder Hermann Abert taten.
„Auf eine sehr thätige Aneiferung eines Musikfreundes“ hin soll Mozart seine beiden späten Streichquintette (KV 593 und 614) komponiert haben. Wie bei den großen Quintetten von 1787 dachte er auch bei ihnen an eine Dreierserie zur späteren Publikation, denn aus seinem letzten Lebensjahr haben sich eine ganze Reihe von Skizzen für weitere Quintette erhalten, etwa das sehr weit gediehene Particell zu einem Quintett in a-Moll. Zur Vollendung dieser Serie ist es aber nicht mehr gekommen.
Bei dem „amatore ongarese“, der die beiden letzte Quintette bestellt hatte, handelte es sich höchstwahrscheinlich um den Wiener „Großhandlungs-Gremialisten“ und hervorragenden Quartettgeiger Johann Tost. Haydn hatte ihm seine sogenannten „Tostquartette“ op. 54/55 gewidmet, und selbst Louis Spohr sollte noch um 1815 von der Kammermusikbegeisterung dieses Mäzens profitieren. Freilich könnte auch ein anderer ungarischer Mäzen Mozarts der Auftraggeber gewesen sein: Johann Carl Graf Hadik, der Sohn eines berühmten Feldmarschalls aus theresianischer Zeit, bei dem Mozart im Frühjahr 1790 sein Divertimento für Streichtrio KV 563 aufführte. Das D-Dur-Quintett ist noch mit einem weiteren Freund Mozarts verknüpft: mit Joseph Haydn.
Quintett D-Dur, KV 593
Am 14. Dezember 1790 lud Mozart zu einem Kammermusikabend in seine neue Wohnung in der Rauhensteingasse ein. Im Anschluss gab er ein festliches Abendessen zu Ehren von Joseph Haydn, der am folgenden Tag nach London aufbrach. Ein letztes Mal erwies Mozart seinem großen Freund die Ehre der Gastfreundschaft und eines musikalischen Grußes: Sein D-Dur-Streichquintett, gerade erst vollendet, diente als Adieux an den Freund. Zum letzten Mal kreuzten sich an diesem Abend die Wege der beiden. Als Haydn 15 Monate später aus London zurückkehrte, war Mozart schon gestorben. Wehmut lag nach den Aussagen der Anwesenden über dem Abschied der beiden, die nicht ahnen konnten, dass es der viel Jüngere von ihnen sein würde, der kein Jahr mehr zu leben hatte. Die zarte „Les Adieux“-Stimmung in der langsamen Einleitung und im Adagio des D-Dur-Quintetts deuten ebenso auf den Anlass hin wie so manche Verneigung vor Haydn in der kompositorischen Faktur der schnellen Sätze.
Als Mozart das Quintett „im Dezember 1790“ ohne Tagesdatum in sein eigenhändiges Werkverzeichnis eintrug, verfolgte er noch andere Absichten, als seinen Freund Haydn zu verabschieden. Es war das erste Werk, das er nach seiner Reise ins Reich – nach Frankfurt, Mainz, Mannheim und München – in Angriff nahm, und zwar aus ganz praktischen Gründen. Schon auf der Reise hatte er seine Frau wissen lassen: „Im Advent fange ich ohnehin an, kleine Quartett-Subskriptions-Musiken zu geben“. Für diese Quartettabende, die auch Quintette und Trios mit einschlossen, war ein neues Streichquintett ideal geeignet, konnte sich Mozart hier doch als erster Bratschist unter seine Streicherkollegen einreihen. Sein Freund Abbé Maximilian Stadler erinnerte sich noch 35 Jahre später an die prominente Besetzung jener Adventskonzerte. Neben den Wiener Geigern Spitz und Stoll, dem zweiten Bratschisten Stadler und dem Cellisten Orsler wechselten sich keine Geringeren als Haydn und Mozart an der ersten Bratsche ab. Zur Aufführung kamen neben dem brandneuen D-Dur-Quintett auch die früheren Quintette in C und g. Von einem etwas späteren Kammermusikabend im April 1791 wissen wir, dass sich Mozart für solche Quintettaufführungen eine Geige und zwei besonders gute Bratschen bei seinem Logenbruder Michael Puchberg auslieh.
