Oktett Es-Dur für vier Violinen, zwei Viola und zwei Violoncelli, op. 20
Werkverzeichnisnummer: 1228
1. Allegro moderato ma con fuoco
2. Andante
3. Scherzo. Allegro legierissimo
4. Presto
2018
Das berühmte Oktett von Felix Mendelssohn führt uns ins sommerliche Berlin des Jahres 1825, an eine Adresse, die den Berlinern wohl vertraut ist: Leipziger Straße 3. Dort, wo heute der Deutsche Bundesrat tagt, hatte im 19. Jahrhundert die Bankiersfamilie Mendelssohn ihr Anwesen, ein Gartenpalais mit ausgedehntem Park, welches der Crème de la Crème des bürgerlich-intellektuellen Berlin als Refugium diente. Wo sich Alexander von Humboldt ein Observatorium einrichtete, Hegel, Schleiermacher und E.T.A. Hoffmann ein- und ausgingen, suchten auch weite Kreise des kunstliebenden Publikums am Wochenende Erholung bei geistigem Genuss. Am Sonntagnachmittag zwischen 14 und 16 Uhr versammelte man sich alle zwei Wochen zu den „Sonntagsmusiken“ der Mendelssohns, einer Konzertreihe, die im Berlin der Romantik legendären Ruf genoss.
Zu den Werken, die im Rahmen der Sonntagsmusiken ihre Uraufführung erlebten, gehörte das Oktett des Filius Felix. Es ist nicht nur eines der großen Meisterwerke der Kammermusik, sondern auch ein geistes- und musikgeschichtliches Dokument ersten Ranges für das Berlin des Idealismus.
„Wolkenflug und Nebelflor
erhellen sich von oben.
Luft im Laub und Wind im Rohr;
Und alles ist zerstoben.“
Diese Verse Goethes aus der Walpurgisnachtszene im ersten Teil des Faust dienten dem sechzehnjährigen Mendelssohn als Motto für das luftige Scherzo seines Oktetts. Es zeugt von der Goethe-Begeisterung im Hause Mendelssohn wie vom geistesgeschichtlichen Hintergrund der Sonntagsmusiken. Überdies ist das Oktett ein Denkmal für die geigerische Kunst des Berliner Virtuosen Eduard Rietz, der 1832 im Alter von 29 Jahren verstarb. Mendelssohn hat ihm das Werk posthum gewidmet. Der Rodeschüler Rietz war Geigenlehrer und Freund des jungen Felix, daneben Begründer der Berliner Philharmonischen Gesellschaft und als Konzertmeister treibende Kraft der Sonntagsmusiken. Die erste Geigenstimme des Oktetts gibt Zeugnis von seinen brillanten Fähigkeiten.
Mendelssohn schrieb das Oktett im Oktober 1825, wenige Monate nach dem Umzug der Familie aus der Jägerstraße auf die Leipziger Straße, wo es im Rahmen der Sonntagsmusiken uraufgeführt wurde. Erst 1832 entschloss er sich zur Publikation: „Es ist mir nämlich eingefallen, daß das Octett und das Quintett [op. 18] recht gut in meinen Werken figurieren könnten und sogar besser sind als manches Andere, was schon darin figurirt.“ Einer Bemerkung im Autograph zufolge trägt op. 20 quasi-symphonische Züge: „Dieses Octett muß von allen Instrumenten im Style eines symphonischen Orchesters gespielt werden. Pianos und Fortes müssen genau eingehalten und schärfer betont werden als gewöhnlich in Werken dieses Charakters.“
Der erste Satz ist „Zeugnis und Symbol strahlender Jugend“ (Eric Werner). Er wird vom Elan seines Hauptthemas getragen, einem jubelnden Aufschwung der ersten Geige über Tremoli der Mittelstimmen und absteigendem Bass. Wie dieser Beginn so ist der Klang des gesamten Satzes ein Geniestreich – in der Gruppierung der Streicherpaare, im Spiel mit den Klangfarben und Registern. Ebenso souverän ist die Form gehandhabt. Die quicklebendige Überleitungsfigur wird sogleich in Originalgestalt und Umkehrung eingeführt, das Seitenthema schon in der Exposition mit dem Hauptthema verschränkt, der Bogen der Durchführung spannt sich von zarter Zurücknahme bis zu dramatischer Entladung, nach der in gewaltigem Anlauf die Reprise erreicht wird. Höhepunkt des Satzes ist jedoch die Coda, in der die Emphase des Hauptthemas nochmals gesteigert wird.
