“In darkness let me dwell”
Werkverzeichnisnummer: 2921
“To see, to touch, to kiss, to dye in sweetest sympathy”, heißt es in John Dowlands berühmtem Lied Come again. Deutlicher ist die Steigerung Stufe um Stufe hin zum Höhepunkt erotischer Ekstase in der englischen Musik kaum jemals ausgedrückt worden. Man könnte meinen, Dowland sei mit Shakespeare eines Sinnes gewesen, wenn es um die Liebe ging. Das Gegenteil war der Fall.
Semper Dowland, semper dolens – “Immer Dowland, immer in Schmerzen” hat Dowland selbst eine seiner Pavanen für Laute genannt, denn er war ein tief melancholischer Charakter. Elizabethan Melancholy nennt man dieses Phänomen, eine Versenkung in die Vergänglichkeit alles Irdischen, die von den englischen Adligen der elisabethanischen Zeit gleichsam als ästhetisches Prinzip geübt wurde. Etwas davon steckt auch in Dowlands Liedern, doch seine Melancholie hatte viel tiefere biographische Gründe. Obwohl er anerkanntermaßen der virtuoseste Lautenist seiner Zeit war und schon als junger Mann vor der Königin spielte, hat Elisabeth I. ihm den Posten eines Hoflautenisten lebenslang verweigert. Erst im hohen Alter erhielt Dowland diese Stelle von ihrem Nachfolger James I. Diese Tatsache allein vergellte Dowland das Lebensglück. Warum die Königin unnachgiebig war, wissen wir nicht. Es könnte daran gelegen haben, dass Dowland offen bekennender Katholik war, oder dass er in einen Skandal verstrickt war, was Königinnen normalerweise nicht verzeihen. Jedenfalls verließ Dowland aus Gram über die abgelehnte Bewerbung England und verdingte sich bei verschiedenen Fürsten auf dem Kontinent als Hoflautenist. Besonders gefördert wurde er von Markgraf Moritz von Hessen in Kassel und vom Dänenkönig Christian IV., der damals ja auch halb Norddeutschland beherrschte. Von Hessen bzw. Dänemark aus betreute Dowland den Druck seiner Lautenlieder in England. Sie waren bald überaus erfolgreich und wurden auch von Dichtern als “Vermählung von Musik und süßer Poesie” gefeiert.
“Tränen” waren Dowlands Markenzeichen auch auf dem Kontinent. Als er um 1600 in Nürnberg sich ins Gästebuch eines Freundes einschrieb, signierte er mit “Johannes Dolandi de Lacrimae”, also John Dowland “von den Tränen”. Es ist eine Anspielung auf die Sammlung Lacrimae oder sieben Tränen ausgedrückt in sieben tief empfundenen Pavanen. Wir hören die erste dieser Pavanen in der Fassung als Lied “Flow my tears”. Liest man den Text lesen, hat man sozusagen die Lebensphilosophie von Dowland vor sich: die unversöhnliche Trauer eines Mannes, der trotz aller Ehren, die ihm zuteil wurden, nie glücklich wurde. Diese erste Lacrimae-Pavane bzw. ihr Anfang, das Motiv der fallenden Träne, war im 17. Jahrhundert so berühmt wie 350 Jahre später das Yesterday der Beatles. Cum grano salis bewegen sich die beiden Themen auf der gleichen Ausdrucksebene: british Melancholy.
“Sorrow stay” und “In darkness let me dwell” sind ebenso ergreifende “Songs of darkness” wie “Flow my tears”. Diana Poulton, die 1972 eine Dowland-Biographie veröffentlichte, hat sie anschaulich beschrieben: “In dem größten seiner Lieder, In darkness let me dwell, befreite sich Dowland von fast allen Konventionen seiner Zeit. Die seltsame und schöne Melodie entsteht aus den Worten mit einem Gefühl von Unausweichlichkeit, während die Erfordernisse des Sprachryhtmus die gewöhnlichen Takt grenzen überschreiten. Beißende Dissonanzen der Laute verstärken die Tragödie in den Worten, und Akkorde mit übermäßigen und verminderten Intervallen werden benutzt, um emotionale Intensität in einem Grade auszu-drücken, der in dieser Zeit unübertroffen ist.”