Divertimento für Streichorchester
Werkverzeichnisnummer: 134
1. Allegro non troppo
2. Molto adagio
3. Allegro assai
Aus der Schweizer Sommerfrische des Augusts 1939 schrieb Béla Bartók an seinen Sohn: „Irgendwie fühle ich mich wie ein Musiker vergangener Zeiten, der von seinem Mäzen zu Gast geladen ist“. Noch konnten der ungarische Komponist und sein schweizerischer Gastgeber Paul Sacher nicht ahnen, dass es der letzte Sommer vor dem Zweiten Weltkrieg gewesen sein würde. Im Chalet des Basler Dirigenten und Mäzens zu Saanen im Berner Oberland logierte Bartók für seine Begriffe geradezu „überkomfortabel“. Die Aufgabe, die sein Mäzen ihm gestellt hatte, war denn auch „der Lage der alten Meister ähnlich“: es war ein Divertimento für Streichorchester. Sacher gab es für sein Basler Kammerorchester in Auftrag, und Bartók komponierte es im Laufe von nur zwei Wochen, zwischen dem 2. und 17. August.
„Wenn es auch nicht zu den bahnbrechenden Kompositionen Bartóks gehört, ist es doch zweifellos ein Meisterwerk, das durch die Finesse der Konstruktion und die blendende Entwicklung imponiert und mit seinem einfachen, unprätentiösen Stil den Hörer gefangennimmt. Das volkstümliche Kolorit der Motive und ihr manchmal derber Ausdruck (insbesondere bei der Exposition der Themen) kreuzen sich mit archaisierenden Merkmalen, die an das Concerto grosso des Barock anknüpfen. Der Gegensatz und das Wechselspiel zwischen den Soloinstrumenten (Streichquartett) und dem vollen Streichorchester, das übrigens schwach besetzt ist, verleiht dem Werk konzertanten Charakter. Sowohl der harmonische als auch der instrumentale Klang, die Rhythmik und die Anordnung der Figuren sind überwiegend traditionell gehalten, was auch die Schwäche jeder vorübergehenden Dissonanz und jeder Störung des traditionellen Verlaufs unterstreicht.“ (T. Zielinski)
Das volkstümliche Kolorit, von dem hier die Rede ist, entspricht im ersten und im letzten Satz Bartóks rumänischen Volkstänzen, während die Coda des Finales eine „stichelnde Anspielung“ auf ungarische Salonkapellen alten, trivialen Stils ist. Nur der langsame Satz ist durch „Klänge der Nacht“ und den zentralen Trauermarsch herausgehoben.
Zu den Sätzen im einzelnen: Zu setzt über ruppigen repetierten Akkorden ein Volkstanz ein, geradlinig und lebensbejahend, ein Kolo, der sanft vom Jazz gestreift zu sein scheint. Das zweite Thema gemahnt als stilisierter Walzer gar an Wien und ganz entfernt an Mozarts „Serenata notturna“. Der wienerische Wohlklang steigert sich beständig, bis er jäh in einen Aufschrei aller Instrumente mündet. Es ist ein Unisono aus penetrant repetierten Synkopen, die fortan den ganzen Satz durchziehen. Zunächst kann sich die Eleganz des Seitenthemas behaupten, doch in der Durchführung legen sich die Synkopen wie ein immer länger werdender Schatten über die Musik. Schließlich baut sich aus den Synkopen eine einzige Cluster-Wand auf, in der Musik vollends unterzugehen droht – wie eine Vorahnung der Katastrophe. Die Reprise bringt als neues Klangelement das Pizzicato, das hier nicht für Klangschönheit, sondern für Groteske steht. Nichts ist so wie am Anfang, Bis zum Ende des Satzes stehen die Themen sozusagen ratlos den bohrenden Tremoli und Synkopen gegenüber.
Ohne den Zeithintergrund, die bedrohlichen Vorzeichen des Krieges, ist auch der Mittelsatz des Divertimento nicht zu erklären. Auf der Grundlage immer wiederkehrender Bassmotive baut sich hier eine Klangwand nach der anderen vor dem Hörer auf, jede in den Farben dunkler als die vorhergehende. Die erste, auf einem Bassmotiv aus kleinen Sekunden aufbauend, erscheint nächtlich verhangen; die zweite, angekündigt von den penetranten Synkopen aus dem ersten Satz, wirkt bohrender, als Lamento aus ungarischen Volksmotiven mit kurzen Vorschlägen. Obwohl sich dieser Klagegesang letztlich zu einem leuchtenden Durakkord durchringt, folgt darauf in krassem Absturz die dritte Klangfläche: ein Trauermarsch, der immer beängstigendere Gestalt annimmt. Die vierte Klangfläche entsteht aus Tremoli der tiefen Streicher, zu denen die Geigen einen breiten Klagegesang anstimmen, der im Nebulösen endet.
Mit dem Finale scheint Bartók das Vertrauen zu seinen volksmusikalischen Wurzeln wiedergewonnen zu haben. Freilich spricht aus den neobarocken Concerto grosso-Effekten dieses Satzes und seiner motorischen Rhythmik auch ein gehöriges Maß Bitternis, bis hin zu jener „ironisch gemeinten zigeunerischen Kadenz von Solobratsche und Primgeige“ (Lindlar), in der Bartók den Kitsch pseudo-ungarischer Musikkapellen verhöhnte. Auch der unterschwellig bedrohliche Klang der Tremoli und Synkopen aus den ersten beiden Sätzen scheint immer wieder auf. Erst am Ende setzt sich – ein Zeichen von Optimismus? – der Ton kraftvoller Volksmusik durch, mit dem das Divertimento begann.