Sextett D-Dur für zwei Violinen, zwei Violen und zwei Violoncelli, op. 10
Werkverzeichnisnummer: 1110
1. Moderato – Allegro
2. Adagio
3. Intermezzo. Moderato con grazia
4. Finale. Presto
Wie Mozart zählte auch Erich Wolfgang Korngold zu den frühreifen Komponisten, die das Etikett „Wunderkind“ wahrhaft verdienten. Im Todesjahr von Brahms geboren, schien er dem Wort „Genie“ neues Leben einzuhauchen. Das 19. Jahrhundert hatte den Geniebegriff derart überstrapaziert und durch staatliche Förderung korrumpiert, dass Johannes Brahms nur noch lakonisch fragte: „Früher gab es viele Genies und keine Stipendien, heute gibt es viele Stipendien, aber wo sind die Genies?“ Korngold hatte kein Stipendium nötig. Er trat mit 13 Jahren gleichsam fertig vor die Öffentlichkeit.
Geboren wurde er im mährischen Brünn (Brno) als Sohn des Musikkritikers Julius Korngold, der 1901 nach Wien übersiedelte. „Als Zehnjähriger von Gustav Mahler bei persönlichem Vorspiel eigener Stücke zum Genie ausgerufen, ging der junge Korngold auf Mahlers Empfehlung zu Alexander von Zemlinsky in die Lehre und wurde neben Arnold Schönberg der wohl wichtigste Zemlinsky-Schüler. Bereits 1909 (mit 13 Jahren!) war Korngold mit Klavierwerken hervorgetreten, deren Modernität und Reife international Aufsehen erregten und rasch prominente Fürsprecher fanden. Richard Strauss äußerte 1910 seine Bewunderung für ‚diesen jungen Erzmusikanten‘, dessen Kompositionen ihn ‚mit Schrecken und Furcht‘ erfüllten.“ (Olaf Kiener) Ohne Übertreibung durfte man diesen Jungen als den „Mozart des 20. Jahrhunderts“ apostrophieren, was der junge Erwachsene durch seine Opern bestätigte.
Violanta (1916), Das Wunder der Heliane (1927) und Die tote Stadt (1920) waren – neben den Werken von Strauss und Schreker – „die“ Opern der Epoche. Doch dann kamen die Nazis und mit ihnen das amerikanische Exil. „Ein eher zweischneidiger Ruhm, der hinterher noch lange als Makel haften blieb, schloss sich von 1934 bis 1946 an, als Korngold, durch Nazi-Rassenwahn und die Okkupation Österreichs ins Exil getrieben, auf Einladung Max Reinhardts in den USA als Filmkomponist künstlerische Pionierarbeit leistete. 1949 kehrte Korngold nach Wien zurück. Aber seine Hoffnung, an vornazistische Erfolge anknüpfen zu können, wurde enttäuscht. Seine melodische Musik, die bei aller Dissonanz nie der Tonalität und Schönheit abschwor, traf nun der Bannstrahl der Nachkriegs-Avantgarde. Verbittert ging Korngold, dessen Schaffen untrennbar mit Wien verwurzelt war, 1955 endgültig nach Amerika, wo er 1957 in Los Angeles starb.“ (Kien)
Noch heute gilt Korngold als Theater- und Filmkomponist; in Kammermusikführern wird er, wenn überhaupt, nur gestreift. Bei einer Jugend im Milieu der Wiener Jahrhundertwende war es jedoch undenkbar, sich nicht auch den klassisch-romantischen Kammermusikgattungen zu widmen. Kaum zufällig war es ein Klaviertrio Opus 1, mit dem der 13-Jährige debütierte. Keine Geringeren als Bruno Walter, der Quartett-Primarius Arnold Rosé und Friedrich Buxbaum hoben es aus der Taufe.
Etwas von der Atmosphäre jenes genialischen Opus 1 lebt auch im Streichsextett fort, das Korngold im Alter von 17 Jahren in Wien schrieb. Es wirkt zugleich wie eine prophetische Vorahnung seiner großen Filmpartituren, in denen er für die verwegenen Abenteuer eines Errol Flynn ausgeklügelte Leitmotivik mit reicher spätromantischer Harmonik verband.
