Trio H-Dur für Klavier, Violine und Violoncello, op. 8 (Urfassung von 1854)
Werkverzeichnisnummer: 2993
1. Allegro con moto
2. Scherzo. Allegro molto – Trio. Meno Allegro
3. Adagio non troppo
4. Finale. Allegro molto agitato
Nach dem frühen Versuch einer zweisätzigen Fantasie in d-Moll für Klaviertrio komponierte Brahms sein erstes viersätziges Klaviertrio in H-Dur im Januar 1854. Es ist heute, abgesehen vom Scherzo der FAE-Sonate, sein frühestes erhaltenes Kammermusikwerk. Die Klaviertrio-Fantasie, die er selbst kurze Zeit für sein Opus 1 erwog, das frühe h-Moll-Streichquartett, das Schumann als Opus 1 seines Schützlings ausersehen hatte, und die a-Moll-Violinsonate, die Brahms noch im Dezember 1853 als Opus 5 hatte publizieren wollen, wurden von ihm sämtlich vernichtet. So bleibt uns nur das H-Dur-Trio als authentisches Zeugnis für den frühen Kammermusik- Meister Brahms.
Noch über 30 Jahre nach seiner Entstehung hingen die engsten Freunde von Brahms wie Clara Schumann oder die Herzogenbergs mit ganzem Herzen an diesem frühen Trio, so dass sie eher unangenehm überrascht waren, als Brahms ihnen 1889 eröffnete, er werde es anlässlich einer notwendigen Neuauflage grundlegend überarbeiten, weil er es für ein allzu langes und ungeschicktes Jugendwerk halte. Als ihnen dann 1890 diese überarbeitete Fassung ins Haus flatterte, konnten sie sich nur schwer damit anfreunden, so groß war noch immer der Zauber des originalen Opus 8.
Heute hat die späte Fassung die frühe fast völlig verdrängt; als „Opus 8“ von Brahms erklingt auf den Konzertpodien fast nur die Version von 1889, die auch manchem Hörer unserer Konzerte vertraut sein dürfte. Es liegt nahe, die frühe Version von der späten aus zu beschreiben, um ihren eigenen Reiz, aber auch ihre Schwächen zu begreifen.
Der erste Satz beginnt in beiden Fassungen mit dem herrlichen Hauptthema, der vielleicht genialsten melodischen Eingebung des frühen Brahms. Der weite Bogen des Themas, das sich quasi in konzentrischen Kreisen entfaltet, die Harmonisierung in Sextparallelen und der wundervolle Klang machen diesen Anfang zu einem „Locus classicus“ von Kammermusik überhaupt. Freilich musste Brahms in einem Detail seinem Freund Joseph Joachim nachgeben: Der berühmte Geiger hasste es, in einem Kammermusikstück zu Beginn zu lange auf seinen Einsatz warten zu müssen. Ursprünglich hatte Brahms das ganze Hauptthema von Klavier und Cello alleine vortragen und die Geige erst danach einsetzen lassen wollen. Auf Wunsch Joachims fügte er die kleinen melodischen Einwürfe ein, die er in der Spätfassung natürlich wieder ausmerzte!
Der entscheidende Bruch des Satzes ereignet sich nach dem grandiosen Aufschwung des ersten Themas. Wie Sir Donald Torvey in einer hellsichtigen Analyse bemerkte, wusste der frühe Brahms offenbar nicht, wie er den langen Atem dieses in sich ruhenden Themas in der Überleitung in solche Rhythmen transformieren sollte, die dem Satz den Impuls zur weiteren Entwicklung verleihen konnten. Fragmentierung war seine Antwort auf dieses Problem, und so hört man als Überleitung und zweite Themengruppe lauter Motivfragmente: kleine Seufzermotive und Klangarabesken im Klavier, das klagende Seitenthema des Klaviers im Unisono der beiden Hände, schließlich ein Solo der linken Hand mit einem Thema von pseudo-bachischer Chromatik, das später vom Cello alleine augegriffen wird.
