"FAE-Sonate" | Kammermusikführer - Villa Musica Rheinland-Pfalz

Albert Dietrich/ Robert Schumann/ Johannes Brahms

"FAE-Sonate"

Sonate für Violine und Klavier, “FAE-Sonate”
(F.A.E. – In Erwartung der Ankunft des verehrten und geliebten Freundes Joseph Joachim)

Besetzung:

Werkverzeichnisnummer: 2535

Satzbezeichnungen

1. Allegro (von Dietrich)

2. Intermezzo. Bewegt, doch nicht zu schnell (von Schumann)

3. Scherzo. Allegro (von Brahms)

4. Finale. Markiertes, ziemlich lebhaftes Tempo (von Schumann)

Erläuterungen

Der von Robert Schumann geschriebene Titel sagt schon fast alles über diese Violinsonate aus, die zu den berühmtesten Zeugnissen für den Freundschaftskult der Romantik gehört:

F.A.E.
In Erwartung der Ankunft des
verehrten und geliebten
Freundes
Joseph Joachim
schrieben diese Sonate
Robert Schumann,
Albert Dietrich
und Johannes Brahms.

Am 14.10.1853 traf, früher als erwartet, der ungarische Geiger und Brahmsfreund Joseph Joachim in Düsseldorf ein. Er sollte dort ein Konzert mit Orchester und eine Soirée mit Clara Schumann geben, Seine Freunde Dietrich, Brahms und Schumann beschlossen, ihn dieserhalb mit einer gemeinsamen Sonate zu überraschen. Am 15.10. notierte Schumann in seinem Haushaltsbuch “Idee zu einer Sonate für Joachim”. Die Idee bestand in einem musikalischen Spiel mit einem Motto aus drei Tonbuchstaben, das der Sonate ihren heute noch gebräuchlichen Namen gab: FAE. Die Dreitonfolge leiteten die Freunde aus Joseph Joachims Lebensmotto Frei, aber einsam ab und legten es allen vier Sätzen des Werkes zugrunde.

Dietrich komponierte den ersten Satz, Schumann den zweiten und vierten, also Adagio und Finale, Brahms das Scherzo. Während letzteres das Motto nur anklingen lässt, verwendeten Dietrich und Schumann es in ihren Sätzen regelrecht als Thema. Brahms sollte freilich auf dieses Dreitonmotto in seinem späteren Werk noch häufig zurückgreifen, etwa im a-Moll-Streichquartett oder im G-Dur-Streichquintett, beide für Joachim und sein Quartett geschrieben.

Das Brahms-Scherzo war der erste Satz der FAE-Sonate, der veröffentlicht wurde: 1906, 53 Jahre nach der Entstehung! Es vergingen noch einmal fast drei Jahrzehnte, bis das komplette Werk 1935 gedruckt erschien. Auch heute noch ist es in den Konzertsälen eine Rarität – wie so viele Gemeinschaftskompositionen der Musikgeschichte.

Albert Dietrich, vier Jahre älter als Brahms und im Gegensatz zu ihm ein regelrechter Schüler von Schumann, trat mit seinem ersten Satz in die Fußstapfen seines Lehrers: Das a-Moll-Allegro ist den Kopfsätzen der Violinsonaten Schumanns eng erwandt und zitiert an einer Stelle sogar dessen Oboenromanzen. Das FAE-Motto wird zu Beginn über einem romantisch drängenden Klanggrund des Klaviers in ein gesangliches Violinthema verwandelt. Ein typisch schumannsches Seitenthema in Dur gibt den Instrumenten Gelegenheit zu innigem Dialog, worauf das Hauptthema in kraftvollem Dur wiederkehrt. Der ganze Satz lebt vom Charaktergegensatz zwischen drängendem Moll- und strahlendem Durgestus, der aus dem Hauptthema entwickelt und am Ende zur Apotheose geführt wird. Das kraftvolle neue Thema in der Durchführung gehört zu seinen originellsten Zügen.

Schumanns Andante gibt sich weit unprätentiöser als Dietrichs Allegro, ein “Lied ohne Worte” von innigster Verwebung der beiden Instrumente.

Das c-Moll-Scherzo von Brahms schlägt danach wild-gespenstische Töne en. Sie werden durch die Signatur des Satzes erklärt: Brahms zeichnete ihn mit “Johs. Kreisler jr. Düsseldorf im Oct. 53.” In den Jahren 1853/54 war dieses Johannes Kreisler junior das Alter ego des jungen Brahms, der sich mit E.T.A. Hoffmanns Romanfigur des Kapellmeister Johannes Kreisler derart identifizierte, dass er sich selbst zum “Kreisler junior” stilisierte. Im Scherzo der FAE-Sonate ist der unstete Geist des nervösen, reizbaren Künstlergenius Kreisler bis hin zum hymnischen Schluss allgegenwärtig. Dabei benutzt der Satz auf höchst raffinierte Weise das Hauptthema des ersten Satzes von Dietrich und somit indirekt das FAE-Motto. Im c-Moll-Hauptteil erscheint Dietrichs Thema zunächst transponiert nach As, dann in der Originallage in a-Moll, später modulierend nach fis und wieder in der Rückleitung aus dem lyrisch-verhaltenen Trio in die Reprise des Hauptteils.

Der Finalsatz von Schumann leidet wie viele späte Finali des Komponisten unter seiner rhythmischen Eintönigkeit. Dennoch fand ihn Schumann so bedeutend, dass er ihn zusammen mit dem Andante zur Grundlage seiner dritten Violinsonate machte, indem er einen Kopfsatz und ein Scherzo hinzufügte. Wie die FAE-Sonate blieb auch dieses aus ihr entwickelte Schumannstück bis vor wenigen Jahren ungedruckt.