Divertimento für zwei Oboen, zwei Klarinetten, zwei Fagotte und zwei Hörner (1939/40)
Werkverzeichnisnummer: 1080
1. Tempo di marcia
2. Allegretto scherzando
3. Adagio
4. Allegro
Im Divertimento von Gideon Klein verkehrt sich der unterhaltsame Duktus eines serenadenhaften Bläseroktetts in sein Gegenteil. Es ist das Werk eines jungen genialen Musikers, dem die Nazis mit 20 Berufsverbot erteilten, den sie mit 22 ins Lager Theresienstadt und mit 24 nach Auschwitz schickten. Im Lager Fürstengrube wurde er im Januar 1945 ermordet, gerade erst 25 Jahre alt geworden.
Gideon Klein gehörte neben Hans Krása, Pavel Haas und Viktor Ullmann zu den tragenden Säulen des Musiklebens, das sich – anfangs „illegal“, später von den Nazis in schamloser Weise für ihre Propaganda ausgenutzt – im Lager Theresienstadt entfaltete. In den Barracken des Lagers, die er selbst mit dem sog. „Aufbaukommando II“ hatte errichten müssen, kümmerte sich Klein nicht nur rührend um unzählige von ihren Eltern getrennte Kinder, sondern trat auch als Pianist solistisch und in Kammermusikwerken auf. In der Musiksektion der sogenannten „Freizeitgestaltung“ der Häftlinge war er zum Leiter des Bereichs „Instrumentalmusik“ ernannt worden. Die anderen Bereiche waren „Oper und Vokalmusik“ sowie „Kaffeehausmusik“ – selbst unter den Bedingungen absoluter Unmenschlichkeit wurde Musik von den Deutschen noch systematisiert.
Theresienstadt war schon das zweite Kapitel im Leidensweg des Gideon Klein. Der aus Mähren stammende, geniale Pianist hatte sein Klavierstudium bei V. Kurz in Prag 1939 glänzend abgeschlossen und gerade das Studium der Philosophie, Musikwissenschaft und Komposition (bei Alois Hába) aufgenommen, als die Deutschen in Prag einmarschierten. Mit der Errichtung des sog. „Protektorats Böhmen und Mähren„wurden auch die tschechischen Universitäten geschlossen. Der kaum 20jährige Klein war gezwungen, sein Studium aufzugeben und heimlich zu komponieren. Wie alle seine jüdischen Kollegen hatte er Aufführungs- und Berufsverbot. Gemeinsam organisierten die jädischen Komponisten in Prag Konzerte hinter verschlossenen Türen, um überhaupt noch konzertieren und ihr eneuen Werke aufführen zu können. Im Dezember 1941 wurde Klein in Theresienstadt interniert, dort hat er bis wenige Tage vor seinem Abtransport nach Auschwitz am 16. Oktober 1944 komponiert. Mit dem selben Zug, dem sogenannten „Künstlertransport“, fuhren Kleins Freunde und Kollegen Ullmann, Haas und Krása in die Gaskammern von Auschwitz. Klein selbst überstand die grausame Selektion an der Rampe und kam ins kleinere Lager Fürstengrube. Dort wurde er beim Rückzug der Deutschen wenige Stunden vor der Befreiung ermordet.
Erst 1990 begann die Musikwelt, sich auf den völlig vergessenen Komponisten Gideon Klein zu besinnen. Erst damals konnte Kleins Theresienstädter Oeuvre durch einen glücklichen Fund um seine früheren Werke ergänzt werden, zu denen auch das 1939/40 komponierte Divertimento gehört. Es folgt im Klang und in der volksmusikalischen Inspiration der tschechischen Bläsertradition von Dvorák bis Janácek, verbindet diese jedoch mit sarkastischem Humor und einem todernsten Blick auf die Lebenswirklichkeit, die Klein und seine Kollegen 1939 umgab. Der erste Satz spiegelt die Zeitumstände in Form eines grell-ironischen Marsches im 5/4-Takt wider. Im zweiten Satz wird der böhmische Scherzotonfall durch herb-dissonante Klänge überlagert. Der dritte Satz, das Adagio, besteht aus Variationen über ein tschechisches Lied, die Nr. 14 aus Janáceks Liederzyklus Tagebuch eines Verschollenen. Der Text des Liedes verrät, worauf Klein in diesem Satz anspielte: auf verlorene Jugend und verlorene Freiheit. „Sonn‘ ist aufgegangen, Nebel schweben. Ach, was ich verloren, wer kann’s mir wiedergeben?“ Im Finale hat der zwanzigjährige Komponist seine Zuflucht zur urwüchsigen Vitalität tschechischer Volkstänze genommen.
