Quartett G-Dur für zwei Violinen, Viola und Violoncello, KV 387
Werkverzeichnisnummer: 1376
1. Allegro vivace assai
2. Menuetto. Allegro
3. Andante cantabile
4. Molto allegro
Mit seinen sechs Streichquartetten KV 387, 421, 428, 458 sowie 464-465 hat Mozart seinem verehrten Komponistenfreund Joseph Haydn ein Denkmal gesetzt. Angeregt durch dessen sechs Streichquartette Opus 33, die 1782 im Druck erschienen waren, begann Mozart an Weihnachten 1782 einen eigenen Quartettzyklus, dessen sechs Werke freilich erst drei Jahre später vollendet waren. Den 1785 im Verlag Artaria publizierten Druck widmete er „seinem lieben Freund Joseph Haydn“. Seitdem werden die sechs Werke volkstümlich Mozarts „Haydn-Quartette“ genannt, was auch musikalisch zutrifft, denn unschwer kann man in ihnen Anspielungen auf frühere Quartette Haydns ausmachen, besonders natürlich auf dessen Opus 33. In den bewegenden Worten seiner Zueignung „al mio caro amico Haydn“ betonte Mozart, wie sehr ihm Haydns Streichquartette Leitstern und Inspiration gewesen waren. Seine eigenen Quartette nannte er Kinder, die er unter dem Schutz des großen Mannes in die Welt entlasse. Zugleich unterstrich er, wie sehr seine Quartette „il frutto di una lunga, e laboriosa fattica“ seien, die Frucht einer langen, mühsamen Arbeit. Ausführliche Skizzen zu den Quartetten und der für Mozart ungewöhnlich langwierige Entstehungsprozess lassen jene mühsame kompositorische Detailarbeit erahnen.
Da Mozart selbst ein leidenschaftlicher Quartettspieler an Geige oder Bratsche war, kam er in seiner Vorrede auch auf die ersten Aufführungen der Quartette in Wien zu sprechen. Haydn selbst habe ihm nach diesen Aufführungen „bei seinem letzten Aufenthalt in Wien“ seine Zufriedenheit mit den Stücken ausgedrückt. Mozart spielte damit auf zwei denkwürdige Quartettabende in seinem Hause an: Am 15. Januar und am 12. Februar 1785 hatte er den Freund zu sich eingeladen, um ihm zuerst die früheren drei Quartette, dann die erst jüngst komponierten vorzuspielen. Leopold Mozart spielte die erste, sein Sohn die zweite Geige, Viola und Cello lagen in den Händen der Freiherren Anton und Bartholomäus Tinti. Das Es-Dur-Quartett und seine Schwesterwerke beeindruckten damals Haydn so sehr, dass er Vater Mozart sein berühmtes Kompliment über den Sohn machte: „Ich sage Ihnen vor Gott, als ein ehrlicher Mann, ihr Sohn der größte Componist, den ich von Person und dem Namen nach kenne; er hat Geschmack, und überdieß die größte Compositionswissenschaft.“
Am Silvestertag des Jahres 1782 vollendete Mozart in Wien sein G-Dur-Streichquartett, KV 387. Es war der letzte Tag eines Jahres, das mit der Uraufführung von Schillers Räubern im Mannheimer Nationaltheater am 13. Januar symbolträchtig begonnen hatte. Die beiden Werke umrahmen gleichsam ein Schicksalsjahr der Klassik, das den Durchbruch einer jungen Künstlergeneration in der Pfalz, in Weimar und Wien zum klassischen Stil sah. Mozart dirigierte die Uraufführung seiner Entführung aus dem Serail und begann mit dem G-Dur-Quartett seine erste klassische Serie von Streichquartetten, Schiller brachte Die Räuber heraus und schrieb an Kabale und Liebe, Haydn publizierte seine Streichquartette Opus 33, und Goethe dichtete den Erlkönig. In diesem Kontext muss man Mozarts G-Dur-Quartett hören: als musikalisches Pendant zum dichterischen Höhenflug eines neuen Zeitalters, als Aufbruch zu einer neuen Dramatik des musikalischen Dialogs und einer emotional gesteigerten Beredsamkeit auch in der reinen Instrumentalmusik.
