Fantasie d-Moll, KV 397
Werkverzeichnisnummer: 1348
Andante – Adagio – Allegretto
Mozarts Empfindungen, das Motto des heutigen Abends, ist einer Fantasie des Hamburger Bach mit dem autobiographischen Titel C. P. E. Bachs Empfindungen entlehnt. Es soll auf einen für die Ästhetik der Empfindsamkeit charakteristischen Zusammenhang hinweisen: die Verbindung zwischen der Gattung der Klavierfantasie als Ausdruck der persönlichsten Empfindungen eines Komponisten und dem Klang des Hammerflügels mit seinen dynamischen und klanglichen Schattierungsmöglichkeiten.
Daß „ ein Clavieriste durch Fantasien … das Sprechende, das hurtig Ueberraschende von einem Affeckte zum andern, alleine vorzüglich vor den übrigen Ton-Künstlern ausüben kann“, war eine Maxime des Bach-Sohnes, die nicht nur Mozart befolgte. Jeder Pianist mußte sich im Rahmen der Akademien, der Abonnementskonzerte der damaligen Zeit, mit Improvisationen hören lassen, sei es mit Variationen über bekannte Themen, sei es mit „freyen Fantasien“, die keinem Formschema folgten.
Diese Fantasien waren der eigentliche Höhepunkt eines Konzerts, gerade im Falle Mozarts, der mit seinen bis zu halbstündigen Improvisationen die „Empfindungen“ der Zuhörer in weit stärkerem Maße zu wecken vermochte, als mit seinen oft nur als Unterhaltung rezipierten Klavierkonzerten. Leider hat Mozart nur zwei seiner Fantasien notiert und nur eine vollständig zum Druck gegeben. Dadurch ist uns ein wesentlicher Teil seines Gedankenreichtums vorenthalten worden. Einen gewissen Ausgleich bilden jene Sätze in seinen Klaviersonaten, in die die Expressivität, aber auch die Stilmittel des freien Fantasierens eingeflossen sind, wie etwa das Adagio der c-Moll-Klaviersonate mit seinen wie improvisiert wirkenden Verzierungen oder das Finale derselben Sonate mit seinem agitato-Duktus, der von Fermaten unterbrochen wird.
Fantasie d-Moll, KV 397: Die d-Moll-Fantasie ist nur deshalb die kleinere der beiden erhaltenen Klavierfantasien Mozarts, weil dieser die Niederschrift nach Takt 97 abbrach. Die von einem Zeitgenossen angehängten 10 Schlußtakte sind, gemessen an der Bedeutung des Vorhergehenden, zu knapp geraten. Mozart hätte das D-Dur-Allegretto, das den klagenden Ton der d-Moll-Teile mehrmals unterbicht, wahrscheinlich weiter ausgeführt, vielleicht sogar einen neuen Kontrastteil eingefügt und eine Reprise des Anfangs wie in der c-Moll-Fantasie. Für das „hurtig Ueberraschende von einem Affeckte zum anderen“, das C. P. E. Bach beschrieb, ist diese Fantasie ein sehr gutes Beispiel.
-
Bedenkt man, wie großartig Mozart improvisiert hat und wie wichtig sein Fantasieren für die damaligen Zuhörer war, so muss man umso mehr bedauern, wie wenig er davon aufgeschrieben hat. Nur zwei oder drei Klavierfantasien sind auf uns gekommen, darunter die schöne d-Moll-Fantasie, die leider Fragment blieb. Mozarts Freund Abbé Stadler hat sie nach seinem Tod vollendet – stilvoll, aber zu kurz. Denn auf die Bruchstelle im D-Dur-Teil hätte Mozart zweifellos noch mehrere kontrastierende Abschnitte folgen lassen. So hört man nach der freien Einleitung aus gebrochenen Akkorden das schöne, traurige d-Moll-Thema, einen wilden Ausbruch und den zu knappen D-Dur-Schluss.