Fantasie und Fuge | Kammermusikführer - Villa Musica Rheinland-Pfalz

Gideon Klein

Fantasie und Fuge

Fantasie und Fuge

Besetzung:

Werkverzeichnisnummer:

Erläuterung

Der aus Mähren stammende Gideon Klein gehörte neben Viktor Ullmann zu den tragenden Säulen des Musiklebens, das sich im Lager Theresienstadt entfaltete – anfangs „illegal“, später von den Nazis in schamloser Weise für ihre Propaganda ausgenutzt. In den Barracken des Lagers, die er selbst mit dem sog. „Aufbaukommando II“ hatte errichten müssen, kümmerte sich Klein nicht nur rührend um unzählige von ihren Eltern getrennte Kinder, sondern trat auch als Pianist solistisch und in Kammermusikwerken auf. In der Musiksektion der sog. „Freizeitgestaltung“ der Häftlinge war er zum Leiter des Bereichs „Instrumentalmusik“ ernannt worden. Die anderen Bereiche waren „Oper und Vokalmusik“ sowie „Kaffeehausmusik“ – selbst unter den Bedingungen absoluter Unmenschlichkeit wurde Musik von den Deutschen noch systematisiert.

Theresienstadt war schon das zweite Kapitel im Leidensweg des Gideon Klein, der damals ja erst ein junger Musiker Anfang 20 war. Der aus Mähren stammende, geniale Pianist hatte sein Klavierstudium bei V. Kurz in Prag 1939 glänzend abgeschlossen und gerade das Studium der Philosophie, Musikwissenschaft und Komposition (bei Alois Hába) aufgenommen, als die Deutschen in Prag einmarschierten. Mit der Errichtung des sog. „Protektorats Böhmen und Mähren“ wurden auch die tschechischen Universitäten geschlossen. Der kaum 20jährige Klein war gezwungen, sein Studium aufzugeben und heimlich zu komponieren. Wie alle seine jüdischen Kollegen hatte er Aufführungs- und Berufsverbot. Gemeinsam organisierten sie in Prag Konzerte hinter verschlossenen Türen, um überhaupt noch konzertieren und ihre neuen Werke aufführen zu können.

Im Dezember 1941 wurde Klein in Theresienstadt interniert. Dort hat er bis wenige Tage vor seinem Abtransport nach Auschwitz am 16. Oktober 1944 komponiert. Mit dem selben Zug, dem sog. „Künstlertransport“, fuhren Kleins Freunde und Kollegen Ullmann, Haas und Krása in die Gaskammern von Auschwitz. Klein selbst überstand die grausame Selektion an der Rampe und kam ins kleinere Lager Fürstengrube. Dort wurde er beim Rückzug der Deutschen wenige Stunden vor der Befreiung ermordet.

Erst 1990 begann die Musikwelt, sich auf den völlig vergessenen Komponisten Gideon Klein zu besinnen. Nach und nach wurde sein Theresienstädter Œuvre herausgegeben. Es konnte durch einen glücklichen Fund um seine früheren Werke ergänzt werden.

Fantasie und Fuge für Streichquartett entstanden 1942, schon im Lager. Sie zeigen typische Eigenheiten von Kleins Stil: perkussive Rhythmen, die sich an Strawinsky orientieren; den Rückgriff auf traditionelle Formen wie in diesem Fall auf die barocke Paarung von Fantasie und Fuge; ferner einen engen Bezug zur Volksmusik im Sinne Janaceks. Dies alles ist mit genialer Hand zu einer gemäßigt modernen Ausdrucksmusik zusammengebunden, die man mit Fug und Recht eine „Bekenntnismusik“ nennen kann.

Ein unbekannter Zuhörer eines Klavierabends von Klein in Theresienstadt dichtete die folgenden Zeilen:

Dort mit geschlossenen Augen wachen Menschen die nicht
rasten
Dort mit geschlossenen Augen blickt ein jeder nach den
Tasten …
Und jener Mensch hat alle Adern nachts geöffnet und hat alle Orgelpfeifen aufgemacht Bestochen hat er alle Vögel
um zu singen.