“Märchenerzählungen”. Vier Stücke für Klarinette, Viola und Klavier, op. 132
Werkverzeichnisnummer: 1783
1. Lebhaft, nicht zu schnell
2. Lebhaft und sehr markiert
3. Ruhiges Tempo mit zartem Ausdruck
4. Lebhaft, sehr markiert
Die Märchenerzählungen Opus 132 waren Robert Schumanns vorletztes Kammermusikwerk. Ihre Entstehung und ihre ersten Aufführungen waren auf teils glückliche, teils tragische Weise mit den letzten Monaten seines Düsseldorfer Wirkens verknüpft. Ende September 1853 stellte sich beim Ehepaar Schumann in Düsseldorf ein junger Musiker aus Hamburg mit einem „Johanneskopf“ und langem blonden Haar vor: Johannes Brahms. Er war dem berühmten Ehepaar schon von zwei gern gesehenen Gästen im Hause Schumann angekündigt worden: von dem genial begabten Geiger Joseph Joachim und von Albert Dietrich. Dieses Dreigestirn junger Musiker beflügelte Schumann zu einem Schaffensrausch, der in wenigen Oktobertagen gleich drei neue Opera entstehen ließ.
In nur drei Tagen waren die “Märchenerzählungen” vollendet (9.-11. 10.). Darauf folgten die “Gesänge der Frühe”, sein letzter Klavierzyklus Opus 133 (12.-18.10.). Schließlich schrieb er gemeinsam mit Brahms und Dietrich die F.A.E.-Sonate für Violine und Klavier als Geschenk für Joseph Joachim (22./23.10.). Bis 1. November erweiterte er seine beiden Beiträge zu dieser Gemeinschaftskomposition zu einer vollständigen viersätzigen Violinsonate, der a-Moll-Sonate WoO 2, die sein letztes Kammermusikwerk bleiben sollte.
So schnell wie die Kompositionen zu Papier gebracht wurden, so rasch folgten die Aufführungen. Bereits am 23. Oktober wurden die „Märchenstücke“ zum ersten Mal gespielt, von seiner Frau Clara am Klavier mit dem Geiger Becker und dem Klarinettisten Kochner. Joseph Joachim führte sie wenig später bereits öffentlich in einer Soirée auf, wo sie mit Wohlwollen aufgenommen wurden.
Trotz der ungewöhnlichen Besetzung wurde der kleine Zyklus vom Verlag Breitkopf und Härtel sofort angenommen und schon im Februar 1854 publiziert. Stolz konnte Schumann am 20. Februar sein erstes Exemplar dem Widmungsträger Albert Dietrich überreichen – an einem jener Tage, an denen er von den Gehör-Halluzinationen verschont blieb, die ihn seit Wochen quälten. Nur eine Woche später, am Rosenmontag, stürzte sich der Komponist in geistiger Verwirrung von der Düsseldorfer Rheinbrücke in den Strom. Fischer zogen ihn aus dem Wasser. Mtten durch die grölende Narrenschar musste der durchnässte, verwirrte und verzweifelte Schumann nachhause getragen werden. Es folgte die Einweisung in die Nervenheilanstalt in Endenich bei Bonn, die er bis zu seinem Tod zweieinhalb Jahre später nicht mehr verlassen sollte.
Vom tragischen Ende jener letzten Düsseldorfer Monate geben die Märchenerzählungen noch keine Vorahnung. Sie sind ein heiterer Zyklus von vier Charakterstücken, teils träumerisch zart, teils mutwillig verwegen und chevalresk. Schumann knüpfte hier an seine Märchenbilder von 1851 an, fügte aber dem Duo aus Viola und Klavier noch eine Klarinette hinzu. Wie die früheren Märchenstücke wurde auch das Opus 132 von den Zeitgenossen als konkrete Umsetzung bestimmter Grimmscher Hausmärchen in Musik verstanden – offenbar auch missverstanden. Ein Kritiker meinte, „dass der Componist in diesen Fantasiestücken musikalische Bilder über verschiedene Mährchen hat geben wollen“ (Neue Berliner Musikzeitung, August 1856). An die Illustration etwaiger Grimmscher Hausmärchen dachte Schumann freilich weniger als an eine märchenhafte „Aura“, die vornehmlich von der Instrumentation ausgeht, wie seine Frau Clara in ihrem Tagebuch festhielt: „Heute vollendete Robert 4 Stücke für Klavier, Klarinette und Viola und war selbst sehr beglückt darüber. Er meint, diese Zusammenstellung werde sich höchst romantisch ausnehmen“ – romantisch im Sinne von geheimnisvoll. So nannte der Komponist die Stücke „märchenartig“, die Zusammenstellung der drei Instrumente erschien ihm „von ganz eigen-thümlicher Wirkung“.
In dieser poetischen Weise märchenhaft muss man die Märchenerzählungen verstehen, wie „ein Ensemble wunderbarer Dinge und Begebenheiten“ (Novalis). Assoziationen stellen sich unwillkürlich ein: Das erste Stück wirkt wie Feenmusik. Die trauliche B-Dur-Weise mit ihren neckischen Trillern und Staccati darf nicht zu schnell genommen werden. Polternd und ungeschlacht, wie eine Musik für Riesen, kommt das zweite Stück in g-Moll daher, wobei die Klarinette in fast schrille Höhen geführt wird. Lyrische Mitte des Zyklus’ ist die wundervolle Nr. 3 mit ihren zart wogenden Dur-Akkorden, in denen alle drei Instrumente zu einem Klang zu verschmelzen scheinen. Heroisch kraftvoll beginnt das Finale – Musik für einen ungestümen Rittersmann, den im zarten Mittelteil seine Prinzessin erwartet.