Sonate Nr. 6 G-Dur für Violine und obligates Cembalo, BWV 1019
Werkverzeichnisnummer: 100
1. Allegro
2. Largo
3. Allegro (Cembalo solo)
4. Adagio
5. Allegro
Die sechs Sonaten für Violine und obligates Cembalo, BWV 1014-1019
Die „Sei Sounate à Cembalo certato è Violino Solo“, wie sie in der frühesten authentischen Quelle genannt werden, sind Bachs bedeutendster Kammermusikzyklus, gewissermaßen sein kammermusikalisches Vermächtnis an die Nachwelt. Es waren die ersten Violinsonaten der Musikgeschichte, in denen das Tasteninstrument sich aus der Rolle der akkordischen Begleitung im Basso continuo löste und der Violine als gleichberechtigter Partner gegenübertrat. Die Fantasie, mit der Bach die satztechnischen Möglichkeiten dieser Konstellation auskostete, die formale Vollendung jeder einzelnen Sonate und ihre ganz spezifische Ausdruckswelt machen diese Stücke zu den ersten „klassischen“ Duosonaten des Geigenrepertoires.
Im satztechnischen Verständnis der Bachzeit handelte es sich freilich um Triosonaten. Da über dem Bass, also der linken Hand des Cembalos, zwei Oberstimmen, die Violine und die rechte Hand, konzertieren, hat man es mit einer der Triosonate analogen Situation zu tun. Unter Bachs Händen multiplizierten sich freilich die Möglichkeiten dieser Konstellation – vom puren Cembalosolo über den strengen Triosatz bis hin zum veritablen Quartett- oder gar Quintettsatz.
Komponiert wurden die Sonaten vor 1725. Im Sommer dieses Jahres nämlich ließ Bach von seinem Neffen Johann Heinrich eine Stimmenabschrift anfertigen, die er eigenhändig um die letzten Sätze der noch unvollendeten sechsten Sonate ergänzte. Offenbar wollte Bach die Sonaten bei seinem Besuch in Dresden im September 1725 mit seinem dortigen Geigerfreund Johann Georg Pisendel spielen und möglicherweise auch im Dezember in Köthen, zusammen mit dem Köthener Konzertmeister Spieß und Fürst Leopold an der Gambe. Zu den Sonaten hat sich nämlich eine Gambenstimme erhalten, die den Cembalobass verstärkt. Komponiert wurden die Stücke sicher vor seinem Amtswechsel nach Leipzig, also vor Mai 1723 am Köthener Hof. Später hat Bach den Zyklus zweimal überarbeitet, wobei die sechste Sonate jeweils eine grundlegende Neufassung erfuhr. Die Fassung letzter Hand aus der 1740er Jahren ist in einer Abschrift seines Schwiegersohns Johann Christoph Altnickel erhalten.
SONATA VI G-Dur, BWV 1019
Der Wunsch, einem kunstvollen Zyklus voll tiefgründiger Mollsätze einen strahlenden Ausklang in Dur zu geben, beseelte Bach auch beim Komponieren der sechsten Sonate für Geige und Cembalo. Nach fünf Sonaten in der traditionellen Viersätzigkeit nahm er eine fünfsätzige Form in Angriff, was in der damaligen Sonatenlandschaft ein Experiment war. Die Lösung ist selbst einem Bach nicht im ersten Anlauf geglückt. Das Schema – zwei schnelle Außensätze, zwei langsame Zwischensätze und ein zentraler Satz in schnellem oder halbschnellem Tempo – bereitete ihm ungeahnte Schwierigkeiten, so dass er an der sechsten Sonate länger herumtüftelte als an den fünf früheren zusammen. In den Quellen finden sich drei Varianten. In der spätesten steht ein Cembalosolo in e-Moll im Mittelpunkt. Nach 22 Sätzen partnerschaftlichen Dialogs mit der Geige wollte sich der Cembalist Bach wohl endlich einmal solissimo zeigen: in einem Allegrosatz von typisch bachischer Kernigkeit des Rhythmus und Eloquenz der Stimmführung.
Umrahmt wird dieser Satz von zwei kurzen langsamen Sätzen in nackter Triofaktur und gestrenger Chromatik. In ihrem hermetischen Charakter kontrastieren sie zur italienischen Redseligkeit und Brillanz der Ecksätze, in denen Bach offenbar beweisen wollte, dass er durchaus wie Telemann oder Vivaldi schreiben konnte, wenn er wollte. Der Kopfsatz kostet den Glanz der Tonart G-Dur mit Laufkaskaden und Dreiklangsbrechungen, Terz- und Sextparallelen aus. Das Finale ist zwar eine Fuge, aber über ein so launisches Thema auf der G-Saite der Violine, dass man dahinter einen Scherz vermuten möchte. In der Hochzeitskantate Weichet nur, betrübte Schatten erklingt dieses Thema zu der Arie Phöbus eilt mit schnellen Pferden durch die neugeborne Welt. Verbirgt sich dahinter eine gelehrte mythologische Anspielung des Antiken-Kenners Bach? Wohl eher ein Scherz, den sich der Komponist nach der Mühsal so vieler ernster Fugen in Moll gönnte, ähnlich dem Quodlibet am Ende der Goldbergvariationen.