Sechs Albumblätter, op. 39 | Kammermusikführer - Villa Musica Rheinland-Pfalz

Hans Sitt

Sechs Albumblätter, op. 39

Sechs Albumblätter, op. 39

Besetzung:

Werkverzeichnisnummer:

Satzbezeichnung

1. Moderato C-Dur
2. Andante sostenuto g-Moll
3. Allegro G-Dur
4. Allegro A-Dur
5. Lento f-Moll
6. Allegro, molto vivace d-Moll

Erläuterung

Hans Sitt gehört zu den heute vergessenen „Kleinmeistern“ der Spätromantik im Umkreis von Johannes Brahms und Antonín Dvořák. Der Geigenvirtuose aus Prag war der Sohn eines bekannten Geigenbauers, der ursprünglich aus Ungarn nach Tschechien zugewandert war. Auf den wunderschönen, altitalienisch anmutenden Instrumenten seines Vaters erlernte der kleine Hanuš das Geigenspiel, und zwar so bravourös, dass er schon bald Aufsehen erregte. Obwohl er neun Jahre jünger war als Dvořák, machte er früher Karriere: Nach dem Studium am Prager Konservatorium wurde er schon mit 17 Jahren Konzert- und Kapellmeister am Stadttheater Breslau, während Dvořák noch als Tutti-Bratschist im Orchester des Prager Interimtheaters spielte. 1873 ging Sitt als städtischer Kapellmeister nach Chemnitz, wo er sich besonders für die Werke Smetanas einsetzte. 1884 warb ihn das Leipziger Konservatorium ab. Dort wirkte er für fast 40 Jahre als Professor für Violine, Orchester- und Partiturspiel. Daneben spielte er als Bratschist im Brodsky-Quartett und wurde 1885 als Nachfolger Herzogenbergs Kapellmeister des Bach-Vereins. Unter seinen zahlreichen bedeutenden Schülern ragen der italienische Komponist Franco Alfano, der Engländer Frederick Delius und der tschechische Dirigent Václav Talich hervor.

1891 veröffentlichte Hans Sitt im Verlag Peters in Leipzig seine Albumblätter für Bratsche „mit Begleitung des Pianoforte“, Opus 39. Der Titel verweist auf die Mode der musikalischen Einträge in Poesiealben und Gästebücher, wie sie im ganzen 19. Jahrhundert üblich waren. „Albumblatt“ meint in diesem Zusammenhang ein kurzes, formal anspruchsloses Stück von einheitlichem, poetischem Stimmungsgehalt ohne größere Kontraste. In diesem Sinne vereinigte Sitt in seinem Opus 39 sechs kurze Charakterstücke zu einem musikalischen Blumenstrauß, der alle Vorzüge der Bratsche zur Geltung bringt.

Das einleitende Moderato in C-Dur nutzt die leere C- und G-Saite zu einer ruhig sich aufschwingenden Melodie, die immer wieder aus der strahlenden Höhe des Instruments in die tiefe Lage hinabsteigt. Das folgende Andante sostenuto in g-Moll beginnt wehmütig seufzend, fast zögernd, um sich im Mittelteil zu großer Leidenschaft zu steigern. Das anfänglich so heitere dritte Stück, ein Allegro in G-Dur im Zweivierteltakt, wird im Mittelteil von einer ungarischen Melodie in melancholischem g-Moll abgelöst. Dabei hat Sitt die tiefe und die mittlere Lage des Instruments wunderbar gegeneinander ausgespielt. Ungestüm drängend wirkt das vierte Stück, ein Allegro in A-Dur im tänzerischen Sechsachteltakt, das ohne Mittelteil auskommt. Düstere Schwermut liegt über dem vorletzten Albumblatt, einem Lento in f-Moll. Seine Melodie steigt immer wieder langsam und lastend aus der Mittellage des Instruments in die Höhe hinauf, bevor die Reprise überraschend in der Tiefe einsetzt, vorbereitet von einer Triolen-Bariolage auf der C-Saite. Der Satz klingt auf der leeren C-Saite leise aus. Überraschend stürmisch und virtuos setzt das letzte Stück ein – ein Allegro molto vivace in d-Moll. Dieser Elfenreigen nutzt den Triolenrhythmus zu einem wirbelnden Finale.