Klaviertrio (2012) | Kammermusikführer - Villa Musica Rheinland-Pfalz

Eric Tanguy

Klaviertrio (2012)

Klaviertrio (2012)

Besetzung:

Werkverzeichnisnummer:

Erläuterung

Der französische Komponist Eric Tanguy wurde 2001 schlagartig bekannt, als er für die amerikanische Abschiedstournee von Mstislav Rostropowitsch sein zweites Cellokonzert komponierte. Der legendäre russische Cellist tourte damit durch alle großen Säle der USA mit Seiji Ozawa am Dirigentenpult. Korrepetitor des Solisten war damals ein junger Pianist aus Armenien: Vahan Mardirossian. Als Derselbe später Chefdirigent des Sinfonieorchesters in Tanguys Heimatstadt Caen wurde, dirigierte er 2013 die Uraufführung von dessen Orgelkonzert. So eng hängen der Klavierdozent und der zeitgenössische Komponist in unserem Programm zusammen.

In Frankreich gehört Eric Tanguy zu den großen Namen der zeitgenössischen Musik. Er wurde 1968 in Caen geboren und studierte bei prominenten Lehrern, zunächst bei Horatiu Radulescu, dann bei Ivo Malec, Gérard Grisey und Betsy Jolas am Conservatoire in Paris, wo er 1991 seinen Abschluss machte. Er war Stipendiat bei den Darmstädter Ferienkursen (1988), gewann den Prix de Rome mit Aufenthalt in der Villa Medici (1993-94), erhielt den André-Caplet-Preis des Institut de France (1995) und den Hervé-Dugardin-Preis der SACEM (1997). Heute ist er selbst ein gesuchter Kompositionslehrer. Er unterrichtet am Conservatoire Paul Dukas und an der Ecole Normale de Musique in Paris sowie weltweit als Gastdozent bei vielen renommierten Instituten (New England Conservatory, Cardiff University, Royal Academy und Royal College in London, UCLA in Los Angeles, Conservatorio Giuseppe Verdi in Mailand u.v.a.).

Tanguy wurde mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet: 2012 mit dem Grand prix de la SACEM, 2014 mit dem Grand prix des Lycéens, den Schüler aus ganz Frankreich verleihen. Die Victoires de la musique classique kürten ihn 2004 und 2008 zum Komponisten des Jahres. Auf Einladung von Henri Dutilleux gastierte er im Tanglewood Music Center (1995), war composer in residence in Champagne-Ardenne (1995), Lille (1996), beim Orchestre de Bretagne (2001-03) und beim Festival des Arcs (2011). Beim Holstebro Festival in Dänemark, bei der Kone Foundation in Finnland und bei der Open Chamber Music in Prussia Cove (UK) war er Gastkomponist, zuletzt auch beim Besançon Festival (2017-2019).

Sein Schaffen umfasst mehr als hundert Werke in allen Genres vom Solostück über Konzerte bis hin zum sinfonischen Großwerk. Dirigenten wie Semyon Bychkov, Jesús López Cobos, Paavo Järvi, Seiji Ozawa, Michel Plasson, Esa-Pekka Salonen und Stefan Sanderling hoben sie aus der Taufe. Er komponierte für Solisten wie Piotr Anderszewski, Renaud und Gautier Capuçon, François Leleux, Igor Levit, Vahan Mardirossian, Emmanuel Pahud und Mstislav Rostropowitsch. Viele große Quartette und Ensembles haben seine Musik gespielt (Arditti, Diotima, Ysaÿe, Trio Wanderer, Ensemble Intercontemporain, London Sinfonietta), von den großen Orchestern ganz abgesehen.

2007 widmete Tanguy seinem Mentor Rostropowitsch eine Hommage, In Terra Pace, uraufgeführt vom Orchestre Philharmonique de Radio-France unter Michel Plasson. 2009 hob das Ensemble Orchestral de Paris sein In Excelsis aus der Taufe. Zu seinen neuesten Werken zählen das Orgelkonzert von 2013, Affettuoso – In memoriam Henri Dutilleux von 2014, Spirales für Cello und Klavier von 2016 und das Klarinettenkonzert von 2017. Seit 1989 ist er Exklusivkünstler des Verlags Salabert/Universal Music. Aufnahmen seiner Werke erschienen bei Labels wie Decca, Erato, Naïve, Transart, OEHMS und Intrada.

Eric Tanguy
Klaviertrio (2012)

Sein bislang einziges Klaviertrio schrieb Eric Tanguy für drei Interpretinnen, die es in Auftrag gaben und auch 212 bei Radio France aus der Taufe hoben: Marie-Josephe Jude, Stéphanie-Marie Degand und Cecilia Tsan. Ebenso wichtig war die US-amerikanische Erstauffürhung durch das Pantoum Trio.

Tanguy hat das Klaviertrio als einen einzigen großen Satz im Dreivierteltakt angelegt, quasi wie eine Riesen-Chaconne von 12 Minuten Länge. Vorbild dafür war nicht etwa Bachs Ciaccona für Solovioline, sondern die typische Orchester-Chaconne des französischen Barock mit ihrer schier endlosen Aneinanderreihung von Viertaktern im Dreivierteltakt über wechselnden Bassverläufen. Bei Tanguy sind es Perioden von je sechs Takten, die aufeinander folgen und stets das gleiche Tonmaterial verarbeiten. Zu Beginn werden nur sechs Töne verwendet: a-es-f-c-h-as. Sie werden von allen drei Instrumenten in immer neuen Kombinationen gespielt, bevor die übrigen sechs Töne der chromatischen Tonleiter im Verlauf des Satzes hinzukommen. Trotz der streng sechstönigen, quasi atonalen Harmonik hat man zu Beginn den Eindruck eines zarten langsamen Walzers. Es kommt zwar bald zu einer ersten eruptiven Entladung, sie klingt aber ebenso rasch wieder ab, so dass der Walzer leise ausklingen darf.

Der zweite Abschnitt ist langsamer (Plus lent) und wird von den Streichern mit einem sanften Duett eröffnet, bevor sich alle drei Musiker vorübergehend auf einen Zweierduktus einschwingen. Die Melodien wirken hier ausdrucksvoller als zu Beginn, weil sie um die Töne g, ges, des und b bereichert sind. Es fehlen also nur noch d und e.

Nach dem leisen Ausklang dieses Abschnitts setzt ein scherzoartiges Plus vite ein, beruhend auf einem aufsteigenden Ostinato in der linken Hand des Klaviers und nun wieder im raschen Dreiertakt. Es herrscht zunächst gespannte Erwartung, bis sich die Spannung in einem gewaltigen Fortissimo entlädt. Wilde Läufe bestimmen diesen Abschnitt. Er klingt in einem schluchzenden Duo der Streicher aus, einem Plus lent, das den zweiten langsamen Teil eröffnet. Hier bleiben die Streicher für zwanzig Takte alleine, damit jeder seine Kadenz spielen kann: erst die Violine, dann das Violoncello. Am Ende tritt das Klavier hinzu, und alle drei vereinen sich zu himmlisch hohen und zarten Akkorden.

Nach diesem letzten Atemholen setzt der mitreißende Schlussabschnitt ein, ein sehr schnelles Vite. Im Verlauf von mehr als 230 Takten wird der Dreier-Duktus der Musiker immer wilder, schneller, lauter und virtuoser. Nach fünf Minuten einer rasanten Steigerung endet das Trio mit großer Geste.