Septett E-Dur "Aus meinem Leben" | Kammermusikführer - Villa Musica Rheinland-Pfalz

Joseph Miroslav Weber

Septett E-Dur "Aus meinem Leben"

Septett für Klarinette, zwei Hörner, Fagott und Streichtrio „Aus meinem Leben“

Besetzung:

Werkverzeichnisnummer: 2945

Satzbezeichnungen

1. An den Ufern der Moldau – Jugendträume

2. Studienzeit – Lebensideale

3. An den Gräbern seiner Lieben

4. Im Kampfe ums Dasein – Getäuschte Hoffnungen – Jugenderinnerungen

Erläuterungen

VERGESSENE ROMANTIKER
Joseph Miroslav Weber und Ferdinand Thieriot? In den wenigsten Musiklexika sind ihre Namen zu finden, Kammermusikführer (außer dem alten Cobbett Guide) verzeichnen sie schon gar nicht. Moderne Notenausgaben? Fehlanzeige. Das Mithras Oktett aus Saarbrücken macht unser verehrtes Publikum mit zwei Außenseitern des Repertoires bekannt, die ihr Schattendasein neben Brahms und Dvorák nicht verdient haben.
Ferdinand Thieriot war Hamburger wie der fünf Jahre ältere Brahms und diesem freundschaftlich verbunden, Joseph Miroslav Weber gehörte fast schon zur Generation Gustav Mahlers, schrieb aber im Stil Dvoráks, mit dem man seine Werke seinerzeit auf eine Stufe stellte. Warum sie vergessen sind? Weil Thieriot unspektakulär und solide ein Leben als Dirigent und Komponist in Graz, Hamburg und Leipzig führte, nicht den Anspruch erhebend, ein zweiter Brahms zu sein, aber dessen Stil bis ans Lebensende treu verbunden. Und weil in Webers Karriere als Geiger und Kapellmeister nicht alle Blütenträume reiften. Das Mithras Oktett erzählt von den Lebenslinien dieser beiden Meister, passend zum Saisonmotto der Villa Musica: Lebenslinien.
Dass so viele Romantiker der zweiten Garde vergessen sind, ist auch eine Folge des Musikbetriebs. Die Generation von Brahms war besonders reich an Talenten, die sich im kammermusikalischen Bereich entfalteten. Zu nennen sind etwa der Grazer Heinrich von Herzogenberg, der Wormser Friedrich Gernsheim oder eben Thieriot und Weber. Bis heute interessieren sich aber nur wenige Ensembles für ihre Quartette, Quintette und größer besetzten Kammermusiken, praktisch keine Solisten für ihre Violinsonaten und Konzerte. Vermeintlich zweitrangig werden sie gegen Brahms, Dvorák und Tschaikowsky abgewertet, Makulatur für die Musikhistoriker.
Das Mithras Oktett beschreitet einen anderen Weg. Es hat in seiner Konzertkarriere immer wieder das Besondere gesucht, Werke zu Unrecht Vergessener im Konzertsal und auf CD vorgestellt. Für ihre Einspielungen mit Werken von Thieriot und Conradin Kreutzer etwa erhielten die Saarbrücker Musiker von der internationalen Fachpresse beste Noten. Auch die Septette und Oktette von Peter von Winter, Friedrich Witt, Adolphe Blanc, Max Bruch, Franz Berwald wären zu nennen. Doch zunächst zu unseren beiden Komponisten.
AUS MEINEM LEBEN von Joseph Miroslav Weber
Der Titel ist bekannt, doch nicht von Joseph Miroslav Weber. Aus meinem Leben nannte Bedrich Smetana sein zweites Streichquartett e-Moll, eine bittere, von tragischen Tönen bestimmte Lebensrückschau. Sein Prager Kollege Weber griff den Gedanken in seinem 1896 komponierten Septett E-Dur auf. Anstelle der üblichen Tempobezeichnungen Allegro, Adagio etc. lesen wir Überschriften wie Jugendträume oder Lebensideale. Das macht neugierig auf den Komponisten
Weber wurde 1854 in Prag geboren. Ganz im Sinne der böhmischen Musikertradition wurde er von seinem Vater, einem Dirigenten und Musiklehrer, ausgebildet und konnte schon als 10jähriger dem österreichischen Kaiser vorspielen. Schon mit 19 hatte er seine Ausbildung am Prager Konservatorium abgeschlossen und war in der Lage, sich um Geigerstellen in Orchestern zu bewerben. Es verschlug ihn ins Rhein-Main-Gebiet: 1875 wurde er Konzertmeister in Darmstadt, 1883 in Wiesbaden, schließlich 1889 ebenda zweiter Kapellmeister. Als Konzertmeister hat er zweifellos die 1883 in Wiesbaden vollendete Dritte Sinfonie von Brahms im dortigen Orchester gespielt, wie die hessische Kurstadt überhaupt in Folge der Besuche preußischer Prominenz zu den Musikzentren Europas avancierte. Entsprechend ambitioniert ging Weber ans Werk: 1884 brachte er am heutigen Staatstheater Wiesbaden sein Tanzmärchen Die Rheinnixe heraus, noch im selben Jahr seine komische Oper Der selige Herr Vetter.
