Chacony in g
Werkverzeichnisnummer: 2364
FANTASIEN heißen in manchen Quellen auch Purcells Grounds (d. h. Stücke mit ständig wiederkehrendem Grundbaß), von denen in unserem Konzert die g-Moll-Chacony erklingt. Sie ist berühmt wegen ihrer genialen harmonischen Deutung des italienischen Ciaccona-Basses. Als adäquates Präludium erklingt davor die ebenfalls stark chromatische g-Moll-Pavane für drei Violinen und Continuo.
2001
Chacony
Die “sweet dissonance” war das Hauptmerkmal der englischen Streichermusik – süße Dissonanz deshalb, weil sie, wie der Pfeil Amors, Schmerzen auslöst, die uns zugleich beglücken. Kein Stück könnte dies grandioser illustrieren als die Chacony für zwei Violinen, Viola und Basso continuo von Purcell. Seit den 1950er-Jahren gehört sie zu den Lieblingsstücken der Kammerorchester (editorisch fragwürdig gekoppelt an die g-Moll-Pavane), doch erst in der solistischen Streicherfassung und mit dem Applomb des Chaconne-Rhythmus versehen, entfaltet sie ihren ganzen Zauber.
Obwohl Purcell sein Leben lang Chaconnes schrieb, strebte er in diesem Stück nach einer übergreifenden Synthese, wie es später auch Bach in seinen wenigen Anwendungen des Chaconne Modells tun sollte (Violin-Chaconne, Kantate BVY’V 78). Ausgangspunkt ist der Rhythmus der Ciaccona, eines ursprünglich aus Spanien bzw. Südamerika stammenden, unanständigen Tanzlieds zu Gitarrenbegleitung, dessen Bass in Dur stand und einen als aufreizend empfundenen Rhythmus hatte. Bis die Chaconne über Süditalien und Paris nach England kam, hatten sich schon etliche andere Elemente dazwischen geschoben: die Doppel-Viertakter” der französischen Ballettchaconne, der vierstimmige Streichersatz, die Molltonart (meist g-Moll) und der Bass der Passacaglia, die sich allmählich mit der Ciaccona vereinte. Dies alles ließ Purcell in seine Chacony einfließen, nur zu dem einen Zweck: ein Stück zu schreiben, das gleichzeitig von unwiderstehlicher rhythmischer Vitalität und kaum noch zu steigernder Dissonanzenfülle ist. Man ist mitgerissen vom Schwung des Rhythmus, vom Bass bis zu den unendlich vielfältigen Oberstimmen, und gleichzeitig zerschmettert vom Affektgehalt der Dissonanzen, die sich in jeder freien Variation des Basses einen neuen Weg zum Herzen des Zuhörers suchen.