„Variationen über ein slowakisches Thema“ für Violoncello und Klavier
Werkverzeichnisnummer: 1216
Thema: Poco Andante rubato
Variation
1. Moderato
Variation
2. Poco Allegro
Variation
3. Moderato
Variation
4. Scherzo, Allegretto. Poco Andante
Variation
5. Allegro
In zwei Werken erinnern unsere Interpreten an einen tschechischen Komponisten, der lange in Paris lebte und wirkte, bevor er vor den Nazis in die USA fliehen musste: Bohuslav Martinu. Ganz generell darf man ihn als Vollender der Traditionslinie Smetana – Dvořák – Janáček ansehen, die er im Sinne eines volksnahen Klassizismus aufgriff und mit Tendenzen der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts anreicherte. Im einzelnen ist sein Schaffen jedoch stilistisch breit gefächert, wobei die Kammermusik mit 91 Werken einen prominenten Platz einnimmt. In ihr spiegeln sich die unterschiedlichen Entwicklungsphasen wider, die Martinu vom frühen Experimentieren mit Jazz-Elementen über den französischen Neoklassizismus bis hin zu seinem nostalgischen Spätstil durchlief.
Seine folkloristischen Wurzeln hat Martinu nie verleugnet. Aufgewachsen im Grenzland zwischen Böhmen und Mähren, wurde ihm der Dorfschneider zum Geigenlehrer und die Natur zum kompositorischen Lehrmeister. Entsprechend schwer tat er sich mit der akademischen Musikausbildung im Zentrum Prag. Erst nach mehreren Anläufen fand er eine Orchesterstelle als Geiger und Aufnahme in die Akademie. Bald schon vertauschte er Paris mit der Heimat. Dort wollte er nach eigenem Bekenntnis „weder Debussy noch Impressionismus noch musikalischen Ausdruck, sondern die wahren Grundlagen der westlichen Kultur“ suchen. Er war nämlich – im Gegensatz zu manchem tschechischen Neuerer – der Meinung, dass der „eigene nationale Charakter“ der Tschechen sehr wohl zum Westen passe. Andererseits war es der Charme Frankreichs, der ihn in den Bann zog. Er suchte in Paris „Ordnung, Klarheit, Maß, Geschmack, genauen, empfindsamen, unmittelbaren Ausdruck, kurzum: die Vorzüge der französischen Kunst, die ich stets bewundert habe, und die ich wünschte, inniger kennenzulernen.“
Martinu blieb in Paris, bis der deutsche Einmarsch in Frankreich 1940 dem tschechisch-jüdischen Musiker keine Alternative als die Flucht ließ. Im Juni 1940 floh er vor den Nazis nach Südfrankreich, wo er auf Bahnhöfen übernachtete, dann nach Lissabon, wo seine Emigration lange am seidenen Faden hing. Im März 1941 kam er schließlich endlich in New York an, unter den „ungünstigsten Umständen“ (Yves Lenoir), denn er war mit Bartók, Tansmann und Tailleferre „einer der letzten europäischen Musiker, die sich in den USA niederließen, und er fand nicht mehr dieselben Integrationsbedingungen vor, wie sie noch zu einem früheren Zeitpunkt bestanden. Wenn man Arnold Schönberg, Ernst Toch, Kurt Weill u. a. noch die Tore der wichtigsten Universitäten und Musikhochschulen geöffnet hatte, so musste sich das Land nun auf die massenhafte Ankunft von Millionen Einwanderern gefasst machen, und die finanziellen Kürzungen trafen künstlerische Aktivitäten und universitäre Forschung in besonderem Maße.“
Martinu, der kein Englisch sprach und viele Partituren in Paris hatte zurücklassen müssen, wäre in dieser Situation hilflos gewesen, hätte ihm nicht der Dirigent Koussevitzky den Auftrag zu einer Sinfonie erteilt. Sie wurde ein großer Erfolg, weitere Kompositionsaufträge schlossen sich an. Dennoch blieb Martinus Leben in den USA von ständiger Sehnsucht nach der Heimat begleitet. Auf die Kriegsjahre folgte eine Zeit tiefer Depression, denn das Kommunistische Regime vereitelte seine schon geplante Rückkehr nach Prag. Außerdem beeinträchtigte ein Unfall sein Nervensystem und Gehör. Unruhige Wanderjahre führten ihn durch verschiedene Länder Europas, zuletzt in die Schweiz, wo er im August 1959 starb. „In seinen Kompositionen sehnsuchtsvoll die vermisste Heimat umkreisend“ (Michael Walz) war er nicht mehr zur Ruhe gekommen.
Unsere beiden Beispiele gehören in die Spätzeit des Komponisten: Das Trio für Flöte, Cello und Klavier entstand 1944, nach den schwierigen Anfangsjahren in den USA. Das Werk erinnert in seinem neoklassizistischen Duktus noch an die Pariser Jahre und wirkt wie ein Echo auf deren ungetrübte Lebensfreude. Die drei Sätze sind ein spielerisch gelöstes Poco Allegretto, ein ernstes Adagio, das die tragischen Ereignisse des Jahres 1944 in Europa von Ferne erahnen lässt, und ein heiteres Allegretto scherzando als Finale, das freilich von einer Solokadenz der Flöte eröffnet wird.
Die Cellovariationen über ein slowakisches Thema waren Martinus letztes Werk, komponiert wenige Wochen vor seinem Tod im August 1959 im schweizerischen Liestal. „Diese allerletzten Seiten von Martinus Kammermusik sind durchdrungen von einer intensiven nostalgischen Sehnsucht nach der Heimat, die der Komponist seit 1938 nicht mehr wiedergesehen hatte.“ (Harry Halbreich)