Quartett Es-Dur für zwei Violinen, Viola und Violoncello, op. 12
Werkverzeichnisnummer: 1230
1. Adagio non troppo – Allegro non tardante
2. Canzonetta. Allegretto – Più mosso
3. Andante espressivo
4. Molto allegro e vivace
Kein musikalisches Wunderkind hat einen stürmischeren Anlauf zum Ruhm genommen als Felix Mendelssohn. Schon mit 12 Jahren legte er seine ersten voll ausgereiften Werke vor (wobei das Alter hier im Gegensatz etwa zum jungen Rossini in diesem Fall nicht nachträglich manipuliert wurde). Angesichts der stürmischen Entwicklung des kleinen Felix wundert es nicht, dass er bis zum Jahr 1826, als er seine Ouvertüre zum Sommernachtstraum schrieb, zum vollgültigen Komponisten herangereift war. Seine ersten beiden gedruckten Streichquartette in Es, op. 12, und in a, op. 13, aus den Jahren 1829 bzw. 1827 setzen diese Entwicklung konsequent fort, ja, sie gehören zu den besten Streichquartetten der Romantik überhaupt, obwohl sie von einem Komponisten unter 20 geschrieben wurden.
Die chronologische Reihenfolge ist im Druck vertauscht: Opus 12 ist das spätere der beiden Werke. Beiden gemeinsam ist jedoch der Bezug zu den späten Streichquartetten Beethovens. In Opus 12 kann man als unmittelbares Vorbild Beethovens Opus 130 ausmachen.
Das Werk hat, wie üblich, vier Sätze, wobei dem ersten Allegro eine langsame Einleitung vorausgeht – einer der Züge, die an Beethovens Opus 130 gemahnen. Das folgende, äußerst kantable Allegro erinnert ebenso an Beethovens Es-Dur-Quartett, op. 127. Es ist in seiner thematischen Gliederung ebenso klar wie in der Affekthaltung entspannt und lyrisch.
Die Canzonetta gehört zu Mendelssohns zauberhaftesten Kammermusiksätzen: ein wehmütiger Gesang, eingebettet in ein filigranes Stimmengewebe, in dem die beiden Ober- und die beiden Unterstimmen einander konsequent paarweise ablösen. In einer Symbiose aus “Lied ohne Worte” und Serenade ersetzt sie das an zweiter (oder dritter) Stelle eigentlich zu erwartende Scherzo. Übrigens brachte es die Canzonetta bereits zu Mendelssohns Zeit auf solche Popularität, dass sie in zahlreichen Bearbeitungen verbreitet wurde.
Der langsame Satz des Quartetts ist – wohl wegen der betont lyrischen Canzonetta – mit 65 Takten ausgesprochen knapp gehalten. In ihm dominiert die gesangliche Oberstimme, die den drei Unterstimmen blockhaft gegenübertritt. Das attacca einsetzende Finale steht in c-Moll statt Es-Dur und greift im Rahmen einer Sonatenform auf Themen aus dem Kopfsatz zurück. Schon der junge Mendelssohn hat auf diese Weise eine unaufdringliche zyklische Abrundung erzielt.