Für Mozart war das D-Dur-Quintett auch schaffenspsychologisch ein Neuanfang – der Auftakt zum künstlerischen Höhenflug seines letzten Lebensjahres 1791. „Wie es mir herrlich anschlägt“, hatte er seine Frau Ende Oktober 1790 von München aus wissen lassen, wo er auf der Rückreise Station machte. Es war die letzte größere Reise seines Lebens, ein Triumphzug vor seinem deutschen Publikum zwischen Rhein und Isar. „Du kannst dir nicht vorstellen, wie das Gereiß um mich ist“, schrieb er seiner Frau aus München, und nicht nur dort hatte man ihn angemessen gefeiert, nachdem er bei den Krönungsfeierlichkeiten für Kaiser Leopold II. in Frankfurt nur Zaungast geblieben war. Seine am Main noch frostige Laune besserte sich am Rhein zusehens – zunächst während einer knappen herbstlichen Woche in Mainz, wo er im Schloss vor dem Kurfürsten spielte, dann in Mannheim, wo er den Jubel um seinen „Figaro“ entgegennehmen durfte. Auch eine geheimnisvolle Liaison mit einer Mainzer Sängerin, die Bekanntschaft mit dem hervorragenden Mainzer Geiger Heinrich Anton Hoffmann und das Treffen mit den vielen alten Freunden in Mannheim und München hoben seine Stimmung beträchtlich, so dass er bestens gelaunt Mitte November wieder in Wien eintraf.
All dies – der Abschied von Haydn, die geplante kleine Konzertreihe, der neue Schaffenselan – sind in das D-Dur-Quintett eingeflossen. Es ist ein Werk von höchstem Anspruch zwischen übermütigem Scherz und tiefer Melancholie – eines seiner großen Meisterwerke in der majestätischen Tonart D-Dur.
Der erste Satz beginnt mit einer zart schwebenden langsamen Einleitung. Mozart hat sie in der Partitur mit Larghetto überschrieben, in seinem Werkverzeichnis dagegen mit Adagio, was auf ein sehr ruhiges Tempo hinweist. Das Cello gibt einen majestätischen D-Dur-Dreiklang vor, den die Oberstimmen mit einem zarten Gesang beantworten. Im Folgenden werden die Dreiklänge des Cellos immer drängender, die Antworten der Oberstimmen immer resignierter, von der typischen Chromatik des späten Mozart durchsetzt. Wie viel untergründige Verzweiflung in dieser Einleitung steckt, wird deutlich, wenn sie kurz vor Ende des Satzes wiederkehrt. Wie in der Ouvertüre zu „Così fan tutte“ hat Mozart die langsame Einleitung vor der Coda des Allegro noch einmal überraschend eingeschoben. Hier geschieht es auf eine so abgründige, von tiefer Trauer durchdrungene Weise, dass einem das Lachen über die abschließende Pointe des Satzes im Halse stecken bleibt. Der große englische Mozartkenner Guthbert Girdlestone nannte diese Einleitung ein Musterbeispiel für „den Geist der Leere und Erschöpfung, durchtränkt von Melancholie“, der den späten Mozart vom selbstbewussten Komponisten früherer Jahre unterscheidet. „Das Wort ‚verwelkt‘ ist kaum zu stark, um diesen Geist zu charakterisieren,“ so Girdlestone.
In den Allegro-Teilen des ersten Satzes fand Girdlestone eine andere Seite des spätesten Mozart wieder: die Neigung zum „intellektuellen Spaß, zur geistreichen Wendung“. In der Tat gehört das Allegrothema zu Mozarts bizarrsten Einfällen, aus fünf Motiven wie im Baukasten zusammengesetzt: Die Geigen gehen mit einem forschen Contretanz aus Trillern und „Hornquinten“ voran, an den sich ein burschikoser Quintruf anschließt. Plötztlich platzt ein Septakkord ins Geschehen, dem eine Triolenkaskade folgt. Die harsch unterbrochene Bewegung wird mit einem elegant schlendernden Motiv im punktieren Rhythmus zu Ende geführt. Jedes der fünf Motive wird im folgenden auf kunstvollste Weise verarbeitet. Auf weiteres thematisches Material hat Mozart verzichtet und stattdessen der Lust an der monothematischen Spielerei alla Haydn gefrönt. Des motivischen Vexierspiels ist kein Ende, wobei sich auch der Affekt ständig zu ändern scheint. Auf lautes Dur folgt unerwartet weiches Moll und vice versa, auf buffonesken Tanzrhythmus zarter Gesang. Der Satz bleibt in der Schwebe zwischen hintergründigem Humor und tiefer Verzweiflung, „zwischen Lachen und Tränen“, wie es Girdlestone nannte.
