Cellosonate d-Moll | Kammermusikführer - Villa Musica Rheinland-Pfalz

Claude Debussy

Cellosonate d-Moll

Sonate d-Moll für Violoncello und Klavier

Besetzung:

Werkverzeichnisnummer: 531

Satzbezeichnungen

1. Prologue. Lent

2. Sérénade et Finale. Modérément – Animé

Erläuterungen

In der Rue la Boétie zu Paris, einer Seitenstraße der Champs-Elysées, zeugt in unverändertem Zustand seit 1907 die Salle Gaveau vom Geist der Jahrhundertwende. Als Kammermusiksaal für ungefähr 1000 Zuhörer erbaut, besticht sie nicht nur durch eine glasklare Akustik, sondern auch durch ihr Dekor – ein kleines Wunderwerk an unverfälschter Jugendstil-Atmosphäre. Hier erlebten die drei späten Sonaten von Claude Debussy ihre ersten öffentlichen Aufführungen.

1915, drei Jahre vor seinem Tod, begann Debussy einen Zyklus von Six sonates pour divers instruments, die er in bewusster Anlehnung an die französische Sonatenkunst des Barock konzipierte. Von den geplanten sechs Sonaten konnte er nur noch drei vollenden: die Cellosonate, die Violinsonate und die Sonate für Flöte, Viola und Harfe. Auf dem Titelblatt der drei Sonaten, die der Verleger Durand publizierte, nannte sich der Komponist selbstbewusst: Claude Debussy. Musicien français. Der nationale Zusatz verlieh dem Selbstverständnis des Komponisten in zweifacher Hinsicht Ausdruck: zum einen politisch im Sinne eines guten Patrioten, der die „Austro-Boches“ im Ersten Weltkrieg „auf dem letzten Loch pfeifen“ sehen wollte, zum anderen musikalisch im Sinne eines bewusst französisch empfindenden Musikers. Alle sechs Sonaten waren als Verherrlichung der Musique française in bewusster Abgrenzung von der Musik der deutschen Spätromantik gedacht.

Keine von ihnen weist die traditionelle Viersätzigkeit und die akademischen Sonatenformen der deutschen Kammermusik auf. Die jeweils drei Sätze sind in freien Formen gehalten, ihre poetischen Titel verweisen auf Außermusikalisches: auf Lyrik und Drama, Antike und Natur. Ihr Stil ist von Eleganz und poetischem Zauber geprägt – Eigenarten, die Debussy als typisch französisch empfand.

Aus der Erinnerung an die Musik des Barock, v.a. die Werke eines Jean-Philippe Rameau und François Couperin, entwickelte er die Maximen des französischen Stils: „Nichts kann entschuldigen, dass wir die Tradition der Werke eines Rameau vergessen haben, die in der Fülle ihrer genialen Einfälle fast einzigartig ist“. In der Verherrlichung der vorklassischen Musik ging er sogar soweit, das Titelblatt der Originalausgabe seiner drei vollendeten Sonaten in den Lettern eines typischen Notendrucks aus dem 18. Jahrhundert stechen zu lassen, so zunächst in der Cellosonate, die als erste der drei im Sommer 1915 vollendet wurde.
Auch die Musik selbst ist voller Reminiszenzen an den französischen Barock. Die Cellosonate beginnt mit einem Prolog. So wie jeder französische Barockkomponist eine Oper mit einem Prolog eröffnete und ihn mit einer „französischen Ouvertüre“ in punktierten Rhythmen beginnen ließ, hebt auch die Debussysonate an: mit dem resoluten Duktus, den Rhythmen und Spielfiguren einer solchen Ouvertüre im Klavier. Das Cello antwortet im gleichen Duktus, aber rhythmisch frei, mit einer Art Kadenz. Flirrende Bewegung in gebrochenen Dreiklängen tritt an die Stelle des fugierten Mittelteils einer Barockouvertüre, bevor das pathetische Motiv des Beginns wiederkehrt.

Den zweiten und dritten Satz hat Debussy zu einer Einheit zusammengefasst: Sérénade et Finale. Der Prolog eröffnet keine Tragödie, sondern eine heitere, leicht ironische Ständchenszene mit buffoneskem Finale. Zu Beginn der Serenade verwandelt sich das Cello mittels Sempre Pizzicato, gezupfter Noten, in eine große Gitarre, auf der ein Ständchen angestimmt wird. Die gestrichenen Noten im weiteren Verlauf sollen laut Debussys Anweisung „ironique“ klingen. Der Cellist wechselt nicht nur ständig zwischen gestrichener und gezupfter Saite, sondern auch zwischen feurigem Vorangehen und plötzlichem Innehalten, zwischen An- und Abschwellen der Lautstärke, kraftvoller und „flötender“ Tongebung. Man hat es ganz offenbar mit einem grotesken Liebhaber aus der Commedia dell’arte zu tun, der hier seiner Angebeteten auf bizarre Weise huldigt. Am Ende des Satzes scheint er erhört zu werden, denn ein erwartungsvoll gespanntes A des Cellos mündet unmittelbar in das „leichte und nervöse“ Finale, das in flirrender Bewegung über dem barocken Bass der Passacaglia beginnt. Con fuoco und Appassionato, feuriger und leidenschaftlicher Ausdruck, prägen diesen Satz, den die Rückkehr des barocken Motivs aus dem Prolog feierlich beschließt.