Klaviertrio d-Moll, op. 27 | Kammermusikführer - Villa Musica Rheinland-Pfalz

Vitezslav Novak

Klaviertrio d-Moll, op. 27

Trio d-Moll für Violine, Violoncello und Klavier, op. 27 („Quasi uns ballata“)

Besetzung:

Werkverzeichnisnummer: 3543

Satzbezeichnungen

Erläuterungen

Zwei Komponisten prägten die tschechische Musik in der Generation nach Antonin Dvorak: dessen Schwiegersohn Josef Suk und der aus dem südböhmischen Kamenice nad Lipou stammende Vitezslav Novak. Beide waren Schüler Dvoraks am Prager Konservatorium und den Prinzipien der tschechischen Nationalmusik verpflichtet, wie sie ihr Lehrer vertrat. Sie knüpften an die Volksmusik ihrer Heimat an, öffneten jedoch diesen folkloristisch inspirierten Stil den Errungenschaften der Jahrhundertwende und der frühen Moderne – von den Einflüssen Mahlers bis zu solchen des französischen Impressionismus.

Innerhalb dieses Stilspektrums wird Vitezslav Novak gerne mit zwei Stichworten in Verbindung gebracht: der Folklore der Slowakei und der Brahms-Nachfolge. Nachdem die Quellen der böhmisch-mährischen Volksmusik bereits von Dvorak und Smetana ausgeschöpft worden waren, wandte sich Novak der Slowakei zu. Seit 1896 verbrachte er in Velké Karlovice seine Sommer, wo ihn die walachische Volksmusik in ihrer unverfälschten Frische in ihren Bann zog. Gemeinsam mit seinem Freund Leos Janacek sammelte er in Exkursionen vor Ort, in Mähren, der hohen Tatra und der Slowakei, das überlieferte Material. Manche seiner Kammermusikwerke wie etwa das 1. Streichquartett kann man geradezu als ethnomusikalisches Panorama jener Regionen lesen, die nach 1918 den Osten der neu gegründeten Tschechoslowakei bildeten.

Auf dem internationalen Parkett repräsentierte Novak eine Generation junger Komponisten vor der Jahrhundertwende, die allesamt von Johannes Brahms aufs Podium gehieft wurden. Wie sein Landsmann Josef Suk, wie der Ungar Ernö von Dohnányi und der Wiener Alexander von Zemlinsky erregte auch er mit seiner Kammermusik das Interesse des alten Brahms. Dieser empfahl ihn 1892 an seinen Verleger Fritz Simrock, der Novaks Werke ab dem Klavierquintett Opus 12 herausgab.

Auch in diesem Falle erwies sich Brahms‘ Urteil als weitsichtig: Novak ließ den viel versprechenden Frühwerken eine konsequente Entwicklung hin zum international geachteten Zwischenkriegskomponisten folgen, dessen Werk in großer Sinfonik wie der Herbstsinfonie gipfelte. Die späten Stücke dagegen sind von der Nazi-Diktatur überschattet: Sein De Profundis und das St.-Wenzel-Triptychon von 1941 verstand er als nationalen „Aufschrei“ gegen die deutsche Besetzung seiner Heimat.

Stilistisch orientierte sich Novak ab ca. 1910 in eine Richtung, die man in der Mitte zwischen dem 16 Jahre älteren Janacek und dem fünf Jahre jüngeren Maurice Ravel einordnen könnte. Im Frühwerk um 1900 dagegen ist der Einfluss von Brahms noch spürbar, so auch im d-Moll-Klaviertrio, das er 1901/02 in Prag komponierte. Nach der Uraufführung 1902 mit dem Komponisten am Klavier, dem Geiger Rudolf Reissig und dem Cellisten H. Brodsky erschien es im folgenden Jahr als Opus 27 bei Simrock im Druck. An Brahms gemahnt hier so manche folkloristische Wendung, die die Zigeunerlieder („Hochgetürmte Rimafluten“) ins Gedächtnis ruft, vor allem aber der spätromantische Duktus, verbunden mit intensiver motivisch-thematischer Arbeit.

Was die Form anbelangt, ist Novaks Opus 27 typische Jahrhundertwende-Musik. Er experimentierte hier mit Mehrsätzigkeit in der Einsätzigkeit – wie Arnold Schönberg in seinem Streichsextett Verklärte Nacht von 1899 oder Zemlinsky in seinem Klarinettentrio von 1896. Vier Sätze gehen unmittelbar ineinander über und repräsentieren die Charaktere von langsamer Einleitung, Allegro-Hauptsatz, Scherzo und Finale. Was sich hinter diesem hypertrophen 20-minütigen Satz zu verbergen scheint, ist – wie in den genannten Wiener Werken um 1900 – eine tragische Geschichte. Der Untertitel Quasi una ballata und das Andante tragico, mit dem das Trio anhebt, suggerieren eine bewegte Erzählung in Tönen, eine Art „Symphonische Dichtung“ in kammermusikalischer Besetzung. Dass Novak von „Ballade“ sprach, verweist auf die mündlich tradierten Balladen ds Volkes. Man darf an eine in den Wäldern der Walachei spielende düstere Erzählung von Liebe und Eifersucht denken – mit durchaus erotischen Untertönen. Novaks Zeitgenosse R. Vesely attestierte dem Komponisten einen Hang zu unverhohlener Erotik in seiner Musik: „verträumt, leidenschaftlich oder halbironisch; und wenn es nicht seine Beziehung zu den Frauen war, die seine Kreativität beflügelte, dann war es die Natur.“

Es muss dem Hörer selbst überlassen bleiben, sich das erotische Drama zu den Noten von Novaks Opus 27 auszumalen, denn ein Programm hat der Komponist dem Werk nicht mitgegeben. „Die Form ist rhapsodisch; in den großzügig angelegten einzigen Satz des Werkes, der seine dynamische Spannung aus der Gegenüberstellung eines Andante tragico mit einem leidenschaftlichen Allegro bezieht, ist als Mittelepisode ein extravagantes Scherzo (Allegro burlesco) mit kapriziösen Zügen eingeflochten.“ (Claus-Christian Schuster)