Flötenquartett C-Dur, KV 285b (Anh. A171) | Kammermusikführer - Villa Musica Rheinland-Pfalz

Wolfgang Amadeus Mozart

Flötenquartett C-Dur, KV 285b (Anh. A171)

Quartett C-Dur für Flöte, Violine, Viola und Violoncello, KV Anh 171 (285 b)

Besetzung:

Werkverzeichnisnummer: 1370

Satzbezeichnungen

1. Allegro

2. Tema con variazioni. Andantino Variation V. Adagio Variation VI. Allegro

Erläuterungen

Mozart und die Flöte – eine pfälzische Episode

Obwohl Mozart die Flöte angeblich nicht leiden konnte, war er mit erstaunlich vielen Flötisten befreundet oder zumindest bekannt: mit dem Münchner Soloflötisten Becke und dessen Mannheimer Kollegen Jean-Baptiste Wendling, die beide zusammen ab 1778 in der pfalz-bayerischen Hofkapelle zu München spielten; mit dem Mainzer Soloflötisten Johann Philipp Freyhold (1750-1826) und dem Wiener Professorensohn Gottfried von Jacquin. Für Letzteren komponierte er 1786 das Flötenquartett A-Dur. Seine drei früheren Quartette für Flöte und Streichtrio schrieb er wie auch die beiden Flötenkonzerte für einen kuriosen Besteller, den er 1777 im pfälzischen Mannheim kennenlernte: Dr. Ferdinand Dejean.

Der geborene Rheinländer hatte viele Berufe: Dr. med. und Medizingelehrter, Professor der Chemie und Besitzer einer umfangreichen Sammlung von physikalischen Instrumenten, die er bei seinem Tod der Abtei Kamp-Lintfort vermachte. Letztere sowie sein stattliches Vermögen verdankte er den langen Jahren, die er im Dienst der Ostindischen Kompanie in Asien zugebracht hatte. Zufällig hielt sich dieser polyglotte Gelehrte und Flötist am Mannheimer Hof auf, als dort im Herbst 1777 auch Mozart eintraf. Der Mannheimer Soloflötist Jean-Baptiste Wendling stellte die Beiden einander vor, und es kam zu einem für die Geschichte der Flöte folgenreichen Auftrag: Dejean bestellte beim jungen Mozart für das fürstliche Honorar von 200 Gulden „3 kleine, leichte und kurze Concertln und ein Paar quattro auf die flötte“.

Mit einiger Verzögerung stürzte sich Mozart in die Arbeit und konnte seinem Vater im Weihnachtsbrief immerhin vermelden: „Ein quartetto für den indianischen holländer, für den wahren Menschenfreünd, ist auch schon bald fertig.“ Tatsächlich vollendete er am ersten Weihnachtstag das wundervolle D-Dur-Quartett KV 285, kurz danach wohl auch das große Flötenkonzert in G-Dur und das kleine Quartett in der gleichen Tonart. Dann aber geriet die Arbeit ins Stocken. Auf die weiteren Flötenkonzerte und Quartette wartete Dejean vergeblich, denn der junge Mozart hatte sich verliebt: In der sechzehnjährigen Mannheimerin Aloy¬sia We¬ber war der Flöte eine weitaus attraktivere Konkurrenz erwachsen.

Mozart gab seiner Aloysia Gesangsunterricht, schrieb eine Konzertarie für sie und fuhr mit ihr zur Fürstin Caroline von Nassau-Weilburg ins nordpfälzische Kirchheimbolanden, während Dejean und Wendling weiter vergeblich auf die restlichen Flötenwerke warteten. Mozart hatte nicht die Spur eines schlechten Gewissens, sondern genoss das Leben am Rhein in vollen Zügen. Dies geht aus einem Scherzgedicht hervor, das er in Worms für seine Mutter schrieb, während sie in Mannheim auf seine Rückkehr wartete. Das Gedicht offenbart, dass Dejean mit weiteren vier Flötenquartetten rechnete und auf das dritte Konzert noch wartete:

Wir sind ietzt über 8 Täge weck
Und haben schon geschißen viel Dreck.
Herr Wendling wird wohl böse seyn,
Daß ich kaum nichts geschrieben feyn,
Doch wenn ich komm’ über d’Rheinbrücke,
So komm ich ganz gewiß zurücke
Und schreib die 4 Quartetti ganz,
Damit er mich nicht heißt ein Schwantz.
Das Concert spar ich mir nach Paris,
Dort schmier ich’s her gleich auf den ersten Schiß.
Die Wahrheit zu gestehen, so möchte ich mit den Leuten
Viel lieber in die Welt hinaus und in die große Weiten …

Die Quittung für derlei Nachlässigkeit bekam Mozart umgehend: Statt der versprochenen 200 Gulden zahlte Dejean für weniger als die Hälfte der bestellten Stücke immerhin noch 96 Gulden. Nun war er nicht mehr der „wahre Menschenfreund“, und Mozart redete sich darauf hinaus, dass er „immer gleich steif“ werde, wenn er dauernd für ein und dasselbe Instrument schreiben musste. Ob sich der anschließende Relativsatz „das ich nicht leiden kann“, auf das Instrument bezieht, nämlich die Flöte, oder schlicht auf das ewig gleiche Genre „Flötenquartett“, ist unklar. Auf diesem Halbsatz gründet sich die weitverbreitete Meinung, Mozart habe die Flöte nicht gemocht.