Das Andante geht harmonisch und formal eigene Wege. Den Beginn der Bratschen in c-Moll beantworten die vier Geigen mit einem schubertischen Lyrismus in der Tonart des Neapolitaners Des-Dur. Diesem harmonischen Vexierspiel entspricht das motivische: Eine Triolenfigur aus dem Hauptthema wird zum Klanggrund für das zweite Thema und bestimmt die Durchführung. Dazwischen stehen achtstimmige, polyphone Gewebe aus dauernden Vorhaltsbildungen, die an die kontrapunktischen Schönheiten des späten Mozart erinnern. Wie im Andante von dessen Jupitersinfonie wird das Hauptthema erst ganz am Schluss wiederholt.
Das Scherzo beschrieb Fanny Mendelssohn auf anschauliche Weise: „Das ganze Stück wird staccato und pianissimo vorgetragen, die einzelnen Tremulando-Schauer, die leicht aufblitzenden Pralltriller, alles ist neu, fremd und doch so ansprechend, so befreundet, man fühlt sich so nahe der Geisterwelt, so leicht in die Lüfte gehoben, ja man möchte selbst einen Besenstil zur Hand nehmen, der luftigen Schar besser zu folgen. Am Schlusse flattert die erste Geige federleicht auf – und alles ist zerstoben.“ Der Schluss des Zitats ist selbst ein Zitat, eben aus der erwähnten Stelle im Faust.
Das Finale hat mit dem Scherzo den Charakter des Perpetuum mobile und die Meisterschaft im Kontrapunkt gemein. „Der Mendelssohnsche Contrapunct verleugnet alles steife Schulpathos, regt behendig und anmuthig seine schlanken Glieder und bekommt bei schöner Sangbarkeit der Subjecte rhetorische Kraft“, meinte ein Wiener Kritiker der damaligen Zeit. Die „Sangbarkeit des Subjekts“, das sich zu Beginn aus dem Gewimmel der tiefen Streicher fugenartig in die Höhe hebt, rührt vom ersten Satz her: Es ist nichts anderes als dessen variiertes zweites Thema. Das Gegenthema des Fugatos dürfte den Hörerinnen und Hörern ebenfalls vertraut sein: Es handelt sich um jene Folge von drei Quartsprüngen, die schon Händel im Halleluja seines Messias für ein majestätisches Fugato benutzt hatte. Der junge Mendelssohn kostete die kontrapunktischen Möglichkeiten dieses Themas kongenial aus – bis hin zu einem siebenstimmigen Doppelfugato, das von der Wiederaufnahme des Scherzothemas gekrönt wird.
2003
FELIX MENDELSSOHN
Oktett Es-Dur, op. 20
Wolkenflug und Nebelflor
erhellen sich von oben.
Luft im Laub und Wind im Rohr;
Und alles ist zerstoben.
Diese Verse aus der Walpurgisnacht des Faust I von Goethe dienten dem 16jährigen Felix Mendelssohn als Motto für das luftige Scherzo seines Oktetts. Das bedeutendste Jugendwerk des Komponisten ist ein Zeugnis für die Goethe-Begeisterung im Hause Mendelssohn wie für den geistesgeschichtlichen Hintergrund der Sonntagsmusiken. Es ist zudem ein Denkmal für den Berliner Geiger Eduard Rietz, der 1832 im Alter von 29 Jahren verstarb. Mendelssohn hat ihm das Werk posthum gewidmet. Der Rodeschüler Rietz war Geigenlehrer und Freund des jungen Felix, daneben Begründer der Berliner Philharmonischen Gesellschaft und als Konzertmeister treibende Kraft der Sonntagsmusiken. Die erste Geigenstimme des Oktetts gibt Zeugnis von seinen brillanten Fähigkeiten.
