Quintett C-Dur für zwei Violinen, zwei Violen und Violoncello, KV 515
Werkverzeichnisnummer: 1383
1. Allegro
2. Menuetto. Allegretto
3. Andante
4. (Allegro)
Mozarts Streichquintette
Im Frühjahr 1787, nach den umjubelten Prager Aufführungen seines “Figaro” und während der Arbeit am “Don Giovanni”, wandte sich Mozart einer Kammermusikgattung zu, die ihn seit seinen Salzburger Jugendjahren nicht mehr beschäftigt hatte: dem Streichquintett für zwei Geigen, zwei Bratschen und Cello. Seinerzeit, 1773 in Salzburg, hatten ihn Notturni Michael Haydns zu seinem ersten, höchst anspruchsvollen Quintett in dieser Besetzung angeregt. Nun, 14 Jahre später in Wien, waren es wieder die Werke anderer, die sein Interesse am Quintett neu erwachen ließen.
In seinem stets hellwachen Sinn für Neuerungen auf dem Wiener Notenmarkt war es Mozart nicht entgangen, dass seine Kollegen Franz Anton Hoffmeister und Ignaz Pleyel ab 1786 höchst erfolgreich Zyklen von Streichquintetten publiziert hatten. Sicher hoffte er, an diesem “Boom” partizipieren zu können, zumal er sich im Quintett, anders als im Streichquartett, nicht der erdrückenden Konkurrenz Joseph Haydns aussetzen musste. Haydn lehnte die Gattung Streichquintett mit der lakonischen Begründung ab, dass er “die fünfte Stimme einfach nicht finden” könne. Seinem Freund Mozart fiel dies nicht schwer.
Von Salzburg her war er den reichen Mittelstimmensatz mit zwei Bratschen in Kammer- und Orchestermusik gewohnt. In Wien entwickelte sich die Viola beim Kammermusizieren zu “seinem” Instrument. Kein Wunder also, dass gerade die “fünfte Stimme”, sprich die erste Viola, in seinen Quintetten mit dankbaren solistischen Aufgaben betraut wird. Sie bildet neben dem Cello den eigentlichen Gegenpart zur ersten Geige, woraus ein vielschichtiges, klanglich ungemein reiches Musizieren entsteht.
Dies zeigen exemplarisch die beiden großen Quintette in C und g, die Mozart im Frühjahr 1787 im Monatsabstand schuf: Das C-Dur-Quintett trug er am 19. April als vollendet in sein Werkverzeichnis ein, das g-Moll-Quintett am 16. Mai. Vorausgegangen waren Entwürfe für mindestens zwei weitere Quintette in B und Es, die er aber nicht vollendete. Stattdessen verwandelte er seine c-Moll-Bläserserenade in ein Streichquintett (KV 406) und erhielt so den in Wien üblichen Dreierzyklus von Werken. Im April 1788 konnte er das neue Opus in der Wiener Zeitung den Käufern anbieten: “Drei neue Quintetten à 2 Violini, 2 Viola und Violoncello, schön und korrekt geschrieben”. Die Werke sollten also in handgeschriebenen, nicht in gedruckten Stimmen verbreitet werden. Offenbar hatte sich noch kein Verleger gefunden, der diese exorbitant schweren und langen Quintette herausbringen wollte.
Auch die Wiener Musikliebhaber blieben zögerlich. Der hohe Preis und die nicht minder hohen Anforderungen an alle fünf Spieler schreckten sie ab, so dass sich auf Mozarts Zeitungsaufruf kaum ein Käufer meldete. Erst als der Musikverlag Artaria das C-Dur- und g-Moll-Quintett 1789 jeweils einzeln als “Gran Quintetto” herausbrachte, verkauften sie sich besser. Nach und nach avancierten sie zu Lieblingsstücken der Wiener Kammermusikzirkel, so dass Artaria auch die übrigen drei Wiener Streichquintette Mozarts im Druck veröffentlichte, allerdings erst nach dem Tod des Kompnisten.
Mozart selbst hat seine Quintette in seinen letzten beiden Lebensjahren wiederholt bei Kammerkonzerten in Salons seiner Gönner aufgeführt. Auch dies wird zu ihrem stetig wachsenden Erfolg beigetragen haben. Noch Jahrzehnte später konnte sich sein Freund Abbé Stadler an die Besetzung jener denkwürdigen Aufführungen erinnern. Die Violinstimmen wurden von zwei Geigern der Wiener Hofkapelle übernommen, die Cellostimme von deren Solocellisten Joseph Orsler, die beiden Bratschenstimmen aber teilten sich keine Geringeren als Mozart und Haydn. Joseph Haydn dürfte beim Spielen nicht wenig darüber gestaunt haben, wie genial es Mozart gelungen war, jene fünfte Stimme zu finden, die er selbst im Quintettsatz nicht finden konnte.