Ein Wiener Flötenquartett in Speyer

Dass der junge Komponist und sein Flöten-Auftraggeber nicht im Unfrieden voneinander geschieden sind, lässt sich am dritten der Mozartschen Flötenquartette ablesen, dem Quartett C-Dur, KV 285b. Er hat es im Herbst 1781 in Wien vollendet, während er am ersten Akt des Singspiels „Die Entführung aus dem Serail“ arbeitete. Damals war auch Ferdinand Dejean nach Wien gekommen. Es ist denkbar, dass der begeisterte Flötist beim Komponisten das dritte der in Mannheim bestellten Flötenquartette einforderte und dass Mozart diese Auftragsarbeit im Herbst 1781 in Wien schnell erledigt hat.

Darauf deutet ein autographes Fragment aus dem ersten Satz hin, eine kontrapunktische Passage aus der Durchführung des ersten Satzes, die in allen vier Stimmen ausgeschrieben ist und nach einem Halbschluss in c-Moll abbricht. Mozart benutzte den Rest des Notenblattes zu Skizzen für das Duett „Schert euch zum Teufel“ aus der gerade begonnenen „Entführung aus dem Serail“. Dies berechtigt zur Datierung des Fragments auf Herbst 1781, als er mit dem ersten Akt seines Singspiels beschäftigt war. Die Art der Notierung deutet darauf hin, dass er mit seiner Skizze just an der Stelle ansetzte, an der das dritte Mannheimer Flötenquartett in C-Dur seinerzeit Fragment geblieben war. Nachdem er diese Passage skizziert hatte, übertrug er sie in die begonnene Partitur des Quartetts. Den Rest des angebrochenen Notenblatts füllte er mit Opernskizzen.

Da jene zehn Takte das Einzige sind, was wir vom C-Dur-Flötenquartett in Mozarts Handschrift besitzen, stützen sich alle Ausgaben des Werkes bis heute auf den Erstdruck. Er ist 1788 im Musikverlag Boßler in Speyer als Mozarts Opus 14 erschienen. Zu dem regen Speyerer Musikverleger Philipp Boßler unterhielt der Komponist von Wien aus gute Beziehungen: 1787 beförderte er dort sein G-Dur-Klavierkonzert KV 453 zum Druck. Auch verschiedene Wiener Kammermusiken sind in Speyer in Nachdrucken erschienen, etwa das g-Moll-Klavierquartett KV 478. Das Ständchen des Don Giovanni, „Deh vieni alla finestra“, druckte Boßler schon 1788 als erste Nummer aus dieser Oper überhaupt. Er begann also 1787/88 eine Art „Mozart-Offensive“ in der Pfalz, zu der auch das „Quartetto per Flauto, Violino, Viola, e Violoncello“ gehörte. Es waren Pfälzer Notenstecher, die dieses reizende Mozartwerk zuerst zu Papier brachten, und sicher wurde dieser Druck auch von Musikliebhabern in der Pfalz zuerst gespielt.

Dass Mozart sein C-Dur-Flötenquartett KV 285b nur in zwei statt drei Sätzen entworfen hat, war nicht unüblich. Viele der in Mannheim für Kurfürst Carl Theodor komponierten Flötenquartette sind nur zweisätzig. Auf das muntere Allegro im Dreiertakt mit seinem schwungvollen Hauptthema und der besagten Moll-Passage in der Durchführung ließ er ein Andantino mit sechs Variationen folgen. Es dürfte Mozart-Kennern noch in anderer Gestalt vertraut sein: als Variationen-Satz der so genannten Gran Partita für zwölf Bläser und Kontrabass, KV 361. Trotz des wahrhaft gewaltigen Klangunterschieds zwischen einem Dutzend Oboen, Klarinetten, Hörnern und Fagotten und einer zarten Flöte mit drei Streichern wirken diese Variationen in beiden Klanggestalten gleichermaßen überzeugend. Freilich stellt sich die Frage, welche Fassung die erste war. Der Flötist Konrad Hünteler glaubte, nachweisen zu können, dass Mozart diesen Satz original für Flöte und Streicher geschrieben und erst nachträglich für die große Bläserbesetzung arrangiert hat. Dem haben andere Forscher widersprochen. Entscheidend ist, dass beide Fassungen im Umkreis der Entführung aus dem Serail entstanden sind und dass sich Mozart im einen oder andern Fall die Arbeit durch Bearbeitung erleichtert hat. Das besonders schöne, einprägsame Thema wird in den ersten vier Variationen im Andantino-Tempo melodisch variiert. Darauf folgt eine lange Adagio-Variation mit bezauberndem Klang und lang gedehnten melodischen Linien. Ein kurzes, munteres Allegro im Dreiertakt dient als sechste Variationen und Kehraus-Finale.

Karl Böhmer