Toccata D-Dur für Cembalo BWV 912
Werkverzeichnisnummer: 3381
Presto – Allegro – Adagio – (Andante) – Fuga
2004
J. S. BACH
Toccata D-Dur
Als Bach noch nicht der Herr über eine Hofkapelle aus erlesenen Cammer-Musici von fürstlichen Gnaden war, blieb er mit seiner unvergleichlichen Virtuosität oft allein auf weiter Flur. Der junge Virtuose, dem man schon auf seinem ersten Organistenposten in Arnstadt fast das doppelte Gehalt seines Vorgängers zahlte, obwohl er erst 18 Jahre alt war, wusste um die Geläufigkeit seiner Finger und um sein „flüchtiges wie künstliches“ Spiel. Außer in den frühen Orgelwerken hat er diese Qualitäten auch am Cembalo systematisch ausgekostet, und zwar im Zyklus seiner sieben Toccaten. Diese heute selten gespielten Virtuosenstücke des jungen Bach stehen zu Unrecht im Schatten seiner Cembalosuiten, des Wohltemperierten Claviers und der Goldbergvariationen. An Brillanz können sie sich mit den späteren Stücken durchaus messen, an formaler Feiheit sind sie ihnen überlegen, wenn auch in jugendlich-ungestümer Weise.
Toccata (von italienisch toccare, berühren) nannte man ein Stück für Tasteninstrumente, das zwischen virtuosem Laufwerk und freiem Flug der Fantasie einerseits, gebundenem Stil und Fuge andererseits die Mitte hielt. Die D-Dur-Toccata, BWV 912, beginnt mit stürmischen Läufen und gebrochenen Dreiklängen. Darauf folgt ein erstes Fugato, dessen Thema mit seinen burschikosen Sextsprüngen an italienische Violinmusik erinnert. Ein eingeschoebenes Adagio bringt punktierte Rhythmen und bizarre akkordische Triller, worauf ein weiterer fugierter Satz, eine Art freie Doppelfuge in fis-Moll, folgt. Nach einem zweiten expressiven Adagio folgt endlich die eigentliche Fuge, deren wirbelndes Thema im Rhythmus einer Giga aus einer Violinsonate von Corelli stammen könnte. 150 Takte lang fegte der 20jährige Bach in diesem um 1705 komponierten Stück über die Tasten – zum Staunen seiner braven Arnstädter Zuhörer.
2000
JOHANN SEBASTIAN BACH Toccaten in e und D
Die erste Form italienischer Cembalomusik, die Bach systematisch in eigenen Kompositionen reflektierte, war die Toccata. Ursprünglich nicht mehr als ein loses Gebilde aus improvisatorischem Laufwerk (von italienisch toccare, also die Tasten berühren, die Finger über die Tasten laufen lassen), entwickelte sich die Toccata unter den Händen deutscher Meister wie Froberger zu einer mehrteiligen, „organisierten“ Form, in der kurze fugierte Abschnitte und freie Teile einander ablösen, häufig von einer längeren Fuge gekrönt.
Eben diesen Aufbau zeigen auch die sieben Toccaten, die Bach als junger Organist im thüringischen Arnstadt 1703-1707 und wenig später in seinen ersten Dienstjahren als Hoforganist in Weimar 1708-ca. 1712 schrieb. Ihre Überlieferung in einigen wichtigen Quellen des Bachschen Frühwerks, u.a. im sogenannten Andreas Bach-Buch und in der Möllerschen Handschrift, gibt uns Anhaltspunkte für die frühe Datierung.
Im Falle der D-Dur-Toccata sprechen die Indizien für eine sehr frühe Entstehung. Wir hören hier die Aufzeichnung einer Improvisation, wie sie der 20jährige Bach gespielt hat, ganz Virtuose und doch auch schon ein junges Genie des formalen Aufbaus. Hier beginnt er mit einem „Show-Effekt“, einem feurigen Lauf plus Fanfaren-Dreiklängen, den er wenig später auch auf der Orgel (D-Dur-Präludium BWV 532) verwendete. An das virtuose Exordium schließt sich ein konzertierender Abschnitt an, die Imitation eines Streicherconcerto, daran zwei freie rezitativische Teile, die ein Doppelfugato in fis-Moll umschließen. Am Ende hat Bach seinen Fingern in einer Giga, einem italienischen Tanzsatz aus virtuosen Triolen, freien Lauf gelassen, freilich in Fugenform, wenn auch einer sehr freien, die noch wenig von der Strenge späterer Bachfugen ahnen lässt.
Die e-Moll-Toccata lebt im Prinzip von der gleichen Dramaturgie, ist aber im Stil reifer und wohl auch später entstanden. Nach einem Präludium über ein obligates Motiv im Bass folgt zunächst wieder ein Doppelfugato, dann ein äußerst expressives Adagio, das zu den eindrucksvollsten Passagen in Bachs Frühwerk gehört. Die Schlussfuge mit ihrem Laufthema mutet nicht nur italienisch an, sie ist in einer Quelle sogar einem italienischen Komponisten zugeschrieben, von dem sich Bach hier möglicherweise hat inspirieren lassen.