Quintett C-Dur, KV 515
Das C-Dur-Quintett zeigt die geradezu überwältigende Fülle an Klangkombinationen, die Mozart dem Quintettsatz entlockte. Zu Beginn treten erste Geige und Cello solistisch hervor, im Andante Violine I und Viola I. Mal antwortet das Bratschenpaar dem Geigenpaar, mal umgekehrt, mal treten Geigen und erste Bratsche zu einer Art “Oberchor” zusammen, denen die tiefen Stimmen als “Unterchor” antworten. All diese Varianten gehen so nahtlos ineinander über, eins fließt so scheinbar zwanglos ins andere, als habe sich Mozart den Quintettsatz nicht erst mühevoll erarbeiten müssen. Tatsächlich scheint ihm, trotz höchster Kunst auch in den Details, etwa der reichen chromatischen Stimmführung, die klangliche Fülle des Quintetts leichter gefallen zu sein als die strenge Ökonomie des Streichquartetts.
Der Kopfsatz von KV 515 beginnt mit dem Elan eines Doppelkonzerts: Das solistische Cello geht mit einem forsch in die Höhe strebenden C-Dur-Dreiklang voran, worauf die erste Geige mit einer empfindsamen Arabeske antwortet. Die drei Mittelstimmen begleiten in pochenden Achteln. Plötzlich tauschen die Außenstimmen die Rollen, vertauschen C-Dur mit c-Moll und erhöhen so noch die Dramatik des Dialogs. Eine eher unscheinbare Kadenzfloskel leitet unversehens in die lyrische Welt des Seitenthemas über. Hier ist alles weich fließend und chromatisch dicht verwoben. Geigen und Bratschen spielen einander paarweise die Motive zu, während das Cello durch ausgehaltene Töne die Spannung erhöht. Ein Terzmotiv wandert durch alle fünf Stimmen, die harmonische Entwicklung erreicht das weit entfernte Des-Dur. Erst das dritte Thema ist fest auf der Dominante gegründet und entwickelt sich aus einer Wellenlinie, die deutlich an den Beginn der “Figaro”-Ouvertüre erinnert. Dieses Figaro-Motiv dient in der Durchführung und der langen Coda als Grundlage für zwei grandiose, quasi-sinfonische Steigerungen – wie überhaupt alles an diesem Satz mehr den Dimensionen einer Sinfonie als denen von Kammermusik entspricht. Es handelt sich um den längsten Allegro-Kopfsatz, den Mozart jemals geschrieben hat – länger als der erste Satz seiner “Prager Sinfonie”, ja sogar als derjenige von Beethovens “Eroica”. Der Grund dafür liegt in den ungeheuer gedehnten Proportionen, die schon im Hauptthema die erstaunliche Zahl von 60 Takten erreichen, in der Coda noch einmal mehr als 40 Takte.
In Mozarts Autograph folgt auf den Kopfsatz zunächst das Andante. Wegen Zweifeln an der authentischen Paginierung ist aber wohl die Reihenfolge des Erstdrucks vorzuziehen, in dem das Menuett an zweiter Stelle steht. Es beruht auf einem Terzenmotiv der Geigen, das die Anderen in feinem kontrapunktischem Satz übernehmen und weiterentwickeln. Im Trio kann man nach zögerlichem Beginn eine Vorahnung der Musik Franz Schuberts in Mozarts Schaffen hören: einen süß-singenden Ländler, der zwischen Dur und Moll auf wehmütige Weise changiert.
Im Andante erhält die erste Bratsche ihren großen Auftritt: Sie kommentiert das gesangliche Thema der ersten Geige mit Einwürfen und verstrickt die Partnerin dann in ein immer drängender werdendes Zwiegespräch – ein Liebesduett im Stile der Opera seria, übertragen in den intimen Rahmen der Kammermusik. Die Figuration der beiden Instrumente und die Intensität ihres Dialogs erinnern an das Andante der Sinfonia concertante KV 364, die Melodik an die Duette zwischen Donna Anna und Don Ottavio im zweiten Akt des “Don Giovanni”.
Dem tänzerischen Rondothema des letzten Satzes liegt ein Tritonus zugrunde, was unweigerlich zu chromatischen Exzessen in seiner Verarbeitung führt. Insgesamt fünf Themen, konzertantes Laufwerk in allen Stimmen, chromatische Übergänge und feine thematische Arbeit halten dieses lange Sonatenrondo auf der Höhe der ersten drei Sätze.