Sonate G-Dur für zwei Flöten und Basso continuo, BWV 1039/1027
Werkverzeichnisnummer: 110
1. Adagio
2. Allegro ma non presto
3. Adagio e piano
4. Presto
Als Johann Sebastian Bach 1717 seinen Dienst als Hofkapellmeister in der kleinen anhaltischen Residenzstadt Köthen antrat, war die Traversflöte noch ein ganz junges Instrument. In der Kapelle seines Fürsten, die immerhin aus Virtuosen der aufgelösten Berliner Hofmusik bestand, fand sich zunächst gar kein Spieler für das aus Frankreich importierte Instrument. Zwei Jahre später hatte Bach seine beiden Blockflötisten Würdig und Freitag schon so weit mit dem neuen Instrument vertraut gemacht, dass er damit beginnen konnte, Traversflöten in seinen Werken einzusetzen.
Die „Flûte traversière“, die barocke Querflöte, war mit ihrem Holzcorpus und nur einer Klappe im Vergleich zur modernen Böhmflöte ein technisch weit weniger brillantes und viel leiseres Instrument, dafür „amouröser“ und delikater im Klang. Bach hat ihre Eigenschaften kongenial erfasst, wie seine Triosonate in
G-Dur, BWV 1039, beweist.
Ob sie tatsächlich schon um 1720 im Festsaal des Köthener Schlosses erklang, lässt sich nicht mit Sicherheit sagen. Für seine beiden Köthener Traversflötisten hat Bach zumindest in den weltlichen Kantaten jener Jahre dankbare Soli geschrieben. Freilich deutet manches in der Überlieferung der Sonate darauf hin, dass er sie erst später in Leipzig für Traversflöten bearbeitet hat. Zum einen wurde das Genre der Sonate für zwei Flöten und B.c. in Deutschland erst nach 1720 heimisch, zum anderen stammen die originalen Handschriften der G-Dur-Sonate aus den späten 1730er Jahren. Damals erreichte die Flötenmusik in Deutschland einen ersten Höhepunkt ihrer Popularität. Bach ließ sich vom Eifer seines Hamburger Freundes Telemann in der Komposition von Flötenkammermusik anstecken und schuf mit BWV 1039 ein klassisches Beispiel für ein Flötentrio mit Basso continuo – zweifellos für zwei bestimmte Spieler, die man im Kreis seiner Leipziger Studenten und Schüler oder unter seinen Söhnen suchen muss.
Da er die selbe Musik in dieser Zeit auch für eine Gambensonate mit obligatem Cembalo, BWV 1027, verwendet hat, stellt sich die Frage nach der Erstfassung. Die Bachforschung ist überwiegend der Meinung, dass weder die eine noch die andere Fassung das Original sei, sondern eine verlorene Triosonate für zwei Violinen und Basso continuo, die Bach erst nachträglich für Flöten bzw. Gambe bearbeitet habe.
Aus der mutmaßlichen Urfassung für Streicher würde sich so manche Eigenheit der Sonate erklären, wie etwa die lange ausgehaltenen Töne im ersten Satz. Zu ihnen tritt in der jeweils zweiten Stimme eine Melodie von pastoralem Zauber. Sie gibt den dissonanten Anstoß für die Oberstimme, die beiden verzahnen sich, bis sie einander im Achtelabstand folgen. Ein kurzes Skalenmotiv aus dem Thema wird in Engführung verarbeitet – „Ruhet hier, ihr matten Töne“ hat Bach in seiner Kantate BWV 210 auf dieses Motiv singen lassen, ein Text, der den Affekt des Satzes treffend beschreibt. Die Harmonien werden derweil im lebhaften Dialog der Flöten immer komplizierter und münden in einen fragenden „phrygischen“ Schluss.
Das Tanzthema des zweiten Satzes, eine Réjouissance, wird nach allen Regeln der Fugenkunst durchgeführt: zunächst in der Originalgestalt, dann ausführlich in der Umkehrung, schließlich – nach Mollverwicklungen und einer dissonanten Eintrübung – in einer triumphalen „confirmatio“ durch das Mittel der Engführung.
Von besonderem Zauber ist der dritte Satz, eine Folge gebrochener Mollakkorde der beiden Flöten, die harmonisch frei durch die Tonarten schweifen, ein Gegenstück zu manchem Präludium aus dem ersten Teil des Wohltemperierten Klaviers und zum ersten begleiteten Rezitativs aus der Matthäuspassion („Du lieber Heiland, du“).
Mit einem Presto im Rhythmus einer Bourrée anglaise geht die Sonate schwungvoll und virtuos zu Ende. An der Durchführung des tänzerischen Themas sind alle drei Stimmen gleichberechtigt beteiligt, ja dem Basso continuo fällt an vielen Stellen sogar der virtuoseste Part zu: Während sich die Flöten in Sekundvorhalten oder gebrochenen Dreiklängen ergehen, spielen das Cello und die linke Hand des Cembalos raumgreifende Läufe. Wie im ersten Satz wird das Thema durch seine Engführung bestätigt, hier gleich mehrfach. Bei aller Kunst bleibt der Satz jedoch stets tänzerisch elegant und mitreißend. Er atmet jene Symbiose aus französischem Tanzrhythmus, italienischer Sequenzenfreudigkeit und deutschem Kontrapunkt, wie sie für Bachs Kammermusik typisch ist.