Klavierquintett e-Moll, op. 5 | Kammermusikführer - Villa Musica Rheinland-Pfalz

Christian Sinding

Klavierquintett e-Moll, op. 5

Quintett e-Moll für Klavier, zwei Violinen, Viola und Violoncello, op. 5

Besetzung:

Werkverzeichnisnummer: 1831

Satzbezeichnungen

1. Allegro ma non troppo

2. Andantino

3. Allegretto scherzando

4. Allegro vivace

Erläuterungen

Das Klavierstück Frühlingsrauschen machte Christian Sinding unsterblich, doch von seinen Sinfonien und Klavierkonzerten hört man heutzutage in Konzertsälen und im Radio kaum eine Note – auch nicht in Sindings Heimat. Denn der große Komponist, der vom norwegischen Staat für seine Verdienste eine lebenslange Rente bezog, ließ sich von den Nationalsozialisten überreden, kurz vor seinem Tod 1941 in die Nazi-Partei Norwegens einzutreten. Es war offenbar eine gezielte Propagandaaktion auf Kosten des Komponisten, der schon seit Jahren an Altersdemenz litt. Dennoch fiel Sindings Werk damit nach dem Krieg unter den Bann der norwegischen Kulturstellen. Der Meister wurde in der eigenen Heimat totgeschwiegen. Erst in den letzten Jahren interessieren sich Orchester in Skandinavien und andernorts wieder mehr für seine üppigen Orchesterwerke.

Für den Sohn eines Bergbauingenieurs aus der norwegischen Provinz war es ein steiniger Weg bis zur Verwirklichung seiner musikalischen Träume. Seine drei Brüder hatten sich auf dem Umweg über das Jurastudium ihren Traum vom Dasein als Maler, Bildhauer und Schriftsteller erfüllt. Seine eigenen schulischen Leistungen aber waren so schwach, dass man ihn zu einem Schuster in die Lehre schicken wollte. Er wählte stattdessen eine Lehrstelle in einer Klavierfabrik und blieb so der geliebten Musik treu. Nach ersten Erfolgen als Musiker konnte er nach Leipzig zum Studium reisen – wie vor ihm Edvard Grieg. Bei dem konservativen Carl Reinecke absolvierte der Zwanzigjährige sein Studium, bei einem späteren Aufenthalt in München geriet er dagegen in den Bann der Musikdramen Richard Wagners.

1885 in die Heimat zurückgekehrt, konnte Sinding im Dezember jenes Jahres mit einem Konzert in Oslo den ersehnten Durchbruch feiern. Auf dem Programm standen die Alten Weisen nach Gedichten von Gottfried Keller und das Klavierquintett e-Moll, op. 5. Letzteres war das Meisterwerk seiner frühen Jahre, eine gelungene Synthese aus der akademischen Formbehandlung der Leipziger Schule und norwegischen Volksweisen, getragen vom Drang des glühenden Wagnerianers nach expansiver Harmonik und gesteigerter Expressivität.

Das Quintett wurde Sindings frühes Erfolgsstück: Beim Nordischen Musikfest in Kopenhagen 1888 feierte man ihn dafür „wie ein Genie“. Die deutsche Erstaufführung in Leipzig im Folgejahr führte zu einer Kritikerkontroverse, die sein Ansehen noch weiter steigerte. Er war plötzlich – noch vor der Uraufführung seines ersten Klavierkonzerts in Des-Dur (!) und der ersten Sinfonie in d-Moll – zum gefeierten Komponisten geworden. Bis zur Uraufführung seiner Oper Der heilige Berg 1914 blieb ihm dieser Erfolg treu – auch und gerade in Deutschland. Dann aber kamen der Erste Weltkrieg, die unruhigen Nachkriegsjahre und der Nationalsozialismus. Sinding ging für einige Jahre als Professor in die USA und widersetzte sich nach seiner Rückkehr offen allen faschistischen Tendenzen in seiner Heimat – im krassen Gegensatz zu seiner späten „Bekehrung“ durch die Nazi-Propaganda. Über seine Musik waren die Zeitläufte längst hinweggegangen.

Obwohl man ihm nachsagt, sich für den norwegischen „Volkston“ nicht sonderlich begeistert zu haben, trifft dies für das frühe Quintett nicht zu. Norwegische Melodien durchziehen das Werk allenthalben. Eine der schönsten eröffnet den Kopfsatz: eine wehmütige Liedweise im äolischen Kirchenton, vom Klavier in schlichten Oktaven vorgetragen. Die Streicher antworten mit einem bewegten Sechzehntelmotiv, das später – in E-Dur statt e-Moll – dem Finale als Thema dienen wird. Die Wellenbewegung dieses Motivs bildet einen nervösen Kontrapunkt zur Ruhe des Klavierthemas. Später werden die Rollen getauscht: Die Streicher nehmen die norwegische Liedweise auf, das Klavier antwortet mit den Sechzehntelwellen. Sindings sichere Hand für norwegische Themen zeigt sich auch im Seitenthema. Erst kommt es als norwegischer Tanz für Klavier daher, dann als hymnische Streicherweise. Der „frühlingsrauschende“ Quintettklang dieser Passage bestimmt auch die Durchführung. Dort werden die beiden Motive des Hauptthemas mit dem Seitenthema überlagert. Besonders mitreißend wirkt die Coda – als Apotheose des Hauptthemas in strahlendem E-Dur.

Im langsamen Satz stehen sich Streicher und Klavier zunächst unverbunden gegenüber. Wir hören erst ein chromatisches Thema der Streicher (Andante), dann eine liebliche norwegische Weise des Klaviers (Poco meno Andante). Erst danach kommt es zu wunderschönen Klangmischungen, in denen die Themen harmonisch schillernd beleuchtet werden. Kurz vor Schluss wird ein melodramatischer Höhepunkt erreicht (Largamente, con tutta la forza e ben marcato), bevor die Musik in himmlischen Frieden entschwindet (Più lento, con sordino).

Intermezzo ist der dritte Satz überschrieben: ein leichtfüßiger Tanz im hellen G-Dur, kein Scherzo. In großem Bogen dehnt sich die unschuldige Tanzweise zu einer Art Walzerszene, unterbrochen von einem besinnlichen Trio in B-Dur, das seinerseits kraftvoll gesteigert wird. Eine klanglich delikate Überleitung lenkt zum Hauptteil zurück. Sinding, der „Frühlingskomponist“ Norwegens, hat diesen köstlichen Satz entworfen.

Das Finale beginnt im vollen Überschwang der Tonart E-Dur: Kraftvolle Akkorde kündigen das nervöse Wellenthema aus dem Kopfsatz an. Es verleiht dem Satz mitreißenden Elan. Das Seitenthema dagegen strahlt tiefste Ruhe aus: eine norwegische Melodie, vom Klavier im simplen vierstimmigen Satz vorgestellt. Sie wird anschließend variiert, durch die Tonarten geführt und bis zu einem majestätischen Höhepunkt in Fis-Dur über Triolenbewegung gesteigert. In der Durchführung wird das Hauptthema reich modulierend verarbeitet. Im Moment der Reprise erreicht es die größte Emphase. Das äolische Moll des Seitenthemas tritt sanft dazwischen. Nach neuerlicher Steigerung macht die Erregung noch einmal halt, und der Beginn des Quintetts – das norwegische Thema aus dem ersten Satz – kehrt unversehens wieder. Es ist ein besinnliches Innehalten vor der orgiastischen Coda, der Krönung des gesamten Quintetts.

Karl Böhmer