Im ersten Satz des G-Dur-Quartetts schlägt sich diese Beredsamkeit gleich im Hauptthema nieder. Sein geradlinig zupackender Gestus weicht im jeweils zweiten Takt ins Chromatisch-Empfindsame aus. Jede seiner Phrasen mündet in einen empfindsamen Vorhalt, eine sogenannte „Apoggiatur“. Die gleichsam gestische Sprache der einzelnen Phrasen, von Takt zu Takt changierend, verleiht dem Thema eine überaus sprechende, ausdrucksvolle Note. Seine unterschwellige Chromatik tritt in der Überleitung auf dramatische Weise, wenn auch nur kurz hervor, um im Seitenthema einer wundervoll inspirierten, eingängigen Tanzweise Platz zu machen. Die erste Geige greift den Tanzrhythmus des Rigaudon auf und umspielt ihn in Sechzehnteln, die sich allmählich über das Ensemble ausbreiten. Die Schlussgruppe lässt noch einmal kurz die empfindsamen Zwischentöne des Anfangs anklingen. In der Durchführung gerät das Hauptthema ins Stocken, es verfängt sich sozusagen in Zweifeln über den weiteren Fortgang, bis ein Synkopenmotiv kraftvolle neue Akzente setzt. Immer wieder von neuem setzt die Durchführung zu melodischem Schwung an und bleibt doch immer wieder stecken. Ebenso changierend zwischen Zuversicht und Zweifel – Schillers Dramenfiguren durchaus vergleichbar – mutet der Rest des Satzes an.
Im Menuett hat Mozart seinem Hang zur chromatischen Melodik freien Lauf gelassen: absteigende gebrochene Dreiklänge und aufstrebende chromatische Linien bilden das Spannungsfeld eines Satzes, der mit der höfisch-galanten Aura früherer Menuette nichts mehr gemein hat. Im düsteren g-Moll-Trio wird dies noch deutlicher: Dem „Sturm und Drang“ seines Unisono-Beginns antworten zaghaft-stockende Viertel in „gesuchten“ harmonischen Ausweichungen.
Ruhe kehrt erst im Andante cantabile ein, einem der schönsten langsamen Sätze, die Mozart geschrieben hat. Aus tiefer Lage erhebt sich der Gesang der ersten Geige im Crescendo zu blühender Höhe und sinkt sofort wieder in die Tiefe und ins Piano hinab, vom Echo der übrigen Stimmen beantwortet. Das Cello greift die Schlussfloskel auf, und nun entspinnt sich im singend-erfüllten Kontrapunkt der vier Instrumente ein Dialog, wie ihn das Genre Quartett bis dahin selbst bei Haydn noch nicht erlebt hatte: Volle Akkorde der Oberstimmen über wogenden Triolen des Cellos wechseln mit raumgreifenden Violinsoli ab. Mollzweifel in Form eines Triolenmotivs breiten sich über das gesamte Ensemble aus, bis die erste Geige in tiefer Lage eines der schönsten Themen Mozarts anstimmt, einen feierlichen Gesang, der in förmlichen Seufzern seinen Höhepunkt erreicht und in eine überaus bewegte Schlussgruppe mündet. Nach einer Kürzest-Durchführung von vier Takten wird dieser gesamte überreiche erste Teil harmonisch und melodisch gesteigert wiederholt.