Auch für den zweiten Satz könnte man eine Äußerung des englischen Mozartforschers zitieren: „Er bringt die wahre Essenz des ersten Satzes zum Vorschein. Die Vermischung von Heiterkeit und Traurigkeit ist deutlicher, das Licht heller, der Schatten tiefer. Die Nachbarschaft von Lächeln und Tränen ist enger, in der Musik wie im Leben, und ihre gemeinsame Wurzel in der Seele des Komponisten sichtbarer.“ In der Tat hat sich Mozart in diesem G-Dur-Adagio rückhaltlos ausgesprochen: im erhabenen Ernst seines Hauptthemas wie in der tiefen Verzweiflung der Molleinschübe, die nicht zufällig an das Andante der „Jupitersinfonie“ erinnern. Zunächst singt die erste Violine eine ätherische Arie, die mit einer Kette von Seufzerfiguren schließt. In der Durchführung werden diese Seufzer durch die Stimmen und durch die Tonarten geführtn, um in einer der schönsten Stellen von Mozarts gesamter Kammermusik zu gipfeln: einer Kette zart-schmelzender Vorhalte über Pizzicato, die zur Reprise zurückleiten. Zunächst aber hat Mozart dem Hauptthema einen Molleinbruch gegenübergestellt: Pochende Triolen der Mittelstimmen grundieren ein Geigensolo, das von schierer Verzweiflung kündet. Das Cello antwortet mit Trillern, die wie dumpfe Paukenwirbel klingen. Die Welt des Requiems ist hier nicht mehr weit, und obwohl diese düsteren Wolken bald vom matten Sonnenlicht des dritten Themas vertrieben werden, hat Mozart den pochenden Trioleneinschub noch dreimal zitiert. Erst ganz am Ende des Satzes streifen seine pochenden Triolen und die „Paukenwirbel“ ihr düsteres Moll ab und verwandeln sich in sanftes G-Dur. Dazu singt das Cello eine hinreißend schöne, versöhnliche Melodie in hoher Lage, die am Ende die erste Geige aufgreift. Dieser Schluss – Gegenstück zum nicht minder ergreifenden Epilog im langsamen Satz des Klarinettenquintetts – wirkt wie ein Regenbogen nach dem Sturm: ein Zeichen der Versöhnung für die aufgewühlten Gefühle in den Mollteilen dieses wundervollen Satzes.
Nach der abgrundtiefen Melancholie in den ersten beiden Sätzen tun sich in den letzten beiden Sätzen keine Mollabgründe mehr auf. Stattdessen frönte der Kontrapunktiker Mozart hier der Freude am intellektuellen Spiel mit Kanon und Fuge. Im Menuett wird eine liebliche Melodie aus lauter fallenden Dreiklängen auf kunstvolle Weise in Kanons eingebettet. Die Kunst versteckt sich hier hinter der Fassade volkstümlichen Gesangs, ebenso im Trio mit seinem serenadenhaften Geigensolo über den gezupften Saiten der anderen. Im zweiten Teil des Trios greift das Cello dieses Motiv kurz auf und wagt sich in höchste Höhen vor. Joseph Orsler, der erste Interpret der Cellopartie, könnte mit der hohen Lage dieses Solos Schwierigkeiten gehabt haben, denn Mozart verlegte diese Stelle kurzerhand in tiefere Regionen.
Im Finale, ausnahmsweise kein Rondo, sondern ein Sonatensatz, tritt Mozarts kontrapunktische Kunst in voller Größe in Erscheinung. Dank seiner Bearbeitungen Händelscher Oratorien und seiner Leipziger Bachstudien hatte er zwischen 1788 und 1790 sein Handwerkszeug als Fugenmeister erheblich erweitert. Im Finale des D-Dur-Quintetts schlägt sich dies fast ebenso deutlich nieder wie im Finale der „Jupitersinfonie“. Der Satz beginnt unschuldig genug mit einem chromatischen Lauf der ersten Geige und einem geschäftigen Tanzthema, das nervös um sich selbst und um die Tonarten D-Dur und e-Moll kreist. In der Überleitung wird aus dem anfänglich so eleganten Lauf ein gewichtiges Forte-Motiv. Damit ist der Boden für das zweite Thema bereitet, eine veritable Fuge über ein barockes Thema mit Triller und ein Kontrasubjekt aus lauter Triolen. In der Durchführung treibt zunächst der chromatische Lauf sein Unwesen – in Umkehrung, Engführung und melodischen Varianten. Dann setzt eine neuerliche Fuge über ein synkopisches Triolenthema ein. In der Reprise wird dieses neue Thema mit dem Haupt- und Seitenthema zu einer Tripelfuge vereint – die Apotheose des Quintetts. Freilich ist es der chromatische Lauf, der dem Finale bis in den letzten Takt hinein seinen Stempel aufdrückt.