Mendelssohn schrieb das Oktett im Oktober 1825, wenige Monate nach dem Umzug der Familie ins stattliche Berliner Anwesen Leipziger Straße 3, wo es im Rahmen der Sonntagsmusiken uraufgeführt wurde. Erst 1832 entschloss er sich zur Publikation: „Es ist mir nämlich eingefallen, daß das Octett und das Quintett [op. 18] recht gut in meinen Werken figurieren könnten und sogar besser sind als manches Andere, was schon darin figurirt.“ Einer Bemerkung im Autograph zufolge trägt op. 20 quasi-symphonische Züge: „Dieses Octett muß von allen Instrumenten im Style eines symphonischen Orchesters gespielt werden. Pianos und Fortes müssen genau eingehalten und schärfer betont werden als gewöhnlich in Werken dieses Charakters.“
Der erste Satz ist „Zeugnis und Symbol strahlender Jugend“ (Eric Werner). Er wird vom Elan seines Hauptthemas getragen, einem jubelnden Aufschwung der ersten Geige über Tremoli der Mittelstimmen und absteigendem Bass. Wie dieser Beginn so ist der Klang des gesamten Satzes ein Geniestreich – in der Gruppierung der Streicherpaare, im Spiel mit den Klangfarben und Registern. Ebenso souverän ist die Form gehandhabt. Die quicklebendige Überleitungsfigur wird sogleich in Originalgestalt und Umkehrung eingeführt, das Seitenthema schon in der Exposition mit dem Hauptthema verschränkt, der Bogen der Durchführung spannt sich von zarter Zurücknahme bis zu dramatischer Entladung, nach der in gewaltigem Anlauf die Reprise erreicht wird. Höhepunkt des Satzes ist jedoch die Coda, in der die Emphase des Hauptthemas nochmals gesteigert wird.
Das Andante geht harmonisch und formal eigene Wege. Den Beginn der Bratschen in c-Moll beantworten die vier Geigen mit einem schubertischen Lyrismus in der Tonart des Neapolitaners Des-Dur. Diesem harmonischen Vexierspiel entspricht das motivische: Eine Triolenfigur aus dem Hauptthema wird zum Klanggrund für das zweite Thema und bestimmt die Durchführung. Dazwischen stehen achtstimmige, polyphone Gewebe aus dauernden Vorhaltsbildungen, die an die kontrapunktischen Schönheiten des späten Mozart erinnern. Wie im Andante von dessen Jupitersinfonie wird das Hauptthema erst ganz am Schluss wiederholt.
Das Scherzo beschrieb Fanny Mendelssohn auf anschauliche Weise: „Das ganze Stück wird staccato und pianissimo vorgetragen, die einzelnen Tremulando-Schauer, die leicht aufblitzenden Pralltriller, alles ist neu, fremd und doch so ansprechend, so befreundet, man fühlt sich so nahe der Geisterwelt, so leicht in die Lüfte gehoben, ja man möchte selbst einen Besenstil zur Hand nehmen, der luftigen Schar besser zu folgen. Am Schlusse flattert die erste Geige federleicht auf – und alles ist zerstoben.“ Der Schluss des Zitats ist selbst ein Zitat, eben aus der erwähnten Stelle im Faust.
Das Finale hat mit dem Scherzo den Charakter des Perpetuum mobile und die Meisterschaft im Kontrapunkt gemein. „Der Mendelssohnsche Contrapunct verleugnet alles steife Schulpathos, regt behendig und anmuthig seine schlanken Glieder und bekommt bei schöner Sangbarkeit der Subjecte rhetorische Kraft“, meinte ein Wiener Kritiker der damaligen Zeit. Die „Sangbarkeit des Subjekts“, das sich zu Beginn aus dem Gewimmel der tiefen Streicher fugenartig in die Höhe hebt, rührt vom ersten Satz her: Es ist nichts anderes als dessen variiertes zweites Thema. Das Gegenthema des Fugatos dürfte den Hörerinnen und Hörern ebenfalls vertraut sein: Es handelt sich um jene Folge von drei Quartsprüngen, die schon Händel im Halleluja seines Messias für ein majestätisches Fugato benutzt hatte. Der junge Mendelssohn kostete die kontrapunktischen Möglichkeiten dieses Themas kongenial aus – bis hin zu einem siebenstimmigen Doppelfugato, das von der Wiederaufnahme des Scherzothemas gekrönt wird.