Ähnliches findet sich auch im Streichsextett, das – wie in dieser Gattung üblich – mit je zwei Geigen, Bratschen und Celli besetzt ist. Das 1917 publizierte Werk ordnet sich ins Panorama der Wiener Brahms-Nachfolge ein. Die beiden Streichsextette von Brahms standen unverkennbar Pate, nicht minder Schönbergs Streichsextett Verklärte Nacht.
Schon der erste Satz lässt den späteren Filmkomponisten erahnen, der hier bereits drei höchst charakteristische Themen in unterschiedlichen Zeitmaßen frei kombinierte. Es handelt sich erstens um eine einleitende Triolenpassage, die im Satzverlauf mehrfach wiederkehrt (Moderato); zweitens um das Hauptthema, einen grandiosen opernhaften Aufschwung (Allegro); drittens um das träumerische Seitenthema in H-Dur. Die vielen Steigerungen und Höhepunkte, die Auffächerung des Klangs von der subtilen Legato-Klangfläche bis hin zum melodramatischen Tremolo lassen die Nähe zur Verklärten Nacht spüren.
Die pathetische Höhe des Kopfsatzes setzt sich im Adagio fort, das mit einem hinreißend schönen Cellogesang über ausgehaltenen Akkorden beginnt. Eine melancholische Bratschenmelodie bildet das Gegengewicht in diesem sich stetig steigernden Satz, der auf seinem Höhepunkt des Cellothema zur Apotheose führt. Im Intermezzo erwies Korngold seiner Wahlheimat Wien seine Reverenz. Der duftige Klang mit seinen Pizzicati und Glissandi verleiht dem Satz eine unverkennbar Wienerische Aura.
Das Presto-Finale folgt als freies Fugato über ein humoristisches Thema Vorbildern aus dem 1. Streichquintett und 2. Streichsextett von Brahms.
Erich Wolfgang Korngold ist heute hauptsächlich durch seine Opern und Filmmusiken ein Begriff, obwohl der aus dem mährischen Brünn stammende Komponist, der bereits mit 12 Jahren als pianistisches Wunderkind gefeiert wurde,auch mit seiner „absoluten“ Musik zu den schillerndsten Figuren der Wiener Jahrhundertwende gehörte. Nach Studien bei Zemlinsky, Fuchs und Grädener schrieb er mit Anfang 20 seine auch heute noch bekannten Opernerfolge (Violanta, Die tote Stadt). Obwohl er bereits 1934 für eine Inszenierung des Sommernachtstraums in der Hollywood Bowl die Musik komponiert hatte, blieb Korngold bis zum „Anschluß“ Österreichs 1938 in Wien. Als er dann doch in die USA emigrieren mußte, war er längst ein Star der Filmmusik. Die Partituren zu dem Seeräuberfilm Captain Blood (mit Erroll Flynn), zu Anthony Adverse u. a. hatten ihn bekannt gemacht. Er hatte darin „das in diesem Genre Übliche weit übertroffen; mit Wagnerscher Leitmotivik und spätromantischer Melodik gab er der Musik einen hohen Stellenwert. Die sinfonisch durchkomponierte, fast ständig Handlung und Dialoge untermalende Filmpartitur … wurde bei Korngold zum Grundprinzip. Der Hollywood-Film wurde damit zum Opernersatz.“ (Dümling)
Etwas von der Atmosphäre dieser Filmpartituren vermittelt auch Korngolds Streichsextett, das, wie die Opuszahl 10 anzeigt, noch aus seiner frühen Wiener Zeit stammt. Das 1917 publizierte Werk ordnet sich ins Panorama der Wiener Brahms-Nachfolge ein. Die beiden Streichsextette von Brahms standen unverkennbar Pate, nicht minder Schönbergs Streichsextett Verklärte Nacht. Freilich läßt schon der erste Satz den späteren Filmkomponisten erahnen, der hier bereits drei höchst charakteristische Themen in unterschiedlichen Zeitmaßen frei alternieren ließ. Die vielen Steigerungen und Höhepunkte, die Auffächerung des Klangs von der subtilen Legato-Klangfläche bis hin zum melodramatischen Tremolo lassen an zahlreichen Stellen die Nähe zur Verklärtern Nacht spüren. Die pathetische Höhe des Kopfsatzes setzt sich im Adagio fort, während das Intermezzo den leichten Ton einer Serenade anschlägt. Das Finale folgt als freies Fugato über ein humoristisches Thema Vorbildern aus dem 1. Streichquintett und 2. Streichsextett von Brahms.