Klarinettenquintett h-Moll, op. 115 | Kammermusikführer - Villa Musica Rheinland-Pfalz

Johannes Brahms

Klarinettenquintett h-Moll, op. 115

Quintett h-Moll für Klarinette, zwei Violinen, Viola und Violoncello, op. 115

Besetzung:

Werkverzeichnisnummer: 367

Satzbezeichnungen

1. Allegretto

2. Adagio

3. Andantino – Presto non assai, ma con sentimento

4. Con moto (Thema mit Variationen)

Erläuterungen

Johannes Brahms hielt sein Schaffen nach dem zweiten Streichquintett, op. 111, eigentlich für beendet, als er im März 1891 Richard Mühlfeld kennenlernte. Dieser war insofern ein Phänomen, als er sich autodidaktisch zum Klarinettisten fortgebildet hatte. „Er saß solange am Geigenpult des Meiningischen Orchesters, bis er seine Kollegen eines Tages als der virtuose Klarinettist überraschte, zu dem er sich heimlich ohne Anleitung ausgebildet hatte,“ wußte der Brahmsbiograph Max Kalbeck zu berichten.

Mühlfelds Fähigkeiten beeindruckten Brahms so tief, dasser für ihn in kurzer Zeit seine vier späten Klarinettenwerke schrieb: das Trio op. 114, das Quintett op. 115 und die beiden Sonaten op. 120. An eine befreundete Meininger Baronin schrieb er dazu in humoristischem Ton: „Es ist mir nicht entgangen, wie mühsam und ungenügend Ihr Auge ihn (Mühlfeld) an seinem Orchesterplatz zu suchen hatte. Im letzten Winter konnte ich ihn wenigstens einmal vorne hinstellen – aber jetzt – ich bringe ihn in Ihre Kemenate, er soll auf Ihrem Stuhl sitzen, Sie können ihm die Noten umwenden und die Pausen, die ich ihm gönne, zu traulichstem Gespräch benützen! Das Weitere wird Ihnen gleichgültig sein, nur der Vollständigkeit halber sage ich noch, daß ich für diesen Zweck ein Trio und ein Quintett geschrieben habe, in denen er mitzublasen hat.“
Den Charakter des Quintetts hat schon Kalbeck als einen „Abschied von der schönen Welt“ interpretiert, ein Eindruck, der sich angesichts seiner gefühlssatten Harmonik und Klanglichkeit unwillkürlich aufdrängt. Zugleich zeigt es Eigenarten des späten Brahms, wie die rhythmische Freiheit und die Fortentwicklung der thematischen Arbeit.

Der erste Satz beginnt mit jener Wellenfigur der beiden Geigen, die den „unwiderstehlich wehmütigen Reiz“ (Kalbeck) des Werkes am schönsten ausdrückt. Sie fungiert als formale Klammer, indem sie im großen Klarinettensolo des langsamen Satzes und am Ende des Finales wiederkehrt. Der erste Einsatz der Klarinette ist nicht weniger faszinierend: eine sehnsüchtige Fortspinnung des Wellenmotivs über einem Geflecht von Vorhalten. Erst danach spielen Bratsche und Cello das eigentliche Hauptthema, die mit kleinen Sekunden umschriebene, fallende Mollterz, die die Keimzelle des Werkes bildet. Sowohl die Scherzomelodie als auch das Thema des Variationenfinales sind aus ihr abgeleitet, wie überhaupt ein enges motivisches Netz alle Sätze verknüpft.
Die dramatischen Steigerungen des ersten Satzes werden von einem martialischen Gegenthema ausgelöst. Völlig verwandelt tritt es mitten in der Durchführung als Quasi sostenuto in Des-Dur auf, eines der schönsten Beispiele Brahmsscher Entwicklungskunst. Motor der Durchführung ist das Wellenmotiv, das auch die Reprise und Coda einleitet. In letzterer sinkt nach einer großen Steigerung das Hauptthema in der Klarinette rezitativartig in sich zusammen. Diesen Schluß stellte Brahms auch ans Ende des gesamten Quintetts.
Das Adagio verdankt seinen eigenartig schwebenden Reiz dem Streicher-Klanggrund aus Duolen und Triolen, über dem sich in meditativer Ruhe die Klarinettenmelodie entfaltet. Der Mittelteil dagegen ist eine Fantaisie pastorale en hongroise, eine Art ungarischer Rhapsodie für Klarinette, die zunehmend dramatische Züge annimmt. Nach der Reprise des A-Teils klingt das ungarische Thema in Dur noch einmal an. Auch das Scherzo stellt seine Andantino-Melodie einem „ungarischen“ Trio in Moll gegenüber. Die Reprise wird dabei überraschend auf wenige Takte verkürzt. Von den fünf Variationen des Finales greift die zweite den magiarischen Tonfall noch einmal auf. Ansonsten führt hier Brahmsens Kunst der „entwickelnden Variation“ zielstrebig zur Reprise des Wellenmotivs und der Schlußtakte des ersten Satzes.

