Quartett f-Moll für Klavier, Violine, Viola und Violoncello, op. 2
Werkverzeichnisnummer: 1257
1. Allegro molto
2. Adagio
3. Intermezzo
4. Allegro molto vivace
Für die Kammermusik im väterlichen Hause und für seine Auftritte als junger Klaviervirtuose schrieb der jugendliche Felix Mendelssohn zwischen 1822 und 1825 drei Klavierquartette. Zur elitären Ausbildung, die Abraham Mendelssohn seinen Kindern angedeihen ließ, gehörte der Klavierunterricht ebenso selbstverständlich wie das Geigelernen. Als Klavierschüler Ludwig Bergers gab Felix bereits mit neun Jahren sein Konzertdebüt in Berlin. Bei seinem ersten Besuch in Weimar versetzte der Zwölfjährige den alten Goethe in Verzückung, denn der Knabe spielte – so der Augenzeuge Ludwig Rellstab – „mit einer Sicherheit, Rundung und Klarheit in den Passagen, wie ich sie nie wieder gehört“. Schritt für Schritt entwickelte sich Mendelssohn zu einem der größten Pianisten des 19. Jahrhunderts, der einem Chopin oder Liszt durchaus Paroli bieten konnte.
Als Geiger hat er nie ähnliche Höhen erklommen, obwohl er das Instrument mehr als solide beherrschte. Felix war zunächst Geigenschüler von Carl Wilhelm Henning in Hamburg, seiner Vaterstadt, bevor die Familie nach Berlin zog. Dort wurde der Geigenvirtuose Eduard Rietz sein Lehrer. Die genialen Klangeffekte seiner frühen Streicherkammermusik (Oktett, Quartette op. 12 und 13) verdanken wir dieser gründlichen Ausbildung, und sie erklärt auch, warum Mendelssohn als Komponist ausgerechnet mit Quartetten für Klavier und Streichtrio debütierte.
Ein Vierteljahrhundert früher hatte Ludwig van Beethoven mit einem Opus 1 aus Klaviertrios debütiert. Vierzig Jahre zuvor hatte Mozart seinen Ruf in Wien mit zwei Klavierquartetten begründet. Die großen Pianisten der napoleonischen Zeit wie etwa Johann Nepomuk Hummel traten dezidiert mit Virtuosenstücken für Klavier und Streicher hervor. So lag es für Felix nahe, als erste gedruckte Werke Quartette für Klavier und Streicher zu publizieren. In ihnen trat der Knabe mit Nachdruck als reifer Komponist in Erscheinung. Zwischen 1822 bis 1825 komponiert, verraten die drei Quartette exemplarisch, von Werk zu Werk, die zunehmende Meisterschaft des Komponisten. Über den heranwachsenden Mendelssohn schrieb Adele Schopenhauer: „Er vereint zwei seltsame Naturen in sich: die eines wilden, fröhlichen Knaben und die eines schon reifen Künstlers, der mit Bedacht Fugen, Opern, Quatuors schreibt und gründlich das seine gelernt hat.“ Dieses Bild drängt sich auch beim Hören des f-Moll-Quartetts auf.
Den ersten Satz eröffnet das Streichtrio mit einem leise klagenden Thema. In seinem rastlosen Allegro molto-Duktus und dem klagenden Ausdruck der beiden kleinen Sexten ist es schon ein unverkennbarer Mendelssohn. Das Klavier mischt sich eher unauffällig ins Geschehen – mit einem knappen Einwurf, einer Frage, die von den Streichern nicht beantwortet wird. Also spinnt der Pianist das Motiv weiter und entwickelt daraus perlende Läufe, die ins zweite Thema münden: Es ist nichts anderes als das nach As-Dur gewendete Hauptthema, nun mit großer, statt kleiner Sexte und anders weitergeführt. Eine Triolenwalze im Stille Rossinis beschließt die Exposition und gibt dem Pianisten Gelegenheit, sich in einer virtuosen Passage zu bewähren. In der Durchführung tritt der Pianist mit chromatisch aufsteigenden Motiven dem Hauptthema gegenüber. Die Spannung verdichtet sich bis zu einem Fortissimo-Ausbruch kurz vor der Reprise. Nach dem Hauptthema kehrt das Seitenthema nun in F-Dur wieder. Erst kurz vor Schluss darf auch der Pianist das Hauptthema in Moll spielen, das bislang so nur in den Streichern zu hören war. Daraus entsteht eine stürmische Coda in schnellerem Tempo – eine Reminiszenz an den aufgewühlten Schluss im ersten Satz von Mozarts g-Moll-Klavierquartett, KV 478.
Das Klavier eröffnet den langsamen Satz mit einem innigen Adagio-Gesang in Des-Dur, den die Streicher aufgreifen. Wieder spielt dabei der Sextsprung aufwärts die entscheidende Rolle, wie in den Themen des ersten Satzes. Gemeinsam scheinen alle vier Instrumente in zarten Pastelltönen schwelgen zu wollen, als plötzlich punktierte Rhythmen einen pathetischen Ton anschlagen. Sie läuten den hochromantischen Mittelteil ein: Über leisen Bebungen des Klaviers steigen weiche Legato-Linien der Streicher auf und ab, vermischen sich mit den Arpeggi des Klaviers zu einem geheimnisvollen Klang. Die Harmonien wandern durch die Tonarten, von Des über H nach E-Dur, bis über As-Dur wieder Des-Dur erreicht wird. Wenn das Klavier zu seinem sanften Thema zurückkehrt, wird es von leisen Tremoli der Streicher untermalt, die bis zum Schluss des Satzes anhalten. So hochromantisch konnte schon der junge Mendelssohn schreiben, der in Berlin immerhin die Uraufführung des Freischütz und anderer romantischer Opern erlebt hatte.
Der dritte Satz ist kein flirrendes Elfen-Scherzo wie so oft bei Mendelssohn, sondern ein melancholisches Intermezzo im schwingenden Sechsachteltakt (Allegro moderato). Wieder bestimmt die klagende kleine Sext das Hauptthema, das auf dem Klavier ebenso gesanglich wirkt wie im Streichersatz. Schon der junge Mendelssohn hat hier die übliche Form des Tanzsatzes mit Trio in der Mitte verweigert. Stattdessen schrieb er einen durchkomponierten Satz in zwei Teilen, gefolgt von einer poetischen Coda, die immer leiser wird und sich am Ende in Nichts auflöst.
Im Finale wird die Bewunderung des jungen Mendelssohn für Beethoven hörbar: Es ist ein stürmisches Allegro molto vivace, das in seinem drängenden Hauptthema, in den trotzigen Trillern und lärmenden Läufen den appassionato-Charakter der Tonart f-Moll auskostet, und zwar bis in die letzten Takte hinein. Der furiose Schluss hätte auch einem Klavierkonzert alle Ehre gemacht.