2003
GIDEON KLEIN
Divertimento
Das Verhältnis zwischen den Komponisten und der hohen Politik blieb nicht immer so nobel-distanziert wie im Bonn der Beethovenzeit. Über den Bläserwerken von Gideon Klein und Isang Yun liegt der lange faschistische Schatten des 20. Jahrhunderts. Der mährische Komponist Gideon Klein wurde im Januar 1945 im KZ ermordet. Er gehörte zu einer ganzen Generation jüdisch-tschechischer Komponisten, die von den Deutschen zunächst in Theresienstadt interniert und dann in den letzten Kriegsmonaten nach Auschwitz abtransportiert wurden. In Theresienstadt, dem „Vorzeigelager“ der Nazis, wurde Gideon Klein 1941 interniert. Er organisierte dort zusammen mit seinen Freunden Hans Krása, Pavel Haas und Viktor Ullmann die Musiksektion in der „Freizeitgestaltung“ der Häftlinge, die die Nazis für ihre Propaganda missbrauchten. In den Barracken, die er selbst mit dem „Aufbaukommando II“ hatte errichten müssen, kümmerte sich Klein nicht nur rührend um unzählige von ihren Eltern getrennte Kinder, sondern trat auch als Pianist auf, organisierte Konzerte, komponierte und ermunterte resignierte Kollegen zum Weiterschreiben.
Der gerade mal 22-Jährige hatte damals schon seine erste Leidenszeit hinter sich. Als die Deutschen 1939 in Prag einmarschiert waren, hatte er die Universität verlassen und wegen Berufsverbots heimlich komponieren müssen. Seine zwischen 1939 und 1941 komponierten Werke wurden in Hauskonzerten hinter verschlossenen Türen aufgeführt. Auch in Theresienstadt schrieb er unermüdlich weiter, bis er im Oktober 1944 nach Auschwitz abtransportiert wurde. Im Arbeitslager Fürstengrube hat ihn Ende Januar 1945 die SS ermordet.
1990 konnten Kleins Kompositionen aus Theresienstadt durch einen glücklichen Fund um jene Prager Werke ergänzt werden, die er vor dem Transport ins Lager bei seinem Freund Eduard Herzog deponiert hatte. Zu diesem Paket mit sechs Kompositionen gehört auch das Divertimento für Bläser – eine „unterhaltende Musik“ aus düsterer Zeit. Der Bedrückung der deutschen Besatzer setzt sie die Vitalität der böhmischen Musik entgegen und benutzt dazu ganz bewusst das Bläseroktett, als dessen Meister zur Beethovenzeit die Böhmen galten. Bis hin zur Bläserserenade von Dvorak war der Klang des Bläseroktetts etwas Ur-Tschechisches, und genau in diesem Sinne hat es Klein eingesetzt: als Symbol für den ungebrochenen Lebenswillen der Tschechen und ihrer Nation. Ernst der Aussage, gepaart mit Humor und extreme Dichte der Struktur ließen ein in jeder Hinsicht exorbitantes Werk der Bläserkammermusik entstehen.
Formal knüpfte Klein äußerlich an die viersätzige Anlage vieler Bläserwerke der Wiener Klassik an. Der erste Satz ist ein grell-ironischer Marsch im 5/4-Takt. Die subtilen rhythmischen Übergänge dieses Satzes setzen sich im Allegretto scherzando fort, dessen „sprechende“ Motive sich über einem Ostinato der Fagotte zwanglos entfalten. Das herrliche Variationsthema des Adagios entnahm Klein der Nr. XIV von Janáceks Liederzyklus Tagebuch eines Verschollenen. Der Text dieses Liedes („Sonn‘ ist aufgegangen, Nebel schweben. Ach, was ich verloren, wer kann’s mir wiedergeben“) ist – ebenso wie der Marschrhythmus des Kopfsatzes – als ein Reflex auf die Zeiter-eignisse und auf Kleins eigene Situation zu deuten. Das Thema wandert durch die Stimmen, während die Kontrapunkte zunehmend wilder und freier werden und ihrerseits Fragmente des Themas aufgreifen. Erst das Finale bekennt sich in seiner volkstümlichen Melodik ungebrochen zum Divertimento-Geist.