Spätestens mit diesem Satz hatte Mozart eine Stilhöhe erklommen, die ein simples Finale in Rondoform ausschloss. Stattdessen stellte er an den Beginn des Finales eine Fuge. Ein klassisches Fugenthema kirchlich-gelehrten Kontrapunkts wandert von der zweiten Geige aus durch die Stimmen, so als handle es sich um die Amen-Fuge aus einer Messe. Die Schlussfugen in Haydns Quartetten Opus 20 dürften Mozart zu diesem Beginn inspiriert haben, und wie Haydn ging es ihm dabei um die Synthese zwischen gelehrtem und galantem Stil. Denn schon nach 18 Takten löst sich der erhabene Fugenbeginn in Wohlgefallen auf: der Kirchenstil macht dem Stil der Opera buffa Platz, einer nonchalant trällernden Tanzmelodie. Ebenso unversehens verbinden sich beide Elemente, die Vorhalte der Fuge und die Tanzweise, zu einer Überleitung von geballtem Kontrapunkt, die in einen Halbschluss mündet. Ein zweites Fugenthema tritt auf den Plan. Synkopisch und ebenso gelehrt wie das erste wandert es vom Cello aus durch die Stimmen und verbindet sich danach sogleich mit dem Hauptthema zum Doppelfugato. Wieder geht aus dieser gelehrten Episode die galante hervor: das eigentliche Seitenthema, ein alpenländischer Jodler. Von seiner guten Laune lässt sich das ganze Quartett anstecken und rundet mit einem fünften, wiederum buffonesken Thema die überaus kunstvolle Exposition ab. Sie mündet in eine noch kunstvollere Durchführung, in der sich zum Fugenthema die Chromatik hinzugesellt. Bis nach b-Moll weicht die Modulation aus, bevor das Quartett mit der Tanzweise wieder festen Grund unter den Füßen gewinnt. Es folgen Überleitung und Doppelfuge, gekrönt von einer langen Coda, die die Chromatik aus der Durchführung nochmals aufgreift und in der Engführung des ersten Themas gipfelt. Buchstäblich bis zum letzten Takt wurde Mozart nicht müde, seinem Fugenthema immer wieder neue Nuancen abzulauschen.
2002
Programmtext englisch
It was during one of those typically Viennese quartet evenings in his own apartment, in January 1785, that Mozart presented his G major string quartet to Joseph Haydn. The piece, completed on New Year’s eve 1782, was then already two years old, but still unknown to Haydn. Mozart played it for his older friend, because he wanted to dedicate the quartet to him – together with five other quartets, which since then are known as Mozart’s „Haydn Quartets“. In the performance of January 1785, Mozart himself played the second violin, his father Leopold, the most famous violin teacher of the age, the first violin, and two Viennese businessmen Viola and Cello. Haydn, after listening to the music, remarked, that Mozart was the greatest living composer, known to him. „He has good taste and by the way the utmost compositional science.“ The G major quartet is a splendid example of the former as well as the latter. It starts with an elaborate Allegro vivace assai full of chromatic turns and subtle polyphonic details. But all of a sudden, we hear two wonderfully simple dance tunes as secondary subjects. The mixture of the comic and the tragic, the sublime and the popular as used here by Mozart was typical of „good taste“ in Vienna.
In the Menuetto, Mozart turned the Viennese predilection for this simple dance form into a highly sophisticated play with chromatic phrases and hemiolas, interrupted by a dark, agitated G minor Trio. The Andante cantabile opens with one of his most touching melodies: a Cantabile of calm beauty in the low register of the first violin. The subtle play with lights and shades which follows is dominated by a chromatic motive in triplets and minor tonality. In the middle part, this motive gains dramatic weight, but in the end, its shades are banned by another, even more beautiful violin tune.
If it was possible to surpass a movement of such beauty, the Finale would be considered the climax of the quartet. It starts like a Fugue, the four parts entering one after the other with a typically fugal subject in very fast tempo. This first Fugue is followed by an even more sophisticated Double Fugue, combining the imitative entry of the second subject with the main theme. In the bars inbetween, however, craftsmanship is superseded by a comic dance tune. Constantly shifting from the popular to the artful and vice versa, Mozart wrote a synthesis of fugue and sonata form, which anticipates his Jupiter Symphony.