Der traurig-schöne Klang des Fin de siècle liegt über dem 1891 komponierten Klarinettenquintett von BRAHMS. Es war ganz dezidiert auf die Kunst eines Interpreten zugeschnitten: des Soloklarinettisten der Meininger Hofkapelle, Richard Mühlfeld. Ihm schrieben die Zeitgenossen „zauberische Töne“ zu (M. Kalbeck), laut Adolph von Menzel übertraf sein Spiel einer Passage des Brahmsquintetts sogar das der Muse Euterpe.
Innerhalb der Gattungsentwicklung erfüllte Brahms durch sein Quintett, „was Weber und Mozart etwa noch zu thun übrigließen, um durchgehends einen alle Teile befriedigenden Ausgleich zwischen den Bläser- und den Geigenstimmen herzustellen“ (M. Kalbeck). Dies macht gleich der Anfang deutlich: nachdem die Geigen im Duett die beiden Leitmotive des gesamten Quintetts vorgestellt haben – eine kreisende Sechzehntelfigur und ein fallendes Terzmotiv -, spinnt sie die Klarinette über herrlichsten Vorhalten der Streicher aus. Der dabei entstehende pastose Mischklang prägt das Werk insgesamt, wobei erste Violine und Klarinette häufig sogar unisono geführt sind. Andererseits gibt es subtile Dialoge wie die wunderbare Des-Dur-Episode in der Durchführung des ersten Satzes – auch rhythmisch ein Ruhepunkt in der durch dauernde Akzentverschiebung gleichsam gehetzten Agogik des Satzes, die erst in der Coda zum resignierenden Stillstand kommt.
Der langsame Satz in dreiteiliger Liedform enthält in den Außenteilen ein Klarinette-Geigen-Duett von ländlerhafter Schlichtheit, getragen von einem wiederum rhythmisch in sich verschobenen Klanggrund; im Mittelteil schrieb Brahms eine der damals populären Fantasien en hongroise, ein Klarinettensolo über Streichertremolo, das sich von Reminiszenzen ans Zigeunerleben bis zum bekenntnishaften Espressivo steigert.
Das Scherzo ist – wie immer in den späten Werken von Brahms – durch ein Intermezzo ersetzt. Einem gemächlichen D-Dur-Teil folgt ein erneut magyarisch flackerndes Presto, das sich freilich als Mollvariante des ersten Teils entpuppt. Das berühmte Variationenfinale kehrt schon im Thema zu dem Terzmotiv aus dem ersten Satz zurück. Durch die Technik der sog. „entwickelnden Variation“ erreicht Brahms dann auch in Rhythmus und Klang die schrittweise Rückführung zum ersten Satz. Die letzte Variation mündet in dessen erweiterte Coda, die durch mehrere Trugschlüsse den Eindruck eines resignierten Zusammenbruchs nur noch verstärkt