Übrigens war dieses Mozartfinale lange Zeit nur in entstellter Form bekannt: Die ersten Spieler fürchteten offenbar die chromatisch absteigenden Läufe des Themas so sehr, dass man sie in leichtere chromatische Terzgänge umschrieb. Es ist der einzige Fall der Verfälschung eines kompletten Mozartthemas, der noch dazu in die gängigen älteren Ausgaben Aufnahme fand. Die erste Einspielung des Quintetts durch das wunderbare Brüsseler „Quatuor Pro Arte“ weist noch die gefälschte Lesart auf. Erst die Neue Mozartausgabe hat diese Fälschung beseitigt und den Urtext wieder hergestellt – auf der Basis von Mozarts Autograph, das sich heute in der Collection Bodmer in Colligny bei Genf befindet.
Quintett D-Dur, KV 593 (kurze Fassung)
Das D-Dur-Quintett, vollendet im Dezember 1790, wirkt wie der Inbegriff von spätem Mozart: eine von Generalpausen durchsetzte Musik der offenen Fragen. Melodien von schlichter Kantabilität stehen Abstürzen in Mollabgründe gegenüber; in Durwendungen schleicht sich Chromatik ein, die Empfindsamkeit des Jahres 1787 ist durch subtile Ironie und tiefe Melancholie ersetzt. Mozarts seit 1788 hervortretende Neigung zum kontrapunktischen Spiel wird ebenso deutlich wie eine an Haydn orientierte melodische Erfindung, die die Themen aus kleinsten motivischen Bausteinen entwickelt.
Der Kopfsatz beginnt mit einer langsamen Einleitung, die ein Gespräch zwischen dem Cello und den übrigen Instrumenten ist. Zwischen gebrochenen Dreiklängen des Cellos und einem choralartigen Gesang der Oberstimmen entwickelt sich ein zarter Dialog, der auf jedes Pathos verzichtet. Er wird von einem der eigenwilligsten Allegro-Themen abgelöst, die Mozart geschrieben hat. Es ist eine Art Marsch, der sich von D nach e, dann durch unvermittelt hereinbrechende Geigentriolen nach G und schließlich (über ein Motiv im punktierten Rhythmus) zurück zur Grundtonart wendet. Dieses zwölftaktige Gebilde enthält das gesamte thematische Material des Satzes. Das zweite Thema ist nurmehr eine kanonische Variante des ersten; die Durchführung variiert Achtel und Triolenfigur; die Reprise erweitert die punktierte Skala zur kontrapunktischen Episode. Am Ende des Satzes kehrt die langsame Einleitung wieder, in ihrer Chromatik noch gesteigert, wie ein melancholischer Kommentar zum Humor des Allegro, bevor dessen Anfang sich zugleich als perfekter Schluss entpuppt.
Das Adagio in G-Dur gehört zu den ergreifendsten langsamen Sätzen in Mozarts Kammermusik. Wie im Andante der Jupitersinfonie lösen ein kantables Hauptthema in Dur und klanglich aufgeraute Episoden in Moll einander ab. Das Thema selbst ist von so schlichter Schönheit, dass es ohne jeden Aufwand komponiert erscheint. Sein wichtigster Bestandteil ist eine eine in Terzen absteigende Folge von Schleifern mit kurzen Auftakten, ein Ornament, das auch die Durchführung des Satzes beherrscht. An deren Ende entsteht aus den Schleiferfiguren eine so himmlische Folge von Vorhalten, wie sie selbst Mozart nur einmal geschrieben hat. Die Molleinbrüche beruhen auf pochenden Triolen, über denen erste Geige und Cello einen klagenden Zwiegesang anstimmen. Am Ende des Satzes verwandelt sich dieses Bild der Erregung unversehens in eine ätherische Vision in Dur – einer der schönsten Schlüsse in Mozarts Kammermusik.