Sein drittes Bühnenwerk, Die neue Mamsell, wurde 1894 in München uraufgeführt. Weber war einem Ruf als Geiger ins Münchner Hoforchester gefolgt, dessen wagnerische Klangkultur er ab 1901 als erster Konzertmeister lenkte. Vom Prinzregenten Luitpold wurde er für seine Verdienste um das bayerische Musikleben zu seinem 50. Geburtstag mit der Ludwigsmedaille ausgezeichnet, knapp zwei Jahre, bevor er am Neujahrstag 1906 einem Schlaganfall erlag.
Angesichts des tragischen Endes mutet sein Septett Aus meinem Leben fast prophetisch an, doch bleibt zumindest der Zeitpunkt merkwürdig: Weber war erst 42, als er das Werk schrieb. Nach Walter W. Cobbett wurde es 1896 mit dem Kammermusikpreis der Wiener Tonkünstlersozietät ausgezeichnet und 1899 beim Münchner Verlag Aibl gedruckt.
In der Hälfte des Lebens ein so bitteres Resümee zu ziehen, erscheint merkwürdig und passt nicht so recht zu den bekannten Fakten von Webers Biographie. Hinter seiner rastlosen Tätigkeit als Geiger und Kapellmeister kommen freilich enttäuschte Hoffnungen zum Vorschein. Die Karriere als Opernkomponist brach er nach 1894 ab, auf die Kapellmeisterstelle in Wiesbaden folgte keine weitere Dirigentenposition. Als Komponist blieb Weber so sehr im Schatten bekannterer Namensvettern, dass er manche seiner Werke sogar im Selbstverlag herausbringen musste.
Dies alles, verbunden mit privaten Rückschlägen, mag in ihm das Bedürfnis nach einem Werk Aus meinem Leben geweckt haben. Freilich darf man dies auch auf den Zeitgeist zurückführen, die Aura jener von Programmmusik gleichsam überwucherten Epoche der Jahrhundertwende. Arnold Schönberg schilderte in Bezug auf sein Streichsextett Verklärte Nacht von 1899 eindringlich die Atmosphäre jener Zeit, in der jüngere Komponisten die sinfonische Dichtung im Gefolge von Liszt und Richard Strauss auf die Kammermusik zu übertragen versuchten. Auf diese Bestrebungen ist auch Webers Septett zu beziehen.
Weber griff zwei Lieblingsthemen jener Zeit auf: der Künstler in seinem Ringen um Anerkennung und der Mensch in seinen Lebensphasen. Vorbilder waren Liszts sinfonische Dichtung Von der Wiege bis zum Grabe sowie Tod und Verklärung von Strauss. Für Weber als Tschechen war ferner natürlich das zweite Quartett von Smetana entscheidend, was sich auch in der Formgebung zeigt. Anders als Liszt und Strauss übertrug Weber, wie Smetana, seine Lebensgeschichte in vier Bildern auf die vier Sätze eines Kammermusikwerkes: Sonatenallegro mit Einleitung, Scherzo, Adagio, Finale. Den üblichen Satzcharakteren passen sich die Überschriften der vier Sätze zwanglos an. An den Ufern der Moldau eröffnet das Werk als Stimmungs- und Naturbild, aus dem im ersten Satz die Jugend-träume des Helden erwachsen. Im zweiten Satz weichen sie dem Elan der Studienzeit mit ihren Lebensidealen. Das Adagio ist ein Trauergesang auf die Verstorbenen (An den Gräbern seiner Lieben), im Finale hören wir einen Tschaikowsky-haften Kampf ums Dasein, dann Getäuschte Hoffnungen, schließlich Jugenderinnerungen mit dem üblichen thematischen Rückgriff auf Früheres.
In der Besetzung fällt die Dominanz der Bläser auf: mit Klarinette, Fagott und zwei Hörnern überwiegen sie gegenüber Violine, Viola und Cello. Stilistisch steht das Septett der Musik Antonin Dvoráks nahe, wie überhaupt Webers Kammermusik von Kritikern seiner Epoche beinahe auf eine Stufe mit der Musik Dvoráks gestellt wurde. Dies gilt neben dem Septett besonders für das 1898 in Prag ausgezeichnete D-Dur-Streichquintett mit zwei Celli und für die beiden Streichquartette. Auch bei diesen Werken würde sich eine Ausgrabung im Konzertsaal lohnen.