Dass dieser Nachsatz für eine Fuge gedacht ist, kann man gleich beim ersten Mal hören, doch folgt die notwendige fugierte Auflösung erst in der Reprise! In der Exposition schließt sich daran das dritte Thema an, das recht unvermittelt, trotz motivischer Beziehung zum Fugenthema, als heiterer schubertscher Tanz erscheint. Die Gegensätze dieser unorganischen Exposition hat der junge Brahms nicht zur Einheit binden können. 1889 strich er einfach alles, was auf das Hauptthema folgte und komponierte den Satz praktisch neu.
In der Frühfassung ist auch die Durchführung des Kopfsatzes merkwürdig unbestimmt. Über einem unruhigen Klanggrund des Klaviers wird das Seitenthema entwickelt, dann ein weiteres arabeskes Durthema von marginaler Bedeutung eingeführt und mit dem dritten Thema kontrapunktisch verarbeitet. Der Einsatz der Reprise löst die Unsicherheit, und das endlich eintretende Fugato des Seitenthemas bereitet die letztlich doch grandiose Schluss-Steigerung vor.
Es spricht für die Qualität das an zweiter Stelle stehenden Scherzos in h-Moll, dass es Brahms 1889 praktisch ohne Änderungen übernahm. Das gespenstische Pianissimo-Thema, vom Cello angestimmt und vom Klavier mit Hornquinten harmonisiert, durchzuckt den ganzen Satz, der eine Hommage des jungen Brahms an den „Gespenster-Hoffmann“, zugleich aber auch an Scherzosätze von Franz Schubert ist. Letzteres wird besonders im Trio mit seinem jovialen Ländlerthema deutlich. Nur in der Frühfassung findet sich der originelle Pizzicato-Schluss des Satzes.
Im Adagio liegen die Verhältnisse ähnlich wie im ersten Satz: In der Spätfassung übernahm Brahms das Hauptthema, ersetzte aber die Episoden. Der Satz beginnt mit einem Klaviergesang in H-Dur von unendlicher Ruhe, auf den die Streicher mit zaghaften Duetten antworten. Dieser Wechselgesang zwischen einem imaginären Chor (Klavier) und zwei Solisten (Violine/Cello) wiederholt sich in der Frühfassung zweimal mit neuen Figurationen. Dazwischen stehen zwei Couplets: das erste ein Lied für Klavier, von den Streichern pizzicato begleitet, das zweite ein dramatischer Allegroeinschub. Die erste Episode ist nicht nur stilisiertes Lied, sondern ein Liedzitat: „Am Meer“ aus Schuberts Schwanengesang. Natürlich tilgte der spätere Brahms diese allzu offensichtliche Anspielung auf sein Idol Schubert. Die beiden von Brahms eliminierten Couplets enthalten so viel Schönes, dass sie allein die Aufführung der Urfassung rechtfertigen.
Auch im Finale, das wiederum in h-Moll steht, hat Brahms in die Spätfassung im wesentlichen das unruhig vagierende Hauptthema übernommen, dagegen zweites Thema und Überleitungen durch neue ersetzt. Auch hier verbirgt sich hinter dem herrlichen Cello-Seitenthema ein Liedzitat: Es ist Beethovens Lied „So nimm sie hin denn, meine Lieder“ aus dem Zyklus An die ferne Geliebte, ein Thema, das bereits Robert Schumann in seiner Klaviermusik zitiert hatte (C-Dur-Fantasie, op. 17). Dem späteren Brahms waren solche literarisch-musikalischen Anspielungen eher peinlich. Auch sie fielen seinem rigiden Rotstift zum Opfer. Erst die Aufführung der Urfassung macht deutlich, wie sehr dieses Werk ursprünglich von solchen für den frühen Brahms typischen Romantizismen geprägt war – „ungebremste Herzenssprache“ geht hier, wie es Andreas Pecht formulierte, „vor kompositorischem Reglement“.